Männliche Prostituierte im Tiergarten - "Es gibt Menschen, die gezielt nach Minderjährigen Ausschau halten"

So 18.12.22 | 15:16 Uhr | Von Anna Bordel
  15
Symbolbild:Junge läuft nachts allein durch den Park.(Quelle:imago/Shotshop)
Bild: imago/Shotshop

Wie viele es sind, weiß niemand so genau. Doch klar ist: Im Berliner Tiergarten bieten auch minderjährige Jungs Sex gegen Geld an. Die Jugendlichen können in den Räumen der NGO Subway essen, schlafen - und manchmal sogar den Ausstieg schaffen. Von Anna Bordel

  • Dem LKA zufolge bieten derzeit auch Minderjährige im Tiergarten Sex gegen Geld an
  • Die meisten von ihnen sind Jungen, die aus demselben Ort in Rumänien kommen
  • Eine Hilfsorganisation bietet ihnen sichere Schlafplätze und etwas zu essen an, auch die Jugendämter sind involviert
  • Eine Lösung des Problems ist jedoch laut Polizei schwierig, da weiter Personen im Tiergarten gezielt nach Minderjährigen suchen würden

Sie müssen Geld verdienen - für ihre Familien: Junge Männer, noch keine 18, häufig aus Rumänien, kommen dafür extra nach Berlin. Sie musizieren auf der Straße, ernten Äpfel auf Plantagen oder bieten ihren Körper für Geld an. Letzteres meist im Tiergarten in Berlin-Mitte oder in einigen Kneipen in Nord-Schöneberg.

"Diese Menschen würden nie von sich sagen, dass sie Sexarbeiter sind. Sie wollen einfach über die Runden kommen", sagt Lukas Weber von Subway, einer Anlaufstelle für männliche Prostituierte bis 27 Jahre. Das verdiente Geld müssen sie oft an die Familienoberhäupter weitergeben. "Kein 16-Jähriger sagt von sich aus: Ich möchte hier im Tiergarten stehen".

Und doch stehen manche da. Wie viele es sind, sei schwer festzustellen, meint Weber und auch das Landeskriminalamt (LKA) bestätigt das. Manchmal seien es zwischen zehn und 20. Momentan laut Subway eher eine Hand voll.

Natürlich hat nicht jeder männliche Minderjährige, der im Tiergarten Sex gegen Geld anbietet, die gleiche Geschichte. Dennoch ist da ein Trend zu erkennen, wenn man Lukas Weber, das LKA und das Jugendamt Mitte dazu befragt. Die allermeisten der Jungs stammen demnach aus Rumänien. Viele von ihnen sogar aus einem bestimmten Ort.

Hinter ihnen stehen meist starke Familienstrukturen, in denen eben jede:r ab einem bestimmten Alter mit dazu verdienen muss. Viele der Jugendlichen haben in Berlin keinen festen Wohnsitz, schlafen in Zelten oder abgestellten Autos.

Lka hat mit Plakaten über Thema aufgeklärt

Neu ist das Phänomen nicht. Seit Jahren versucht das LKA Hintermänner ausfindig zu machen, die Strukturen hinter den Jugendlichen aufzudecken. 2017 gelang ein Coup, acht Männer konnten zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilt werden. Verschwunden sind die minderjährigen Prostituierten deswegen nicht. Das liegt auch daran, dass ein Interesse an ihnen besteht. "Es gibt offenbar Menschen, die gezielt nach Minderjährigen Ausschau halten", meint Weber.

Um diese und vor allem auch Anwohner und Passanten darüber aufzuklären, dass unter den Männern, die Sex gegen Geld anbieten, auch Minderjährige sein können, die Opfer von sexueller Ausbeutung sind, hat das LKA im letzten Sommer mit Plakaten darauf hingewiesen.

"Es gab viele Rückmeldungen, das freut uns", sagt Sylke van Offern, Dezernatsleiterin bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Schleusungskriminalität. Vielen sei der Umstand neu gewesen. Ein paar Hinweise seien darunter gewesen, denen man nachgegangen sei, aus denen allerdings keine Ermittlungsverfahren hervorgegangen seien, so van Offern.

Sie finden hier einen Schutzraum, in dem sie sich fallen lassen können. Es ist niemand da, der salopp gesagt, sehen möchte, wie groß ihr Schwanz ist.

Lukas Weber, Geschäftsführer von Subway

Bei Subway können die Jugendlichen schlafen, essen und chillen

Weber und seine Mitarbeiter versuchen, den jungen männlichen Prostituierten zu helfen. Teils sind auch Trans-Menschen dabei. Häufig gehe es um ganz grundlegende Bedürfnisse wie essen, schlafen, Wäsche waschen.

Sie können unter der Woche fast täglich in die Räume von Subway kommen und diese Dinge dort tun. Es gibt einen Raum mit ein paar Etagenbetten, Schließfächer, ein Zimmer mit Sofas und Sesseln zum Rumhängen, eine Küche und ein paar Duschen. Wer mehr möchte, kann Hilfe bekommen, einen festen Wohnsitz zu finden, vielleicht sogar eine andere Arbeit.

