Landtagsdebatte in Potsdam - Streit über Lernrückstände an Brandenburger Schulen

Fr 19.11.21 | 11:26 Uhr
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In der 9. Klasse der Gesamtschule in Münster hat eine Schülerin ihre Maske unter das Kinn gezogen (Bild: dpa/Guida Kirchner)
Bild: dpa/Guida Kirchner

Gut 68 Millionen Euro stehen Brandenburg für das Bund-Länder-Programm "Aufholen nach Corona" zur Verfügung, um die Lernrückstände an den Schulen abzubauen. Im Parlament gab es Streit über die Frage, ob das Geld richtig eingesetzt wird. Von Oliver Soos

Die AfD-Fraktion hatte die Aktuelle Stunde zum Thema "Lernrückstände" im Landtag beantragt. Ihr bildungspolitischer Sprecher, Dennis Hohloch, nutzte die Debatte für einen bekannten AfD-Vorwurf: Nicht das Corona-Virus sei für die Lerndefizite bei den Schülern verantwortlich, sondern die Coronapolitik der Landesregierung, mit den - aus Hohloch's Sicht - völlig unnötigen Lockdowns.

Nun würden die 68 Millionen Euro, zum Abbau der Lernrückstände, falsch eingesetzt. "Ein Großteil ihres so genannten Aufholprogramms verpulvert in der Hand von freien Trägern. Ferienprogramme, wie ein Graffiti-Kurs, hören sich nett an, aber wenn Lernrückstände abgebaut werden sollen, bringt es nichts, wenn ich mit einer Sprühdose in der Hand dastehe", sagte Hohloch.

Zu viel Fokus auf "pauken, pauken"?

Seine Forderung: eine Konzentration auf die Schließung von Wissens- und Könnenslücken. Außerdem sollten mehr Schulpsychologen eingestellt werden und jede Schule solle 5.000 Euro bekommen, um das freizeitpädagogische Programm selbst zu gestalten, mit selbst ausgewählten Partnern, so Hohloch. Das Brandenburger Aufholprogramm sieht 3.000 Euro pro Schule zur freien Verfügung vor.

Widerspruch kam von der SPD-Fraktion. Ihre bildungspolitische Sprecherin, Katja Poschmann, warf der AfD vor, den enormen Erfolgsdruck, der durch den verpassten Unterricht auf den Schülern laste, zu verstärken. "Sie legen ihren Fokus immer nur auf: pauken, pauken. Kinder und Jugendliche sind aber noch mehr als Schülerinnen und Schüler. Schulen sind auch ein Ort des Miteinanders, der individuellen Entfaltung und des sozialen Lernens. Diesen Raum braucht es jetzt mehr denn je", sagte Poschmann.

Kindern ganzheitlich helfen

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende, Petra Budke, griff die AfD scharf an. Der Partei stehe es nicht zu, sich zum "vermeintlichen Fürsprecher" der Kinder und Jugendlichen zu machen. "Ausgerechnet die Fraktion, die hier im Landtag beharrlich alle Schutzmaßnahmen in Kitas und Schulen abgelehnt hat. Sie haben doch maßgeblich dazu beigetragen, eine Coronaleugner-Stimmung im ganzen Land zu erzeugen, so dass die Impfquote immer noch viel zu niedrig ist", sagte Budke. AfD-Fraktionschef Christoph Berndt wies das zurück, als "absurde Vorwürfe". Budke würde eine "Politik der Angstmache" verfolgen und "jeden kritischen Gedanken verteufeln", so Berndt.

Das Aufholprogramm der Landesregierung wurde auch von den Linken kritisiert, allerdings aus einer anderen Richtung. "Allein der Name des Programms ist demotivierend: Du musst aufholen. Was wir brauchen ist ein Rückenwind-Programm - Motivation", forderte die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Dannenberg. Die Stimmung an den Schulen sei "nicht die beste". Dannenberg erwähnte die vielen Überlastungsanzeigen und den hohen Krankenstand bei den Lehrern und warf der Bildungsministerin vor, kein Konzept zu haben, sondern nur Geld zur Verfügung zu stellen und damit den Druck an die Schulen abzugeben.

