Linken-Politiker sieht "Demokratie-Problem" - Berlin hat keinen Überblick über Corona-Verstöße und Bußgelder

Mi 07.07.21 | 15:11 Uhr | Von Jan Menzel
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Vor dem Brandenburger Tor mit der Quadriga steht ein Schild mit Maskenpflicht. (Quelle: dpa/Sascha Steinach)
Video: Abendschau | 07.07.2021 | Dorit Knieling | Bild: dpa/Sascha Steinach

Ob Masken-Verweigerer oder illegale Park-Party: Seit Beginn der Pandemie gab es viele Corona-Verstöße. Doch die meisten Berliner Bezirke können nicht sagen, was aus den Verfahren geworden ist und wie viel Bußgeld eingezogen wurde. Von Jan Menzel

Die Berliner Bezirke können nicht genau sagen, was aus mehreren zehntausend Verfahren wegen Verstößen gegen die Corona-Auflagen geworden ist. Wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hervorgeht, die dem rbb exklusiv vorliegt, können viele Bezirke auch nicht beziffern, in welcher Höhe verhängte Bußgelder eingezogen wurden.

Für den rechtspolitischen Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Sebastian Schlüsselberg, ist die Intransparenz bei den Ordnungswidrigkeiten ein echter "Skandal": "Parlament und Öffentlichkeit müssen jederzeit wissen, wie viele Bußgeld-Verfahren gab es, welche Einnahmen sind entstanden, und welche Verstöße gegen Ge- und Verbote gab es", kritisiert er.

Corona-Verstöße teilweise nicht im System der Bezirke erfasst

Insgesamt haben die Bezirke der Senatsantwort zufolge bislang insgesamt 51.862 Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit den Corona-Verordnungen erfasst. Lediglich Marzahn-Hellersdorf und Neukölln geben einigermaßen vollständig Auskunft, wie viele Verfahren noch offen sind oder durch Verwarnungen und Bußgeldbescheide abgeschlossen wurden. Alle anderen Bezirke machen dazu keine Angaben.

Marzahn-Hellersdorf als "Positiv-Beispiel" meldet, dass von 1.752 erfassten Ordnungswidrigkeiten 637 mit einem Bußgeld belegt wurden. 519 Verfahren wurden eingestellt. Warum es andernorts mit der Datenerfassung nicht so klappt, beantwortet der Senat damit, dass in den Bezirken ein "nicht unerheblicher Teil der Anzeigen nicht im System erfasst" sei. Eine automatisierte Recherche sei nicht möglich und eine händische Auszählung durch Behörden-Mitarbeiter zu aufwändig.

Wenige Angaben zu Bußgeldern

Ähnlich lückenhaft präsentiert sich die Bezirks-Statistik bei den verhängten Verwarnungs- und Bußgeldern. Hier machen nur neun von zwölf Berliner Bezirken Angaben. Reinickendorf, Steglitz-Zehlendorf und Marzahn-Hellersdorf bleiben eine Antwort schuldig.

Aber selbst die auskunftsfreudigeren Bezirke lassen Fragen unbeantwortet. So beziffert Pankow die "Solleinnahmen" aus Buß- und Verwarnungsgeldern mit 152.920 Euro, gibt aber nicht an, wie viel von diesem Betrag schon verbucht wurde. Lichtenberg wiederum spricht von einem "Soll" von 201.485 Euro, wovon 131.021 Euro bereits auf dem Bezirkskonto eingegangen sind. Was mit den ausstehenden Beträgen ist, erfährt der Abgeordnete Schlüsselburg, der die Anfrage gestellt hatte, nicht.

Neun Bezirke: Einnahmen von 940.000 Euro bis Juni

Insgesamt melden die neun Bezirke bis Juni knapp 940.000 Euro Einnahmen aus Buß- und Verwarnungsgeldern im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Corona-Verordnung. Schlüsselburg bemängelt hier: "Es kann nicht sein, dass wir einerseits per Gesetz und Rechtsverordnung harte Eingriffe in die Grundrechte beschließen und das auch kontrollieren." Während anderseits völlig offen bleibe, wie die Verordnung durchgesetzt bzw. Verstöße sanktioniert werden.

Besonders "problematisch" sei diese Daten-Lücke, weil es die Staatsanwaltschaft im Bereich der Strafverfahren geschafft habe, vollständiges Zahlen-Material zu liefern, betont Schlüsselburg. Danach wurden in Berlin bis Juni dieses Jahres 2.938 Strafverfahren eingeleitet. Mehrere hundert davon wurden wieder eingestellt, knapp 800 als Ordnungswidrigkeiten eingestuft und an die Ordnungsämter der Bezirke abgegeben. In 161 Fällen erhielten Beschuldigte einen Strafbefehl. In 50 Fällen kam es zur Anklage.