Die Stimmung sei oft locker, erzählt Weber. "Sie finden hier einen Schutzraum, in dem sie sich fallen lassen können. Sie können ins Internet gehen, ein bisschen Mucke hören. Es ist niemand da, der salopp gesagt, sehen möchte, wie groß ihr Schwanz ist".

Entspannt geht es aber nicht immer zu. Manchmal gehe es nur darum, wer zuerst auf einem Stuhl gesessen hätte. Immer mal wieder würde es aber auch gewalttätig, häufig wenn jemand viele Drogen genommen hat.

Mehrmals wöchentlich gehen Weber und seine Mitarbeiter:innen durch Treffpunkte der Szene. Sie verteilen Kondome und Gleitgel, kommen mit den Leuten ins Gespräch und machen auf das Hilfsangebot von Subway aufmerksam.

Wenn sie mitbekommen, dass jemand Minderjähriges dabei ist, dann verfassen sie immer eine Kinderschutzmeldung ans Jugendamt. Leicht sei das nicht. "Die meisten der Minderjährigen sind ohne festen Wohnsitz, wir können dem Jugendamt also keine genaue Adresse liefern", so Weber. "Außerdem kontrollieren wir keine Ausweise. Wenn uns jemand sagt, mein Szene-Name ist Micky Maus, dann ist das für uns so".

Hilfe für Jugendliche oft schwierig

Das Jugendamt Mitte dagegen versucht, den Jugendlichen einen Austieg aus der Szene zu ermöglichen. Sie können sie zum Beispiel auf Wunsch anonym unterbringen und vor Menschen schützen, die diesen Ausstieg verhindern wollen. Oftmals scheitere es aber letzten Endes vor allem an zwei Dingen, sagt Keller. "Es gibt leider nicht ausreichend Einrichtungen und Träger, die eine anonyme Unterbringung ermöglichen können." Deshalb würden die Jugendlichen häufig sofort von Familienmitgliedern aus den Unterkünften abgeholt, sobald diese davon erfahren.

Wenn sie da überhaupt hin kommen. Und das sei der andere Grund: Manche wollten gar nicht in Unterkünfte. "In diesem Fall kann ihnen zwar immer wieder Unterstützung angeboten werden, aber ein Agieren im Zwangskontext ist in diesen Fällen nicht möglich", so Keller.

Manchmal gelingt aber auch einen Schritt nach vorne: Ein Mitarbeiter von Subway konnte jedoch kürzlich auch nach langem Suchen für jemanden eine Wohnung finden. Hin und wieder würden zum Beispiel auch Jobs auf dem Bau oder in Plantagen vermittelt, erzählt Weber. "Wir finden aber auch immer wieder mal jemanden, der gern eine Ausbildung machen möchte und den wir unterstützen, einen Platz zum Beispiel als Automechaniker oder Schlosser zu finden."

Beitrag von Anna Bordel

15 Kommentare

Wir schließen die Kommentarfunktion, wenn die Zahl der Kommentare so groß ist, dass sie nicht mehr zeitnah moderiert werden können. Weiter schließen wir die Kommentarfunktion, wenn die Kommentare sich nicht mehr auf das Thema beziehen oder eine Vielzahl der Kommentare die Regeln unserer Kommentarrichtlinien verletzt. Bei älteren Beiträgen wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen.

  1. 15.

    Na, der Erfolg, wie man in diesem Bericht erfährt, ist gleich null, da der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen im Tiergarten nach wie vor täglich stattfindet.

    Einige Erfolge sind in der "Digitaler Welt des Missbrauchs" zu verzeichnen, aber daran haben alle LKAs und das BKA ihren Anteil.

  2. 14.

    Genau genommen ist es nicht (nur) irgend eine Scham. Die Familien wollen gar nicht wissen, wo das Geld herkommt! Hauptsache, es kommt! Und das ist das Problem. Diese Jungen werden losgeschickt, um jeden Preis Geld zu verdienen, egal wie und der Heimweg ist ihnen quasi versperrt. Gleichzeitig können und wollen sie sich aber nicht von ihren Familien lossagen bzw. schaffen das die Wenigsten. So sind diese Jungen leichte Beute für Ausbeutung aller Art, Kinderprostitution ist nur die ekelhafteste davon. Es gibt aber noch mehr, nicht weniger schlimme Ausbeutung. Deutschland kann und muss zwar die Freier oder Ausbeuter bestrafen, lösen können wir das Problem hier aber nicht. Dazu braucht es eine enge Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern. Solange das Entsenden dieser Kinder und Jugendlichen dort nicht geahndet wird, wird sich nicht ändern.

  3. 13.

