Für Corona-infizierte Risikopatienten - Wie die Antikörper-Therapie die Kliniken entlasten könnte

Mi 01.12.21 | 07:16 Uhr | Von Constanze Löffler
Symbolbild: Antikörper-Therapie. Im modernen Versorgungszentrum der Kronen-Apotheke Marxen OHG unterstützt am 27.05.2021 ein Roboter die Mitarbeiter bei der Auswahl, Portionierung und Verteilung von Medikamenten für Krankenhäuser und Kliniken. (Quelle: dpa/Christoph Hardt)
Bild: dpa/Christoph Hardt

Die hohe Zahl an Corona-Patienten setzt viele Kliniken unter Druck. Eine spezielle Therapie mit Antikörpern könnte helfen, die medizinische Notlage entspannen. In Berlin wird sie bereits in mehreren Praxen eingesetzt. Von Constanze Löffler

Seit Mitte Oktober rettet Axel Baumgarten fast jeden Tag ein Menschenleben. In seiner Praxis im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg behandelt der Allgemeinmediziner Menschen mit einer speziellen Antikörper-Therapie gegen das Coronavirus.

"Wenn jemand mit Risikofaktoren nicht geimpft ist oder keinen ausreichenden Impfschutz aufgebaut hat, ist die Gefahr groß, dass diese Person schwer an Covid-19 erkrankt", erklärt Baumgarten. Menschen, auf die das zutrifft, landen überdurchschnittlich oft im Krankenhaus, müssen häufig sogar beatmet werden. Mit der Antikörper-Therapie, einer Art passive Impfung, lässt sich ein schwerer Verlauf in 70 bis 90 Prozent der Fälle verhindern.1

Im Labor hergestellte Antikörper

Antikörper sind spezielle Eiweiße, die der Körper gegen Erreger wie das Sars-CoV2-Virus bildet, um sie unschädlich zu machen. Das geschieht normalerweise, wenn man sich mit einem Krankheitserreger angesteckt hat oder geimpft wurde. Ungeimpfte mit gesundheitlichen Risikofaktoren oder Menschen, die trotz Impfung nicht genug Antikörper bilden, sind dem Virus jedoch mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.

Ihnen kann eine Therapie mit neutralisierenden monoklonalen Antikörpern helfen. Diese Antikörper werden im Labor hergestellt und setzen das Virus bei einer Infektion außer Gefecht, indem sie es an einem fest definierten Ziel angreifen. Im Falle von Corona besetzen sie in einer Art Schlüssel-Schloss-Prinzip das bekannte Spike- oder Stachel-Protein. Dadurch verändern die Viren ihre Struktur und können nicht mehr in die menschlichen Zellen eindringen und sich dort vermehren. Jens Spahn, der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister, kaufte bereits Anfang dieses Jahres 200.000 Dosen dieser Antikörper-Therapien ein. Mitte November gab die EU-Behörde EMA grünes Licht für zwei Produkte, weitere sollen bis Ende des Jahres zugelassen werden.

Die Krankenhäuser entlasten

In einigen Bundesländern ist mittlerweile fast jedes dritte Intensivbett mit Corona-Patienten belegt. Auf ganz Deutschland berechnet ist es fast jedes fünfte Bett auf den Intensivstationen. "Wir müssen Kliniken und Pflegepersonal dringend eine Atempause verschaffen", mahnt Baumgarten. "Jeder, der nicht ins Krankenhaus muss, hilft jetzt weiter."

Der Allgemeinmediziner kämpft dafür, die Antikörper-Therapie bekannter zu machen – unter Kollegen und Patienten. Auch heute wartet wieder eine Patientin in Baumgartens Praxis auf die lebensrettende Infusion. Die Mittsiebzigerin hatte sich vor ein paar Tagen bei ihrer Enkelin angesteckt, ist übergewichtig und hat eine Herzschwäche. "Die Antikörper-Therapie ist vor allem Menschen vorbehalten, die positiv auf Corona getestet sind und Risikofaktoren haben, etwa weil sie älter sind, unter Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten und anderen Vorerkrankungen leiden", so der Arzt.

Die Patientin habe sich matt gefühlt und Husten gehabt, erzählt der Allgemeinmediziner. Schnell- und PCR-Test fielen positiv aus. Eile war geboten. "Wir müssen die Viren erwischen, bevor sie in die Zellen eindringen und ihr zerstörerisches Werk anrichten", sagt Baumgarten. Die Therapie solle möglichst innerhalb von sieben Tagen nach dem Auftreten der ersten Symptome oder drei Tage nach einem positiven PCR-Test erfolgen.