Auswertung der häufigsten Corona-Verstöße nicht möglich

Am meisten ärgert den Rechtspolitiker Schlüsselburg aber, dass er keine Antwort darauf bekommen hat, für welche Verstöße am häufigsten Bußgelder verhängt wurden. Das zu erfassen, sei für viele Bezirksämter "nicht möglich", teilt die Innenverwaltung in der Antwort auf die parlamentarische Anfrage mit. Ob also eher "Masken-Sünder", Verstöße gegen das 1,50-Meter-Abstandsgebot oder zu große Menschenansammlungen draußen oder in Privatwohnungen die größten Probleme waren, bleibt unklar.

Für den Gesetzgeber wäre es aber extrem wichtig zu wissen, wo es bei der Umsetzung und Einhaltung der Corona-Verordnung gehapert habe, sagt Schlüsselburg, auch mit Blick darauf, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei: "Aus meiner Sicht sollten wir die Verordnung radikal entschlacken und vereinfachen." Nur noch die Dinge, die unbedingt verboten werden müssen, sollten seiner Meinung nach in die Verordnung aufgenommen werden. Alles andere könne wegfallen, weil es die Menschen nur verwirre, meint der Linken-Politiker. Vorbild könne eine "Umgangsverordnung" sein, wie Brandenburg sie habe.

Sendung: Abendschau, 07.07.2021, 19:30 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

37 Kommentare

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  1. 37.

    Anzeigen nicht im System erfasst ?
    Oh wieder zu wenig Personal.

  2. 36.

    Betr.: Geldausgabe. Ja, kann ich und ich kenne fast alles Preise für Dinge des täglichen Bedarfs.

  3. 35.

    Völlig zutreffend.
    Daher: Widerspruch einlegen, Anwalt einschalten.
    Ergebnis: Verfahren eingestellt. Stadt schaut in die Röhre.

    Vielleicht lernt man ja mal daraus, weniger sinnlose Verbote zu verabschieden wie die nutzlose FFP2 -Feinstaubmasken-für.-Bauarbeiter-Tragepflicht im Bus auch wenn man der einzige Fahrgast ist und in einem Doppeldecker oben ganz hinten sitzt.

  4. 34.

    Und somit haben sie die nächste Runde der Leerdenker Verschwörungstheorien eingeläutet. Gratuliere!

    Ich bin immer noch entsetzt wieviele es von ihnen gibt. Auch wenn das hier nicht repräsentativ ist, zeigt es doch gut wieviele Leerdenker und Covidioten es noch gibt. Wenn auch die meisten inzwischen nicht mehr Corona an sich leugnen, es werden entweder die Maßnahmen angezweifelt oder die Wirksamkeit der selbigen oder man leugnet die Schwere der Pandemie. Oder man verweist auf die "da oben" die Maßnahmen nur ergriffen haben um sich zu bereichern.

    Schlimm genug, dass es solche Krisengewinnler gibt, noch unerträglicher sind solche Leute. Diskutieren sinnlos.

  5. 33.

    Bravo, diese Stadt kann und weiss gar nichts.
    Diese Regierung kann und weiss auch nichts.

    Wie soll man von diesem bürokratischen Haufen erwarten, dass sie in der Lage sind, Kontakte nachzuverfolgen und Infektionsketten zu durchbrechen?

    Hauptsache man kann die Leute aus reiner Willkür abzocken.
    Was dann mit den Geldern passiert, das weiß keiner so genau???

  6. 31.

    Der Senat vertraut in solchen Sachen auch die Unterstützung der Gerichte…. die sagen dann schon was ok ist. :D
    https://www.rbb24.de/politik/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/05/berlin-landesverfassungsgericht-stoppt-bussgelder-abstandsregeln.html

  7. 30.

    Na wenn das das dringstende Problem in dieser Stadt ist, keine Statistik über Regelverstöße zu haben, dann geht's uns ja ganz gut. Mir fallen dringendere und wichtigere Aufgaben für die Verwaltung ein.

  8. 29.

    Dann könnten die Gelder auch in die eigene Tasche geflossen sein????

  9. 27.

    Die nächste die nicht verstanden hat wo der Unterschied zwischen den Bezirken und dem Senat liegen. Lesen sie die Artikel überhaupt, die sie kommentieren? Wohl nicht.

    So wie Kevin oder Heide...

    "Danach wurden in Berlin bis Juni dieses Jahres 2.938 Strafverfahren eingeleitet. Mehrere hundert davon wurden wieder eingestellt, knapp 800 als Ordnungswidrigkeiten eingestuft und an die Ordnungsämter der Bezirke abgegeben."