    Es gibt sexuelle Ausbeutung von Erwachsenen, und es gibt den sexuellen Missbrauch von Minerjährigen, und der ist eine Straftat.
    Von diesen Tätern abzulenken, in dem man mit der Armut als Ursache zu "Felde" zieht, da macht man sich zu Fürsprecher dieser Täter.
    Scheinbar ist das LKA - Kommisariat in Berlin auch nicht frei von dieser "Armut" Theorie, und wenn sich die Beamten dieses Kommisariats "zwischen zwei Stühle setzen", dann ist die Bekämpfung von sexuellen Missbrauch der Minderjährigen kaum zu schaffen.

  4. 12.

    Aus dem zitierten Artikel und vielen weiteren Artikeln ist zu entnehmen, dass das LKA erfolgreich dieses Phänomen seit Jahren bekämpft, stetig kontrolliert aber deutlich macht, dass neben repressiven Maßnahmen aus präventiv etwas gemacht werden muss. Daher diente die Kampagne der Aufklärung und Sensibilisierung. Dass das Phänomen trotz aller Maßnahmen bestehen bleibt, ist schwerlich als rechtsfreier Raum zu bezeichen.

  5. 11.

    Mir ist wohl bekannt, dass es in Berlin Großfamilien / Clans gibt … aber: Aus OSTEUROPA??
    Welche Dokus sollten mir denn, Ihrer Meinung nach, diesbezüglich weiterhelfen?

  6. 10.

    Ab und zu mal ne Doku im FERNSEHEN schauen , als nur Netflix, Youtube ect.
    Bildung kann nicht verkehrt sein.

  7. 9.

    Die meisten davon sind junge Osteuropäer die ihren Familien erzählen, dass sie in Berlin ihr Geld mit Musik verdienen.
    Zuhause darf niemand erfahren das sie hier als Stricher für Männer ihre Dienste anbieten.
    Zum Lügen erzogen aus Angst ......und dennoch sorgen diese Jungs dafür das es den Familien gut geht.
    Europa.....und auch wir tolerieren das.

  8. 8.

    Vielleicht sollte man mal die Freier bestrafen die sich minderjährige nehmen. In meinen Augen ist das Pervers.

  9. 7.

    Im diesen Bericht erfährt man gleich zu Anfang, dass die Minderjährigen für ihre Familien Geld verdienen müssen, und sei es als Sexarbeiter.
    Wnn man das am 29. 05. 22. hier veröffentlichte Gespräch mit dem LKA Berlin in Erinnerung ruft, dann erfuhr man, dass das LKA Berlin das Einzige bundesweit sei, dass extra Kommisariat zur Bekämpfung der Zwangsprostitution von Minderjährigen eingerichtet hat. Das ist zwar wahr, aber nach durchlesen des ganzen Gesprächs mit den 2 Damen von LKA Belin, blieb man ratlos und verärgert zurück. Eine Auklärung der Zivilgesällschaft als ein wichtigen Schwerpunkt anzusehen, zu behaupten, es gäbe im Tiergarten keine rechtsfreie Räume, obwohl täglich dieser Missbrauch stattfindet, dass ist wohl mehr als naiv.
    Wie man mit der zum Thema erklärender Behauptung umgehen soll, dass in Rumänien mitunter mit 14.Jahren zwangsverheiratet wird, obwohl es rechtlich gar nicht möglich ist?
    Dieses Gespräch ist eine einzige Enttäuschung über dieses Kommisariat..

  10. 6.

    Das "älteste Gewerbe der Welt" ist menschenverachtend. Jeder Freier sollte sich bewußt sein, dass er andere Menschen in Geldnot ausnutzt. Und das Märchen vom "Pretty Man" sollte man sich mal genau anschauen.

  11. 5.

    Wie die Jungs ausgebeutet werden, ist unerträglich.
    Die Menschen und Familien sind sehr arm.

    Meiner Meinung nach sollte die EU mehr tun, den ärmsten Menschen zu helfen. Und wenn Minderjährige von ihren Eltern nicht geschützt und zugleich ausgebeutet werden, dann ist das eine Katastrophe.
    Die Ärmsten und Schwächsten haben keine Lobby, keine Gewerkschaft, sie müssen jeden Tag überleben.

  12. 4.

    1.-3.
    Hat der RBB schon berichtet:
    https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2022/05/zwangsprostitution-berlin-minderjaehrige-osteuropa-lka-polizei.html

  13. 3.

    "Es gibt Menschen, die gezielt nach Minderjährigen Ausschau halten". Nennen wir das doch beim Namen. Es gibt MÄNNER, die nach Minderjährigen Ausschau halten. Männer sind Freier.

  14. 2.

    1. Wofür genau ist das wichtig? 2. Wie viele "einschlägige" osteuropäische Familien/ Clans kennen Sie denn? Und 3. Oder haben Sie einfach überhaupt gar keine Ahnung von nichts, wollten hier aber trotzdem einfach mal irgendwas von sich geben?

  15. 1.

    Die Frage ist ob es bei den osteuropäischen Clans bzw Familien um einer der 2 einschlägigen handelt.

Nächster Artikel