Covid-19 als Berufskrankheit - "Haben Sie sich wirklich auf der Arbeit infiziert?"

Do 09.06.22 | 06:15 Uhr | Von Anja Herr
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Symbolbild: Eine Frau trägt eine Schutzmaske und überquert eine volle Straßenkreuzung. (Quelle: dpa/E. Morenatti)
Video: rbb|24 | 09.06.2022 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: dpa/E. Morenatti

Wer sich im Job angesteckt hat, kann Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen, um möglichst schnell gesund zu werden. Vorausgesetzt, Covid-19 wird als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall anerkannt. Das ist nicht einfach. Von Anja Herr

Physiotherapeutin Pia hat gleich Feierabend - nach dreieinhalb Stunden. Mehr schafft sie nicht am Stück. Seit sie sich im Oktober 2020 mit Corona infizierte, ist für sie nichts mehr, wie es war. Pia leidet unter Long Covid.

"Ich kann kein Multitasking mehr", erzählt die 37-Jährige Berlinerin. Wenn in der Praxis das Telefon klingelt und gleichzeitig jemand mit ihr spricht, weiß sie anschließend nicht mehr, in welchen Raum sie gehen muss. Sie trägt Termine falsch ein. Zu viele Reize gleichzeitig erträgt sie nicht. Sich auf die Patienten zu konzentrieren, mit ihnen zu sprechen, und sie währenddessen sie zu behandeln, fällt ihr schwer.

Der Nachweis für eine Berufskrankheit ist schwierig

Pia ist sicher, dass sie sich 2020 während der Arbeit mit Corona infiziert hat. "Ich arbeite fast nur am Kopf und am Kiefer", sagt sie. Und zu dem Zeitpunkt trugen viele ihrer Patienten selbstgenähte Stoffmasken.

Seit Januar 2021 kämpft sie darum, dass ihr Leiden als Berufskrankheit anerkannt wird. Dann würde sie Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten: Therapien, die die Krankenkasse nicht zahlt, Kosten zur Wiedereingliederung, Verletztengeld. Kurzum: Die Chancen, schnell wieder gesund zu werden, stünden besser als jetzt. Aber der Weg dahin ist schwer.

Sie wurde gefragt: "Haben Sie sich wirklich auf der Arbeit infiziert?" Sie sollte nachweisen, dass der Beruf definitiv die Ursache ihrer Infektion war – idealerweise anhand der Person, bei der sie sich angesteckt hat.

Ein solcher Nachweis gestaltete sich schwierig. Denn sie stellte den Antrag erst drei Monate nach ihrer Erkrankung. Vorher wusste sie nichts von dieser Möglichkeit. Sie konnte zwar einen positiven PCR-Test nachweisen, musste aber rückwirkend herausfinden, wer sie konkret auf der Arbeit angesteckt hatte. Das gelang ihr nicht. So blieb ihr lediglich, darauf zu verweisen, dass sie außerhalb der Arbeit keine körpernahen Kontakte hatte, in der Praxis hingegen 40 Minuten durchgehend auf engstem Raum mit Patienten arbeitete.

Mehr als 15 Monaten nach Antragstellung hat sie noch immer keine schriftliche Zusage.

Verzweifelt, enttäuscht, ungerecht behandelt

Sie ist nicht die Einzige, die auf einen positiven Bescheid wartet. Seit Covid-19 existiert, gab es deutschlandweit mehr als 290.000 Anträge zur Anerkennung als Berufskrankheit (Stand April 2022). Davon wurden laut der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) bislang 160.000 anerkannt. Somit ist Covid-19 mittlerweile die am häufigsten anerkannte Berufskrankheit.

Doch viele Fälle konnten noch gar nicht bearbeitet werden. Weil so viele Anträge eingingen, wurden für die Sachbearbeitung bereits Beschäftigte aus anderen Abteilungen für die Sachbearbeitung abgestellt sowie Kollegen von anderen Unfallversicherungsträgern. "Die besonderen Herausforderungen liegen in der Ermittlung der beruflichen Verursachung und dabei nicht zuletzt im Nachweis des beruflichen Kontaktes zu einer ansteckenden Person", teilt die Gesetzliche Unfallversicherung dem rbb mit.