Gerade Menschen mit einer Krebserkrankung, jene, die Chemo- oder Immuntherapie bekommen, die eine rheumatologische Systemerkrankung oder einen angeborenen Immundefekt haben, sprechen nicht gut auf die Impfung an. Sie bilden häufig zu wenig oder keine Antikörper

Der Berliner Allgemeinmediziner und Infektiologe Axel Baumgarten

Eine bewährte Idee

Das Konzept der Antikörper-Therapie ist einfach: Die zugeführten Abwehrstoffe sollen dem Immunsystem der Covid-19-Kranken die nötige Kraft verleihen, das Coronavirus zu bekämpfen. Statt selbst erst Antikörper bilden zu müssen, eliminiert die Immunabwehr die Viren mit den verabreichten Abwehrmolekülen.

Das Prinzip kommt auch bei Infektionen mit Hepatitis B oder Tollwut zur Anwendung. Die Idee zur Therapie stammt übrigens von einem Deutschen: Emil von Behring, Arzt an der Berliner Charité und späterer Gründer der Behringwerke, setzte schon vor 130 Jahren erfolgreich Antikörper von Schaf und Pferd gegen Diphterie und Wundstarrkrampf beim Menschen ein. Dafür erhielt er 1901 den Nobelpreis.

Hilfe für die Hilflosen

Fälle wie der der Rentnerin machen den Großteil der Patienten in Baumgartens Praxis aus. Der Hausarzt behandelt aber auch Menschen vorbeugend mit Antikörpern. Vor allem betrifft dies Menschen, die immungeschwächt sind und nachweislich Kontakt mit Corona-Infizierten hatten.

Baumgarten verabreicht diesen Patienten die rettende Spritze mit Antikörpern, noch bevor der PCR-Test überhaupt anschlägt. Experten sprechen von einer Post-Expositions-Prophylaxe, kurz PEP. "Gerade Menschen mit einer Krebserkrankung, jene, die Chemo- oder Immuntherapie bekommen, die eine rheumatologische Systemerkrankung oder einen angeborenen Immundefekt haben, sprechen nicht gut auf die Impfung an. Sie bilden häufig zu wenig oder keine Antikörper", sagt Baumgarten. Über 30 Prozent dieser Patienten erleben ohne die Antikörper-Therapie einen schweren Verlauf. Im Vergleich: Bei Menschen mit Risikofaktoren sind es etwa zehn Prozent, bei ansonsten Gesunden liegt der Anteil unter einem Prozent.2

"Ein Großteil der Krankenhaus-Aufnahmen von vollständig geimpften Patienten, die an Covid-19 erkranken, betrifft immunsupprimierte Patienten", bestätigt Baumgarten. Bilden diese Menschen nachweislich keine eigenen Antikörper, käme eine sogenannte Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) in Frage, so der Mediziner: "Sie können alle vier Wochen Antikörper gespritzt bekommen, um sie vorsorglich vor einer Corona-Infektion zu schützen."

Viele Vorteile, ein Nachteil

Der Vorteil der künstlichen Antikörper: Sie sind schnell industriell in großen Mengen herzustellen und man kann effektive Angriffspunkte genau definieren, etwa das Stachel-Protein bei Sars-CoV2. Das macht sie sehr wirksam. Die Therapie ist vergleichsweise leicht durchzuführen: "In der Regel verabreichen wir einmalig eine Infusion. Das dauert eine Stunde", so der Mediziner. Um sicher zu gehen, dass die Patienten das Mittel gut vertragen, bleiben sie danach noch eine Stunde zu Beobachtung in der Praxis.

Nebenwirkungen sind selten. "Gelegentlich rötet sich die Einstichstelle, juckt mal oder tut ein bisschen weh", sagt Baumgarten. Sehr seltene schwere allergische Reaktionen ließen sich gut medikamentös behandeln.

Doch was passiert, wenn neue Corona-Varianten auftauchen wie jetzt etwa Omikron aus dem südlichen Afrika? Das mutierte Virus wird möglicherweise schneller übertragen und könnte für schwerere Verläufe sorgen als das Delta-Virus. "Der Schutz der Antikörper-Therapie hängt von der Variante ab", bestätigt Baumgarten. "Wenn sich durch Mutationen die Stelle verändert, an die die Antikörper binden, könnte sich das Virus der Therapie entziehen."

Dann muss die Wirkung der Antikörper ähnlich wie die der Impfungen überprüft und allenfalls angepasst werden. Auch das geht heutzutage flott.

  • Diese Varianten der Antikörper-Therapie gibt es

  • Wie erhalte ich eine Therapie mit Antikörpern bei Covid-19?

  • Quellenangaben zu erwähnten Studien

Sendung: rbb Praxis, 01.12.2021, 20:15 Uhr

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Beitrag von Constanze Löffler

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