Familiäre Verbindungen nach Reinickendorf - Zahl der Corona-Infizierten in Neuköllner Wohnblocks steigt auf 70

Mi 17.06.20 | 08:58 Uhr
16.06.2020, Berlin: Ein Polizeifahrzeug steht vor einem Wohnhaus an der Harzer Straße in Neukölln, das unter Quarantäne gestellt wurde. (Quelle: dpa/Zinken)
Audio: Radioeins | 17.06.2020 | Interview mit Martin Hikel | Bild: dpa/Zinken

Die Lage in den unter Quarantäne stehenden Haushalten in Neukölln wird ernster: Die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten ist weiter angestiegen, sagte Bezirksbürgermeister Hikel dem rbb. Auch das Gesundheitsamt in Reinickendorf beschäftigt sich mit dem Fall.

Nach dem jüngsten Ausbruch des Coronavirus in Berlin-Neukölln hat sich dort die Zahl der Infizierten inzwischen auf 70 erhöht. Dieser Zwischenstand sei dem Bezirk am Dienstagabend mitgeteilt worden, sagte Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) am Mittwochmorgen dem rbb. Am Dienstag selbst lag diese Zahl noch bei 57.

Die 70 Infizierten seien auf zahlreiche Haushalte verteilt, sagte Hikel im Interview mit Radioeins. Den meisten gehe es den Umständen entsprechend gut, sie hätten nur milde Symptome von Covid 19, so Hikel. Derzeit stehen insgesamt 369 Haushalte in mehreren Wohnblocks in Neukölln unter Quarantäne. In Mietshäusern nahe des Treptower Parks hatte es in den vergangenen Tagen einen sprunghaften Anstieg von Corona-Infektionen gegeben.

Schwierige Aufklärungsarbeit vor Ort

Wer genau den Ausbruch ausgelöst habe, lasse sich nicht sagen, betonte Hikel. Zwar habe die "Detektivarbeit" des Gesundheitsamtes bei einem Pfarrer begonnen, "aber ob das die effektive Ursache ist, ist unklar, das lässt sich nicht so einfach sagen", betonte der Bezirksbürgermeister im rbb-Interview.

Da die Corona-Disziplin in der Bevölkerung allgemein nachlasse, sei es in der jetzigen Situation schwieriger, auch den betroffenen Menschen in Neukölln zu verdeutlichen, "dass das Virus immer noch da ist und dass man die Quarantäne einhalten muss, um seine Mitmenschen zu schützen", so Hikel. Gleichwohl sei "noch niemand aufgetaucht, der sich strukturell gegen die Quarantänemaßnahmen wehrt. Wenn man mit den Menschen redet, dann sehen sie das auch ein."

Gesundheitsamt in Reinickendorf prüft Verbindungen - Kritik an App

Derweil gibt es familiäre Verbindungen von den Betroffenen in Neukölln zu Reinickendorf, erklärte der Amtsarzt des Bezirks, Patrick Larscheid, am Mittwochmorgen im Inforadio des rbb. Er gehe aber nicht davon aus, dass sich der Coronavirus-Ausbruch von Neukölln weiter ausbreitet.

Diese Wahrscheinlichkeit halte er "für nicht besonders groß", sagte Larscheid im Inforadio. Die Infektionsfälle seien auf eine relativ abgeschlossene Bevölkerungsgruppe begrenzt, die gemeinsame Merkmale habe: "Es sind sehr arme und zum großen Teil auch bildungsferne Menschen, die uns sehr vertraut sind im Gesundheitsamt, die wir aber schlecht erreichen und die in einer gewissen Abschottung zu anderen leben", so Larscheid im Interview.

Das Corona-Virus führe vor allem bei benachteiligten Menschen dazu, dass sie es in so einer Situation schwer haben. Mit Blick auf die am Dienstag veröffentlichte App sagte Larscheid, diese sei eher als "Spielzeug für die digitale Oberschicht" zu werten. Daher könnten ärmere und benachteilige Menschen weniger gut vor Infektionen geschützt werden. "Das ist nicht nur so in Berlin, sondern auch ein deutschlandweites Problem", sagt Larscheid.

Müller lobt Krisenmanagement in Neukölln

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) äußerte sich positiv zum Vorgehen der Verantwortlichen in Neukölln. Der Fall sei eine gelungene Bewährungsprobe für die deutsche Corona-Teststrategie, wie Müller am Mittwoch im Inforadio des rbb sagte.

Die Berliner Teststrategie sieht vor, dass nicht flächendeckend, sondern in sogenannten sensiblen Bereichen gezielt und wiederholt getestet wird. Das habe im Fall Neukölln gut funktioniert, so Müller. Tests an Schulkindern in Neukölln hätten gezeigt, dass es dort in Haushalten ein Problem geben könne. Das Gesundheitsamt habe reagiert und die Quarantäne ausgesprochen. Jetzt werde in den Familien weiter getestet, um festzustellen, wie viele Menschen betroffen sind und isoliert werden müssen - und wo Entwarnung gegeben werden könne. "Dass man über eine Teststrategie den möglichen Infektionsherd lokalisiert und dann mit mehr Kapazitäten dort reingeht und gezielt reagiert, scheint sich ja hier auszuzahlen", so Müller.

Die Bewohner der 369 Haushalte an sieben Standorten in Neukölln dürfen ihre Wohnungen 14 Tage lang nicht verlassen. Der Bezirk will sich nicht festlegen, wie viele Menschen von der Maßnahme betroffen sind. Pro Haushalt gebe es einen bis zehn Bewohner, damit könnten mehrere Hundert bis einige Tausend betroffen sein, hieß es. Obwohl auch Kinder unter den Infizierten sind, entschied sich der Bezirk zunächst gegen Schulschließungen.

Das vollständige Interview mit Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel auf Radioeins können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Radioeins, 17.06.2020, 7:40 Uhr

Anmerkung der Redaktion: Liebe Userinnen und User, in einer früheren Version dieses Artikels haben wir den Begriff "Mietskaserne" verwendet. Da dieser Begriff vornehmlich Mietshäuser zu Zeiten der Industrialisierung beschreibt, haben wir ihn geändert. 

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