In den Augen der Betroffenen verstreicht durch das aufwendige Prozedere wichtige Zeit. Karin Wüst von der Berliner Beratungsstelle Berufskrankheiten in der Senatsverwaltung für Integration kennt viele Menschen, die verzweifelt sind, weil das Verfahren so lange dauert.

Auch Schulpersonal und Rettungskräfte haben Chancen auf Leistungen

An Karin Wüst wenden sich Menschen aus unterschiedlichen Bereichen, die Leistungen von der Gesetzlichen Unfallversicherung beanspruchen wollen. Als Berufskrankheit wird Covid nur anerkannt, wenn die Arbeitnehmer im Gesundheitsbereich tätig sind – also zum Beispiel im Krankenhaus, in der Praxis oder in einem Labor, da hier die Infektionsgefahr besonders hoch ist.

Aber auch Personal an Kitas und Schulen oder Beschäftigte bei der Feuerwehr können Leistungen von der Unfallversicherung beantragen: Sie müssen ihre Krankheit als Arbeitsunfall anerkennen lassen. Dann erhalten sie nahezu dieselben Leistungen wie bei der Anerkennung als Berufserkrankung. Damit Covid als Arbeitsunfall anerkannt wird, müssen sie nachweislich während der versicherten Tätigkeit über einen längeren Zeitraum mit einer infektiösen Person nah in Kontakt gekommen sein.

Die Quote war hier bislang noch geringer als bei der Anerkennung als Berufskrankheit: Als Arbeitsunfall gemeldet wurden bundesweit bislang etwa 52.000 Covid-Fälle, akzeptiert wurden davon nur gut 18.000.

Karin Wüst berichtet, dass viele ihrer Klienten enttäuscht seien: "Sie fühlen sich ungerecht behandelt", sagt sie.

"Arbeitgeber melden den Verdacht der Infektion nicht"

Hauptgrund der Ablehnung bei der Anerkennung als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall sei, dass nach Bewertung der Unfallversicherung eine Infektion im Privatbereich nicht ausgeschlossen werden könne. Und das, obwohl die Beschäftigten bereits genau dokumentiert hätten, welche Kontakte sie hatten. Wüst fordert, dass die Versicherung den Aussagen der Beschäftigten zu Kontakten im Privatbereich glauben soll. Sie kritisiert außerdem, viele Arbeitgeber würden den Verdacht der Infektion am Arbeitsplatz nicht melden. Für die Beschäftigten wiederum sei es ein Problem, es selbst zu melden. "Sie haben Sorgen, sich selbst zu schaden oder Fehler bei der Meldung zu machen", so Wüst.

Vor einer guten Woche erhielt Pia endlich einen Anruf: Sie habe gute Chancen, dass Covid bei ihr als Berufskrankheit anerkannt werde, hieß es. Aber: Es seien noch zwei weitere aktuelle Gutachten von Ärzten nötig.

Vor Pia liegt ein dicker Aktenordner, ausschließlich gefüllt mit Unterlagen zu ihrer Krankheit. Sie will gesund werden. Aber Bürokratie und Gesundheitssystem machen ihr das Leben schwer. Schwerer, als es gerade ohnehin schon für sie ist.

Sendung: Abendschau, 08.06.2022, 19:30 Uhr

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Beitrag von Anja Herr

27 Kommentare

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  1. 27.

    Es geht hier nicht um eine "simple" COVID - Infektion, sondern um Long COVID. Diese Komplikation kann den Patienten monatelang auf die Bretter legen. Ihr Post ist wenig emphatisch und setzt voraus, dass alle Antragsteller Simulanten sind. Sicher sind welche dabei, aber man kann doch nicht alle über einen Kamm scheren .

  2. 25.

    Es ist einfach bedauerlich, dass es nicht jedem Kommentierenden gelingt, einen sinnvollen Beitrag zum Thema zu verfassen.

  3. 24.

    Covid-19 als Berufskrankheit... es war klar dass es einige ausnutzen und versuchen Dauerurlaub zu bekommen.

  4. 23.

    Ups Schweißer statt Schweizer.

    Schweizer sind nicht per se so krank dass es dafür ne eigene BK gäbe....

    Bevor noch Schweizer sich beschweren.

  5. 22.

