Abzug vor 30 Jahren - Hilfspakete, Panzer und Gelage - Alliierte Kontrolle an der kalten Kriegsfront
In fast fünf Jahrzehnten Besatzung veränderten die vier Alliierten das Leben der Berliner. Sie schufen eigene Strukturen in der Stadt und prägten die Entwicklung des Nachkriegsberlins. Die Spuren ihrer Macht verblassen - man muss sie suchen. Von Stefan Ruwoldt
Vier Siegerarmeen, aber nur eine Stadt: Berlin wurde mit der Durchsetzung der "Berliner Deklaration" Anfang Juni 1945 eine Stadt der vier Mächte - der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Hier in Berlin wurde die Vierteilung Deutschlands noch einmal im Kleinen vollzogen. Sowjets, Amerikaner, Briten und Franzosen übernahmen die Regierungsgewalt - alle vier mit Befugnissen über mehrere Bezirke, grob festgelegt auf der Alliierten-Konferenz in Jalta im Februar 1945 und kurz nach Kriegsende umgesetzt.

Tiefe Prägungen und viele Hinterlassenschaften
Knapp 50 Jahre wachten diese vier Mächte über Berlin. Ihr Abzug im Sommer 1994 beendete die offizielle Administration. Ihre Spuren blieben. Dieser Einfluss über Jahrzehnte ist zu erkennen an tiefen Prägungen, großen und kleinen Hinterlassenschaften. Es sind Denkmäler, Erinnerungstafeln und Büsten, luxuriöse Villen und wohnliche Hauskomplexe ebenso wie merkwürdige Begriffe und unaussprechliche Straßennamen - 30 Jahre liegt der Abzug nun zurück. Eine Spurensuche.
Die tiefste Spur dieser Besatzung ist die Mauer. Sie kam nicht sofort, sondern war die Eskalation einer Einteilung der Welt in Ost und West mit der Front in Berlin-Mitte.

Ein Streit zwischen den Alliiertenadministrationen über die Kontrollbefugnisse der Ostberliner Grenzer am 26. Oktober 1961 an der Grenzübergangsstelle Friedrichstraße geriet fast außer Kontrolle. Die DDR-Gendarme hatten einem amerikanischen Militär die unkontrollierte Durchfahrt verwehrt. Nationale und internationale Kamerateams dokumentierten dann das Anrücken amerikanischer Panzer am Checkpoint. Es war eine Art Prüfung der großen Mauerbefestigung des Ostens: Die einstigen Alliierten standen hier nun nicht mehr zusammen gegen Deutschland sondern drei Verbündete standen einem Ex-Verbündeten gegenüber: Ost gegen West und umgekehrt.

Berlin als Probefeld des weltweiten Kalten Kriegs
Zwei Monate vor diesem Panzeraufmarsch, am 13. August 1961, hatte die DDR-Führung begonnen, die Mauer zu bauen. Das Vorgehen der DDR-Regierung, also deren Politik der kompletten Abschottung gegen den Westen, war unterstützt von den sowjetischen Besatzungstruppen und offenbar hingenommen von den West-Alliierten. Von nun an war Berlin eine Art Probefeld des weltweiten Kalten Kriegs: Im Osten die Machtsphäre der Sowjetunion, gegenüber standen die Westmächte.
Kurz nach dem Sieg der Alliierten am 8. Mai 1945 war das zunächst noch anders. Die sowjetischen Truppen starteten wenige Wochen vor dem vereinbarten Einzug der Westalliierten nach Berlin im Tiergarten den Bau eines Denkmals für ihre Gefallenen und weihten es dann im November ein - auf dem Besatzungsgebiet der Briten.
Zunächst war der Wechsel zwischen den Sektoren noch leicht
Nach dem Eintreffen der Westmächte im Juni waren die Sektorengrenzen zwar kontrolliert, aber für alle - auch die Alliierten - passierbar. Doch separierte sich über die ersten 15 Jahre der Besatzung bis zum Mauerbau das Leben Schritt um Schritt in "Ost" vs. "West".
Zunächst wurden nur Schilder errichtet und die Administrationen arbeiteten getrennt, die Menschen aber gingen weiter zu ihren Jobs in Ost und zu ihren Wohnungen in West und umgekehrt. Eine Flucht - vor allem in die Westsektoren - hatte schon da begonnen, doch der Wechsel zwischen den Zonen war möglich.
Ab Juni '48 aber war dieser gemeinsame Alltag vorbei: In den drei Westsektoren wurde die Westmark eingeführt. Interzonal einzukaufen war für den Osten nun kaum mehr möglich. West-Artikel wurden zur teuren Begehrlichkeit.
Die Währungsinsel wurde zur Versorgungsinsel
Bis heute in der Umgangssprache - vor allem der Alten - blieb eine Hilfsleistung der Amerikaner für Europa vor allem aus den Monaten nach dieser Währungsreform in den Westsektoren: Die Carepakete.
Die Sowjets hatten im Juni 1948 als eine Art Antwort auf die Währungsreform die Landwege nach Westberlin abgeschnitten. Per Luft wurde Westberlin von den Amerikanern versorgt. "Hier sind sie gelandet, mit ihren Carepaketen", erzählen die Alten beim Vorbeifahren am Denkmal in Tempelhof. Kleine Köstlichkeiten, von den Flugzeugen abgeworfen oder als größere Pakete nach dem Verladen verteilt, waren auch im Osten begehrt, schon allein wegen der Konsumexotik: Kaugummis, Schokoladen und Konserven mit dem Geschmack der weiten Welt.
Doch bereits vor den Carepaketen hatte die Alltagskultur der Amerikaner Berlin erreicht - etwa in Form von Popcorn und Cola im Kino. Ebenso wichtig wie die Verpflegung im Kino waren dabei die Filme - auch für die in Berlin lebenden Amerikaner: Sie wollten ihre Filme im Original genießen, weshalb sie aber auch die Briten und Franzosen eigene Kinos einrichteten. Erhalten sind bis heute das Columbia oder das L'Aiglon der Franzosen und am Theodor-Heuss-Platz das Summit House der Briten im ehemaligen Funkhaus.
Ähnliche Sehnsuchtsorte wie die Kinos und Casinos der Westalliierten waren die Etablissements der Sowjets kaum. Zwar wurde auch dort gefeiert und angestoßen. Konzerte und Feste aber bekamen schnell einen überaus offiziellen Anstrich. Statt kleiner Freuden, gabs im Ost-Sektor eher Zeremonien. Gefeiert wurde hier sehr separiert.

