"Long Covid" - Genesen, aber nicht gesund - über Langzeitfolgen von Covid-19

Do 19.11.20 | 07:32 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
Lungen- und Muskeltherapie nach einer Corona-Erkrankung. (Quelle: imago-images/Terrence Antonio James)
Bild: imago-images/Terrence Antonio James

Nach der Genesung ist Covid-19 längst nicht überstanden. Zehn bis 20 Prozent der Patienten leiden unter Langzeitfolgen - auch diejenigen, die einen milden Krankheitsverlauf hatten. Dabei ist nicht nur die Lunge betroffen. Von Efthymis Angeloudis

Sechs Wochen lang wird Brigitte H. im Krankenhaus stationär behandelt. “Der Husten war so stark, dass ich nachts nicht schlafen konnte”, sagt sie. Die Diagnose: Lungenentzündung. Erst später bestätigt ein Test, was die Ärzte befürchten: Brigitte H. hat Covid-19. Um atmen zu können, wird der 80-Jährigen Sauerstoff gegeben, eine künstliche Beatmung ist nicht notwendig. Ein Krankheitsverlauf wie dieser wird von Experten als "mittelschwer" bezeichnet. Dennoch muss Brigitte H. nach der Entlassung aus der Klinik in die pneumologische Post-Corona-Rehabilitation.

H. geht dazu in die Reha-Klinik in Flechtingen. In diese kleine Gemeinde in Sachsen-Anhalt kommen Patienten nach einem Krankenhausaufenthalt mit einem Ziel: die Wiederherstellung ihrer Lungenfunktion nach einer durch Covid-19 verursachten Lungenentzündung. Durch Gymnastik, Muskeltraining und Physiotherapie soll die Lunge der Patienten gestärkt werden, ihnen aber auch geholfen werden, wieder stehen und gehen zu können.

Anhaltspunkte für neurologische Symptome von Covid-19

Und das betrifft einen nicht unerheblichen Teil der Genesenen. Laut Daten der Krankenkasse AOK wurden von insgesamt 11.004 Patienten, die zwischen dem 1. Februar und dem 30. April 2020 in einem Krankenhaus mit Labortest-bestätigter Covid-19-Diagnose aufgenommen wurden, 2,6 Prozent im Anschluss in eine Rehabilitationseinrichtung entlassen.

Auch Monate, nachdem der Sars-CoV-2 Erreger bei Patienten nachgewiesen wurde, leiden viele Erkrankte an langfristige Folgeschäden, dem sogenannten "Long Covid" - und das längst nicht nur im Bereich der Lunge. "Die Beine vieler Patienten, die zu uns in die Klinik kommen, sind wie Wackelpudding", sagte Per Schüller, Chefarzt der Abteilungen Kardiologie und Pneumologie der Median-Klinik Flechtingen, dem rbb.

Bei allen Patientinnen und Patienten, die in der Pneumologe behandelt werden, ist die Lunge betroffen, meistens in Form einer Gasaustauschstörung. Doch auch ausgeprägte Muskelschwächen seien eine häufige Begleiterscheinung, erklärt Schüller. Das könne mit der langen stationären Behandlung zusammenhängen. Es gebe aber auch Anhaltspunkte für andere Gründe. "Wir haben auch Hinweise auf eine neurologische Beteiligung am Krankheitsbild unserer Patienten gesehen", sagt Schüller. Diese Patienten hätten neurologische Symptome wie ataktische Gangstörungen, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Konzentrationsstörungen und Einschränkungen der Merkfähigkeit.

Neurologische Folgen hängen nicht von Schwere der Erkrankung ab

"Diese Folgen hatten wir aber auch bei jüngeren Patienten", betont Schüller. Ebenfalls falle auf, dass neurologische Folgen nicht von der Schwere der Covid-Erkrankung abhängen. Auch bei milden Krankheitsverläufen könne es neurologische Begleiterkrankungen geben.

Schon länger häufen sich Berichte, dass Covid-19-Patienten einen Verlust ihres Geruchssinns [br.de] erleiden. Dieser kann wochenlang andauern - und ist auch ein Hinweis darauf, dass das Virus das Nervensystem angreift. Ob hinter dem Verlust des Geruchssinns noch schwerwiegendere Folgen für das Gehirn [aerzteblatt.de] liegen, ist noch nicht abschließend geklärt.