  10. 26.

    Danke.

    Wo findet man stichhaltige Beweise über die nach Ihrer Einschätzung willkürlichen Maßnahmen?

    Denken Sie nur an das vielseitige Klagen gegen die Maskenappelle und -pflichten, während 2020 in Jena kurz nach Einführung der dortigen Maskenpflicht, der dort fast die gesamte Bevölkerung nachkam, die Corona-Zahlen zurück gingen.

    Noch was: Es wird berichtet, dass sich Asiaten in ihren Ländern auch bei Grippewellen u.ä. dagegen mit Masken schützen. Soll man deswegen Asiaten pauschal für dumm erklären?

    Ich glaube nach wie vor (was hier manche ärgert), dass die Reduzierung der Testungen direkt die 7-Tages-Inzidenzwerte schönt, weil mit weniger Testungen eben auch weniger Positive erfasst werden.

  11. 25.

    Danke.

    Ich wäre vorsichtig mit Schnell- und Umkehrschlüssen: WER weiß wirklich GENAU, OB die massenhaften Regelverstöße WIRKLICH die URSACHE zur Normalisierung der Situtaion führten/führen? Denken Sie nur an das vielseitige Klagen gegen die Maskenappelle und -pflichten, während 2020 in Jena kurz nach Einführung der dortigen Maskenpflicht, der dort fast die gesamte Bevölkerung nachkam, die Corona-Zahlen zurück gingen.

    Noch was: Es wird berichtet, dass sich Asiaten in ihren Ländern auch bei Grippewellen u.ä. dagegen mit Masken schützen. Soll man deswegen Asiaten pauschal für dumm erklären?

    Ich glaube nach wie vor (was hier manche ärgert), dass die Reduzierung der Testungen direkt die 7-Tages-Inzidenzwerte schönt, weil mit weniger Testungen eben auch weniger Positive erfasst werden.

  12. 24.

    "Berlin hat keinen Überblick über Corona-Verstöße und Bußgelder"
    Na und? Wo ist das Problem?
    In Brandenburg wurde 2020 ein angezeigter vorsätzlicher Verstoß gegen Coronaregeln nicht verfolgt.
    Das zuständige Gesundheitsamt PM wurde nicht im Sinne der Anzeige tätig und stellt das Verfahren ein. Eine eingereichte Dienstaufsichtsbeschwerde an Nonnemacher wird nicht bearbeitet ("sie leben doch noch"), eine Dienstaufsichtsbeschwerde über Nonnemacher an Woidke wird nicht bearbeitet und die StA Potsdam erklärt nicht zuständig zu sein da es eine OWI sei und stellt ein Ermittlungsverfahren gegen das angezeigte Gesundheitsamt ein.
    Wer gibt der Polizei unter solchen Bedingungen das Recht Demonstranten wegen angeblicher Verstöße festzunehmen, wie geschehen? Aber das war ja Berlin, sorry, mein Fehler. In diesem Brandenburg wäre das nie passiert.
    Wer Jahrzehnte im Polizeidienst war, bei enger Zusammenarbeit mit Bundesbehörden und Stäben, fängt an am System zu zweifeln.

  13. 23.

    So willkürlich wie die Coronaschutz- und Maskenzwang-Verordnungen sind auch die Willkürlichkeiten bei der Ahndung von Verstößen dagegen und den Bußgeldern.

  14. 22.

    Und wen haben Sie da im Blick? Wird jetzt endlich eine wählbare Partei gegründet? Machen Sie das?

  15. 21.

    Was mich wundert: die Infektionszahlen sind radikal zurückgegangen, Gleichzeitig jammern die Politiker, dass sie keinen Überblick über Einnahmen haben obwohl es "massenhaft" Regelverstöße" gab.
    Wenn massenhafte Regelverstöße dazu führen, dass sich die Situation normalisiert dann vielleicht wäre es an der Zeit über den Sinn , die Realitätsnähe und den Umfang dieser Regel nachzudenken ?

  16. 20.

    maximaler Schwachsinn mit diesem angeblichen "datenschutz".

  17. 19.

    Berlin hat keinen Überblick über irgendwas, lol.

  18. 18.

    Sehr geehrter "Nurso",
    genau das ist das Problem. Vor allem im ÖPNV, gerade in der S-Bahn im Berufsverkehr einen Abstand von 1,50 m einzuhalten geht nicht. Da sind sogar die Fahrausweiskontrolleure näher dran. Da sind noch nicht einmal 70 Zentimeter drin. Selber gemessen.
    Mit freundl. Grüßen

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