Eine Kulturbotschaft der UdSSR
Das Haus der sowjetischen Kultur und Wissenschaften wurde erst spät, in den 80ern auf der Friedrichsstraße errichtet. Die Veranstaltungen und Filme, der Laden mit russichsprachigen Büchern und wenigen Souvenirs aus der Sowjetunion - all das wurden keine Sehnsuchtsorte. Es ging um Pracht und Inszenierung - die Feiern und Konzerte des Hauses konnten dann aber trotzdem gut werden. Der verfallene Zustand heute, drückt die Wertschätzung des Ortes und der Nationenverbundenheit aus - es ist irgendwie übrig geblieben.
Überhaupt gehörte zum Konzept vor allem der Amerikaner, die Berliner mitzunehmen. Musik, Film und Pepsi waren leichter verdaulich, als die im Osten als Kulturaustausch gepriesenen Brieffreundschaften nach Kasachstan oder Karelien.
Diese Spuren haben die Alliierten in Berlin hinterlassen
Vier Siegermächte, vier Infrastrukturen
Neben den Begegnungsstätten sind in Berlin hunderte Orte erhalten, saniert oder einfach noch da, Häuser, die Alliierte beherbergten, wo sie also einst untergebracht waren, feierten oder sich trafen. Viele Gebäude hatten die Truppen nach ihrem Einmarsch konfisziert und ihnen eine neue Funktion verpasst, etwa der Koordinierungsstab der Westalliierten, der vom Haus des Sport im Olympiapark aus operierte. Kasernen, Sprengplätze, Überwachungsstationen, Übungsplätze, Flughäfen, eigene Bahnhöfe und Kulturhäuser, Clubs und natürlich Friedhöfe - vier Siegermächte und vier Infrastrukturen.
Die Topografie der einstigen Teilung war dabei ausgeklügelt, nach dem Abzug aber schwer vernachlässigt und oft verfallen. Wer sie entdecken will, muss viel in Grünanlagen, Höfen und hinter verschlossenen Toren wühlen. Die Amerikagedenkbibliothek in Kreuzberg findet sich leicht, auch die sowjetischen Ehrfriedhöfe sind in Schuss, der mützenlose Steinlenin vom einstigen Leninplatz aber wurde im Forst in Köpenick verbuddelt.
Die kleinen Freakigkeiten aus dem geteilten Berlin
Was übrig geblieben ist, sind vor allem die Häuser. Man kann sie ablaufen und abfahren und sich kleine Geschichtsbrocken aus einer Museumsapp abspielen lassen. Lebhaft oder nachvollziehbar ist die Besatzungsgeschichte dabei aber nur schwer. Es fehlen die kleinen Landmarken über die Freakigkeiten dieser zweigeteilten Alliiertenherrschaft: ein Mini-Intershop vielleicht, oder ein Denkmal für die Deckadressen der Ostpostkarten an den Westhörfunk. Wo sind die Aussichtstürme auf der Westseite der Mauer geblieben, wo alle immer so schön rüberglotzen konnten auf die Freaks in der Zone? Und noch viel wichtiger: Wo sind die ganze Hirschwandteppiche aus dem Russenmagazin?

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