Nina Menkes Film "Brainwashed: Sex - Camera - Power" - Wie Frauen im Film zum Objekt gemacht werden

Di 15.02.22 | 17:22 Uhr | Von Katja Weber
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Sexismus im Film? Ja, das gibt es auch nach #Metoo noch. Die US-Filmemacherin Nina Menkes zeigt in ihrem Dokumentarfilm "Brainwashed: Sex - Camera - Power" wie präsent der sogenannte male gaze noch ist. Sie liefert eine verblüffende Checkliste. Von Katja Weber

Frauen, Diskriminierung und die Filmindustrie – das ist spätestens nach dem Hashtag #Metoo und dem Verfahren gegen den US-Produzenten Harvey Weinstein Thema. Die Berlinale versucht seither transparent zu machen, wie das Geschlechterverhältnis bei den gezeigten Filmproduktionen ausfällt.

Auf ganz andere Weise thematisiert diesen Zusammenhang der Dokumentarfilm "Brainwashed – Sex – Camera - Power" (Panorama) der US-Filmemacherin Nina Menkes. Die Regisseurin liefert eine verblüffende Checkliste.

"Du wirst es überall wiedererkennen"

Sexismus im Film? Dabei geht es um die Rollen oder die Menge an Text – könnte man annehmen. In Menkes "Brainwashed" ist das anders. Die Regisseurin untersucht nicht, ob Frauen Dienerinnen oder Verführerinnen spielen. Sie analysiert, wie die Körper der der Schauspielerinnen vor der Kamera inszeniert werden und welche filmischen Mittel dabei zum Einsatz kommen.

Nina Menkes hat sich das genauer angeschaut, weil sie sich als Filmemacherin in einer männerdominierten Branche mit Lehraufträgen an US-Filmschulen über Wasser halten musste, sagt sie. Für ihre Studierenden zerlegte sie Filmszenen in ihre Einzelteile, zeichnete Diagramme und stellte fest: So lässt sich gegendertes shot design belegen. "Es ist total simpel: Schau genau hin - erstens, zweitens, drittens! Und wenn du es einmal begriffen hast, wirst du es überall wiedererkennen!"

Wie der male gaze gemacht wird – die Menkes-Liste

Menke untersuchte folgende Aspekte: Wer ist in dieser Szene Objekt, wer Subjekt? Wie werden Körper gefilmt, wie bewegt sich die Kamera? Welches Licht wird genutzt, um Körper zu inszenieren? In welchen Räumen bewegen sich männliche und weibliche Darsteller? Wie wird Zeitlupe eingesetzt? Am Ende hatte sie eine Checkliste.

Anhand dieser Liste analysiert sie Filme von Stanley Kubrick ("Lolita" natürlich) und Quentin Tarantino ("Once upon a time in Hollywood"), von Regiegrößen der Filmgeschichte wie Alfred Hitchcock ("Vertigo") und Orson Welles ("The Lady from Shanghai"). Sie alle bedienen unterschiedliche Filmsprachen für Männer und Frauen - was bei einem Regisseur wie Hitchcock vielleicht keine Überraschung ist. Aber Menkes stellt auch fest, das sexistische und stereotype Blickwinkel und Inszenierungen auch aus der Regie von Sofia Coppola, Denis Villeneuve oder aus Produktionen, die sich feministisch nennen, kommen. Auch ein Film wie "Bombshell" (R. Jay Roach, 2019), zwei Jahre nach #Metoo entstanden, der Machtstrukturen und sexuelle Ausbeutung bei Fox News thematisiert, mag nicht auf den male gaze - den männlichen Blick - zwischen die Beine der aufsteigenden Journalistin verzichten.