Manche Betroffene mit leichten Verläufen leiden ebenfalls Monate nach einer Covid-19-Erkrankung an anhaltender Erschöpfung und Müdigkeit, Atembeschwerden und Konzentrationsschwäche. Laut einer Studie des St. James's Hospitals [sueddeutsche.de] in Dublin litten rund 52 Prozent der Befragten auch zehn Wochen nach ihrer Genesung unter Müdigkeit und Konzentrationsschwäche – ganz unabhängig von der Schwere der Corona-Erkrankung. Diese Erkenntnisse werden durch eine weitere Studie, die im Juli durchgeführt wurde [rnd.de], gestützt. 87 Prozent der 143 genesenen Patienten eines Krankenhauses in Italien litten noch zwei Monate nach ihrer Behandlung unter Müdigkeit.

Zehn bis 20 Prozent der Erkrankten leiden an Langzeitfolgen

Studienergebnisse wie diese haben auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) alarmiert. "Für eine bedeutende Zahl von Menschen hat dieses Virus eine Reihe ernsthafter Langzeitfolgen", sagte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus im Oktober. Berichte über anhaltende Komplikationen nach Covid-19 gebe es von Krankenhauspatienten ebenso wie von daheim behandelten, jungen sowie alten Menschen. "Besonders besorgniserregend ist die große Bandbreite an Symptomen, die sich im Laufe der Zeit verändern, oft überschneiden und jedes System im Körper betreffen können", sagte Tedros.

Zahlen dazu, wie viele Patienten betroffen sind, gibt es laut WHO noch nicht. Laut Professor Michael Hallek, Direktor der Klinik I Innere Medizin an der Uni-Klinik Köln leiden zehn bis 20 Prozent [wdr.de] der Covid-Patienten noch monatelang an den Folgen.

Neurologische Folgen häufig bei milden Krankheitsverläufen

Pneumologische und neurologische Folgen sind die häufigsten Langzeitfolgen, sagt Wolfgang Galetke, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Pneumologie der auf Covid-19 spezialisierten Rehaklinik Hagen-Ambrock. Dabei seien die neurologischen Folgen überrepräsentiert. "Bei vielen Patienten bleibt die Störung im Geruchssinn über Monate persistierend." Auch Schwindel und Gangstörungen seien bei Patienten, die keine Lungenschäden hätten, auffällig. "Auf der anderen Seite beobachten wir Lungenveränderungen bei Patienten, bei denen Geschmacksstörungen nicht im Vordergrund stehen", fügt Galetke hinzu.

Das lässt darauf schließen, dass bei Betroffenen mit einem milden Krankheitsverlauf häufig neurologische Folgen im Vordergrund stehen - bei Patienten mit schwerem Verlauf pneumologische Folgen. "Bei einigen scheint das Virus durch den ACE-Rezeptor in der Zunge und im Rachenbereich in das Nervensystem einzudringen, das Geruch und Geschmack meldet", erklärt Galetke. Bei einem Drittel der Patienten bleibe es jedoch nicht dabei, sondern das Virus könne neben Gangstörungen oder kognitiven Beeinträchtigungen beispielsweise auch Schlaganfälle hervorrufen.

Begleiterscheinung Angst

Ob sich die Langzeitfolgen erfolgreich behandeln lassen, kann Galetke noch nicht sagen. Bei den Krankheiten Mers und Sars, die ebenfalls durch ein Coronavirus hervorgerufen werden, habe jedoch die Hälfte der Patienten ein halbes Jahr nach Erkrankung immer noch unter neurologischen Folgen gelitten - aber auch unter psychischen.

Psychische Folgen beobachtet Mediziner Schüller in Flechtingen auch bei Covid-19. "Sehr viele Patienten leiden unter einer enormen Angst, das nicht noch einmal mitmachen zu müssen." Eine Begleiterscheinung die auch Brigitte H. attestieren kann. "Es macht mir Angst", sagt die 80-Jährige. "Ich habe nicht all zu große Hoffnung, dass es mir im Moment besser gehen wird."

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