BVB/Freie Wähle fordern mehr Rücksicht auf kindliche Bedürfnisse

"Kümmern sie sich um eine nachhaltige Besetzung von offenen Stellen an unseren Schulen. Sorgen sie für Schulsozialarbeiter an allen Schulen, anstatt die Schulkrankenschwestern zu entlassen. Geben sie den Lehrkräften und Kindern mehr Zeit zum Lernen", forderte Dannenberg.

Der Fraktionsvorsitzende von BVB/Freie Wähler, Peter Vida, sprach sich dafür aus, auf "kindliche Bedürfnisse" Rücksicht zu nehmen. "Kinder brauchen auch Zeit zum Spielen und zur Erholung, um sich zu entwickeln. Wir müssen Kindern ganzheitlich helfen, mit den vielfältigen Auswirkungen der Pandemie auf Bildung, soziale Interaktion und sozio-emotionale Entwicklung", sagte Vida.

Keine verlorene Generation

Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) verteidigte das Brandenburger Aufholprogramm, das aus einer Bund-Länder Initiative entstanden sei. "Die Kultusministerkonferenz lässt sich dabei von zwölf exzellenten Professorinnen und Professoren ständig beraten. Das ist die Creme de la Creme der deutschen Bildungsforschung. Ihre Hinweise finden sich auch im Brandenburger Aktionsprogramm wieder", so Ernst.

Die Ministerin nannte die aus ihrer Sicht wichtigsten Punkte des Programms: eine befristete Einstellung von 200 zusätzlichen Lehrern, diejenigen Schüler in den Fokus nehmen, die den meisten Unterstützungsbedarf haben. Einen Schwerpunkt auf Deutsch und Mathematik legen und auch auf die psychosoziale Befindlichkeit der Kinder schauen. Ernst betonte, dass man den Jugendlichen nicht den Stempel der „verlorenen Generation“ aufdrücken solle. Rund zwei Drittel der Jugendlichen hätten die Corona-Einschränkungen gut überstanden.

Sendung: Brandenburg aktuell, 18.11.2021, 19:30 Uhr

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13 Kommentare

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  1. 13.

    "Aufholen nach Corona" ???

    bisher sind wir mittendrin, von wegen nach Corona

  2. 12.

    Yess, und der absolute Witz ist, daß wir dazu an zwei „Studientagen“ die Lernstände erfasst haben und Elterngespräche führten - natürlich fiel an diesen Tagen der Unterricht für die Kiddis aus = 12 Unterrichtsstunden. Wann werden die kompensiert? Peinlicher geht’s doch wohl nicht.

  3. 11.

    In Berlin hat Frau Scheeres sich für das Förderprogramm “Stark trotz Corona“ feiern lassen. Seit Wochen warten die Kinder, Eltern und Lehrer darauf, dass es los geht… Leider gibt es gar kein ausgebildetes Personal dafür- dieses Problem hatte man wohl verdrängt…. Auch diese Frühlings-, Sommer- und Winterschulen zum Aufholen von Lernrückständen waren bisher eher ein Witz und hielten rein gar nichts von dem, was im Flyer vorher versprochen worden war! Ich warte seit Wochen darauf, dass die Abendschau da mal nachhakt!!!!

  4. 10.

    Das Wort "exzellent" in einem Text zur derzeitigen Bildungspolitik scheint extrem deplaziert...

  5. 9.

    „Die Kultusministerkonferenz lässt sich dabei von zwölf exzellenten Professorinnen und Professoren ständig beraten.“ - na Halleluja ! Wenn mir Eunuchen erzählen, wie es geht, es aber selber nicht können, was soll da raus kommen? Frau Ernst´s Begründung ist doch wohl eher peinlich.

  6. 8.