Auch "Lost in Translation" wird gecheckt

Ein Beispiel aus "Lost in Translation" von Sofia Coppola. Wie stellt sie uns die Hauptfiguren vor? Wir sehen Scarlett Johansson liegend von hinten, und zwar ihren Körper von den Kniekehlen aufwärts bis zur Taille. Kein Gesicht, sondern nur Körperteile von ihr, der Po ist im Zentrum (und steckt in einem halbtransparenten Slip). In anderen Filmen werden oft nur die Beine gezeigt oder die Brüste. Fragmentierter Körper - Check. Die Kamera gleitet in einem Schwenk über diesen fragmentierten Körper – Check. Der Raum, in dem sie liegt, bleibt merkwürdig undefiniert. Dagegen sehen wir Bill Murray im Gegenschnitt: Er sitzt im Taxi, ganz konkret und realistisch, wir sehen sein Gesicht, das Taxi fährt durch Tokio, er befindet sich also in 3D in einem realistischen Raum - Check.

Andere Filme nutzen ein diffuses Licht, wenn Frauen oder weibliche Körperteile gezeigt werden, Menkes nennt das "male fantasy light". Auch Zeitlupe werde gern eingesetzt, sagt sie, bei Männern, um Action und Heldentum zu vermitteln, wenn sie als Gladiatoren oder Soldaten auftreten. Bei Frauen kommt slow motion zum Einsatz, um sie beim Sex zu zeigen, wenn erzählt werden soll, wie begehrenswert sie sind.

Vor fünf Jahren wäre dieser Film niemals finanziert worden. Jetzt ist der Raum dafür da, die Leute sind bereit dafür.

Nina Menkes, Regisseurin

Möglichkeiten nach #Metoo

Die Regisseurin zerlegt die Filmsprache anhand ihrer Checkliste in Vokabeln und Silben. In dieser "Muttersprache" der Filmgeschichte sind wir aufgewachsen, sagt Menkes. Obwohl klar gegendert, empfindet das Publikum diese Bildsprache als objektiv. "Das alles ist für uns so normal, dass wir es nicht hinterfragen. Kein Fisch fragt sich: Ist es nass?"

Erst jetzt, nach #Metoo, sei es möglich, diese Fragen zu stellen. Vorher wäre ihr Film undenkbar gewesen, obwohl ihre Analyse schon viel älter ist: "Vor fünf Jahren wäre dieser Film niemals finanziert worden. Jetzt ist der Raum dafür da, die Leute sind bereit dafür."

Vom male gaze zur rape culture

An dieser Stelle könnte Nina Menkes ihre Analyse des männlichen Blicks beenden. Stattdessen schlägt die Regisseurin von dort aus einen viel größeren Bogen zu den Arbeitsbedingungen für Frauen in der Filmindustrie und zur sogenannten rape culture. Sie zeigt in ihrem Film bestürzend viele Ausschnitte, in denen ein "Nein" der weiblichen Hauptfigur zum Sex von männlichen Protagonisten als "Ja" interpretiert wird.

"Vom Winde verweht", "Do The Right Thing" von Spike Lee oder Ridley Scotts "Blade Runner" – dem Publikum wird vorgemacht, dass der Mann nach einem "Nein" energischer zugreifen muss. Denn: Die Frau will es doch auch, Nein heißt Ja. Menkes meint, so wird sexualisierte Gewalt gegen Frauen normalisiert.

Übelkeit, die Erkenntnis bringt

Gut anderthalb Stunden lang nimmt Menkes entsprechende Sequenzen auseinander. Das Publikum sieht in Einzelteile zerlegte Frauenkörper – Beine, Hintern, Brüste. Etliche Kameraaufnahmen unter den Rock, zwischen die Beine (auch im Highschool-Lieblingsfilm "Breakfast Club"). Und lernt dabei, dass selbst eine weibliche Leiche noch als Sexualobjekt abgefilmt werden kann (Rosanna Arquette in Martin Scorseses "After Hours").

Das erzeugt Übelkeit. Aber auch die Erkenntnis: Danach kann man derartige Inszenierungen nicht mehr nicht bemerken. "Brainwashed" ist eine Schule des Sehens.

Sendung: Radioeins, 14.02.2022, 16:10 Uhr

Beitrag von Katja Weber

1 Kommentar

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  1. 1.

    Vielen Dank für diesen interessanten Beitrag. Den Film werde ich mir auf jeden Fall mal anschauen.

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