    Da mag das Beispiel von mir schlecht gewählt worden zu sein, es sollte nur deutlich machen, dass es schwierig ist Berufskrankheiten die einzelne Branchen betreffen mit eine Krankheit zu vergleichen (Corona meiste Berufskrankheit) die alle Branchen betrifft, mal mehr mal weniger.

  6. 21.

    Ach Sie scheinen nicht zu wissen, welche Berufsgruppen von Staublungen alles betroffen sind. Nur rund 50% waren früher Bergleute, heute noch weniger (weil immer weniger Bergleute nach 20-30 Jahren noch erkranken können.) Baustoffindustrie und Bauhandwerk (Qaurzfeinstaub bei Arbeiten mit Beton) sind da heute vorn....

    Und das gilt nur für BK4101, von Bäckerasthma durch Mehlstaub (BK4301), BK4203 bei Tischlern, 4115bei Schweizern oder beruflich bedingtem Passivrauchen (BK4116)erst gar nicht angefangen.



  7. 20.

    Ich kenne einige, auch außerhalb meines Arbeitslebens.

    Ihre Expertise zum BK Recht? Ist eben gesellschaftliche Übereinkunft ab welcher Schwelle der Wahrscheinlichkeit die Krankheit von Berufs wegen anerkannt wird. Das wird eben epidemologisch wissenschaftlich begründet, bedeutet nicht, dass jeder Einzelfall absolut fair wäre, weil man es so genau nicht herausfinden kann. Deswegen grob die Regel, dass die Wahrscheinlichkeit für zb den Krebs doppelt so hoch sein muss durch Exposition am Arbeitsplatz als in der Allgemeinbevölkerung.

    PS: soviel ich weiß sind die BGen zur Hälfte von Arbeitgeber- und zur anderen Hälfte von Arbeitnehmervertretern besetzt. Da sollte ein gewisser Interessenausgleich gewahrt sein.

  8. 19.

    Wenn Sie mit Grippepatienten im Krankenhaus arbeiten selbstverständlich.

    Überall anders werden Sie vom Kontakt mit einem Grippeinfizierten wohl nie etwas erfahren und deswegen kommt die BK 3101 da nie in Betracht (aus eben Nichtwissen). Wer bekam früher schon eine PCR bestätigte PCR Diagnose? Wohl praktisch niemand außerhalb von Krankenhäusern oder vielleicht noch einigen wenigen surveilance-Praxen.

  9. 18.

    https://www.baua.de/DE/Angebote/Rechtstexte-und-Technische-Regeln/Berufskrankheiten/pdf/Merkblatt-3101.pdf

    Die Regeln macht im übrigen der Staat, das BMAS.

    Hilfreich wäre die Kontaklisten zu führen (Sie müsste ja in der Praxis eh) und sich umzuhören, welcher der Patienten im relevanten Zeitraum vor der eigenen Erkrankung ebenfalls erkrankt waren. So unmöglich ist das in dem Fall doch gar nicht. Die Kassiererin hat dagegen keine Chance.

    Das Einhalten von allen Schutzmaßnahmen ist im übrigen keine Bedingung, sondern eher hinderlich, da so ja keine Infektion auf Arbeit hätte stattfinden können (@Steffen). Der erkrankte Arbeitnehmer wird aber nicht für das Missachten von Schutzmaßnahmen bestraft (außer bei Vorsatz).

    Das "im besonderem Maße" ist im übrigen der Knackpunkt, weswegen Kassiererinnen usw praktisch raus sind. Deshalb werden nur pauschal Beschäftigte der Covid-Station entschädigt und andere im Gesundheitsdienst die bestätigt Kontaktperson sind.

  10. 17.

    Nein, das ist das Prinzip der Rechtstaatlichkeit. Niemand kann ohne Nachweis der genauen Umstände von jemand anderem eine Leistung verlangen, die über die staatliche Daseinsvorsorge hinausgeht. In einer Pandemie ist es nahezu vollkommen unmöglich, den Nachweis zu erbringen, wo man sich infiziert hat und selbst dann müsste man noch den Nachweis führen, dass man sich an alle Vorschriften und Schutzmaßnahmen gehalten hat. Bei Covid-19 ist dieser Beweis in der Realität nicht zu führen, da niemand so isoliert lebt.
    Das Manko ist doch ein ganz anderes: Die unterschiedliche Behandlung von Arbeitsunfällen und von anderen Erkrankungsfolgen, weil sich hier der Sozialstaat und die staatlichen Sozialkassen den schwarzen Peter hin und her schieben. Auch jenseits von Arbeitsunfällen besteht eigentlich ein Recht auf bestmögliche Behandlung, um die Folgen auf ein erträgliches Maß zu mildern oder ganz zu überwinden. Der Sozialstaat hat daran nicht immer das höchste Interesse.