    Auf direkte Nachfrage in der Schule meiner Tochter sagte eine Lehrerin: Wir haben mehr Srunden für Mathe bekommen, können die aber nicht besetzen. Wenn meine Tochter in Mathe besser werden muß, dann sollen wir uns lieber selbst um Nachhilfe kümmern. 10. Klasse-also wichtig...

  7. 7.

    Also in unserer Schule gibt es Mathenachilfe....für mehr gibt es keine Lehrer. Das wars.
    Doof, wenn man kein Mathe benötigt

  8. 6.

    Das Geschwätz von der AFD kann man eigentlich nur belächeln, wenn es nicht so brandgefährlich wäre. Diese Abgeordneten verdienen eigentlich nicht ihren Namen, denn das einzige Ziel ist Stimmung machen. Wie man ein Förderprogramm nennt ist eigentlich egal, aber mit den Ministerposten im Bildungsministerium hatten wir doch bisher nie echte Fachkräfte. Frau Münch folgte Frau Ernst und beide haben nix gerissen. Das sich nun aber wieder die Linke hinstellt und Kritik übt finde ich schon sehr lustig.

  9. 5.

    Wir haben die Mail mit den Angeboten zum "Aufholen" auch bekommen. Die Angebote waren sozusagen ausnahmslos Ringelpietz mit Anpacken. Floß bauen und Zeichnen mit Buntstiften mit 20 dem Kind völlig fremden anderen Kindern aus anderen Landesteilen Brandenburgs. Da war nix mit MatheDeutschEnglisch. Nix. Gar nix. Und die Angebote waren auch fast ausnahmslos für GRUNDschüler. Sie dienten also der Kinderlandverschickung in den Schulferien, damit die Eltern schön weiterarbeiten können, der Urlaub war ja schon für den Lockdown draufgegangen... Da hätte die Hort-Bespaßung auch völlig ausgereicht für die Grundschüler!

    Wenn Frau Ernst meint, diese Kurse wären von der Creme de la Creme empfohlen worden, würde ich die Creme gerne mal sprechen. Das waren die wg. Corona LIEGENGEBLIEBENEN Kurse der Klassenfahrtsanbieter! Das hat einen touch von "Maskendeal". Sorry.

    Aufgeholt wurde da nur der Umsatz der Anbieter von Kinderfreizeiten!

  10. 4.

    Corona gibt es jetzt 2 Jahre und ebenso lange gibt es die Einschränkungen für die Kinder. Noch im Fruehsommer hat Frau Ernst öffentlich erklärt, dass die Lernrueckstaende nicht dramatisch sind. Wenn diese Aussage gestimmt hätte hätte es ein solches Programm nicht bedurft. Aber diese Aussage hat nicht gestimmt und jetzt muss man Frau Ernst vorwerfen zu spät dieses Programm aufgelegt zu haben.

  11. 3.

    So kommt Brandenburg niemals von den letzten Plätzen weg. Und wenn die Zielerreichung das Maß aller Dinge ist, so muss man schon fragen, warum eine arrogant und eitel anmutende Verordnungsschreibende Verwaltung sich "zu fein" ist, sich von der Creme de la Creme der deutschen Bildungslandschaft, also der praktischen Profis beraten zu lassen: nämlich den Lehrern vor Ort?

  12. 2.

    Persönlich finde ich, egal welche Entscheidungen hier getroffen werden, sie kommen einfach viel zu spät. Inzwischen ist rund ein Drittel des Schuljahres vergangen und man redet immer noch, wie und in welcher Form die Mittel und Personal eingesetzt werden sollen. Die Schüler sind die Leidtragenden, sie müssen ihren Abschluss und später ihre Ausbildung oder ihr Studium noch machen, die Politiker dagegen haben ihre schon lange Zeit in der Tasche ...

  13. 1.

    Profitiert eines eurer Kinder davon? Oder kennt ihr ein solches Kind? Wo verpufft dieses Geld denn da gerade wieder?

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