  11. 16.

    „ Wer sich im Job angesteckt hat, kann Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen, um möglichst schnell gesund zu werden.“
    Echt? Geht das auch mit den Nachwirkungen von Lungenentzündung und einer richtigen Grippe, die man sich vor Corona u.a. auch bei der Arbeit „abholen“konnte?

  12. 15.

    Guten Tag. Es gibt dazu schon höchstrichterliche Rechtsprechung. Und so tragisch die Einzelfälle natürlich auch immer sind, ist die Voraussetzung zur Anerkennung eines Arbeits- oder Dienstunfalles immer die punktgenau zeitliche Zuordnung. Und das ist in der Praxis so gut wie nie möglich in diesen Fällen, da die meisten Menschen eben nicht nur isoliert zu Hause sitzen, dann im eigenen PKW zur Arbeit fahren und dort genau die eine Person treffen, die den Virus überträgt. Und auch nie einkaufen o.ä

  13. 14.

    Nachzuweisen dürfte das nicht sein, selbst in meinem Beruf wo ich mir die Knie bzw den Rücken kaputt gemacht habe, zweifelt die Berufsgenossenschaft die Berufskrankheit an. Es kommen dann so Sachen dass es halt altersbedingt ist, oder man wird tatsächlich gefragt ob man sich sicher ist dass das wirklich vom Beruf kommt. Und wenn das schon schwer ist, dürfte es bei Corona eigentlich unmöglich sein.

  14. 13.

    Dieses Versicherungssystem (der unlauteren Ablehnungen) muss auf den Prüfstand. So wirkt es wie ein "Vorstandsversorgungssystem" was keiner braucht und teuer ist. Kennt jemand jemanden der eine Leistung erhält?

    #rbb24: Das wäre mal ein gesondertes Thema: Das Verhältnis der Leistungserbringung zu den Auszahlungen und wie lange es dauert, bis ausgezahlt wird.

  15. 12.

    Sie haben recht. Die Anerkennung ist aber deutlich einfacher als bei allen anderen Berufen.
    https://www.tk.de/firmenkunden/service/fachthemen/coronavirus-arbeitgeber/dguv-covid19-als-berufskrankheit-2087930?tkcm=aaus

  16. 11.

    Pauschal angenommen wird nichts. Auch eine Pflegekraft muss den Beweis erbringen. Übrigens waren auch viele andere Berufsgruppen einem sehr hohen Infektionsrisiko ausgesetzt

  17. 10.

    Es ist halt mal so, dass derjenige der einen Anspruch behauptet auch den Nachweis der Anspruchsberechtigung erbringen muss. Eine Beweislastumkehr ist nur in ganz wenigen Ausnahmefällen denkbar. Im übrigen ist es für den Erkrankten in der Regel unerheblich ob die gesetzliche Krankenversicherung oder die BG leistungspflichtig ist. Der einzige GROSSE Unterschied ist der einer möglichen teilweisen oder vollen Unfallrente.

  18. 9.

    Bei z.B. Pflegekräfte wird pauschal angenommen, dass eine Infektion auf Arbeit stattgefunden hat.
    Die haben halt das größte Risiko.

  19. 8.

    Ich finde es schlimm, dass bei Menschen, die auf der Arbeit ihre Gesundheit riskieren, Long-Covid nicht als Berufskrankheit anerkannt wird.
    Ich frage mich aber auch immer, warum Menschen, die auf dem Arbeitsweg oder bei der Arbeit erkranken, eine bessere Versorgung bekommen. Kann die Gesellschaft wirklich auf alle anderen, die aufgrund schlechterer medizinischer Behandlung chronisch krank, und somit arbeitunfähig werden, verzichten?

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