BSW-Landesparteitag - Sahras bunte Truppe für Brandenburg
Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat am Samstag das Programm und die Kandidatenliste für die Landtagswahl im September beschlossen. Kontroverse Debatten gab es nicht. Sahra Wagenknecht trat zum ersten Mal vor dem Landesverband auf. Von Thomas BIttner
- Sahra Wagenknecht erwartet bei Brandenburg-Wahl Zeichen gegen “unsägliche Ampelregierung”
- BSW will für “Vernunft, Frieden, Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit” einstehen
- Keine Direktkandidaturen in den Wahlkreisen
Symbolisch soll der Ort wirken. Man trifft sich im Potsdamer Hotel direkt gegenüber vom Landtag, in den das Bündnis Sahra Wagenknecht im Herbst einziehen will. Auf dem Flur werden Häppchen von Waldorfsalat und Frühlingsrollen gereicht. Im Konferenzraum haben sich 31 abstimmungsberechtigte Parteimitglieder versammelt, es sind weniger als die anwesenden Journalisten.
Genaugenommen sitzt in diesem Raum fast der gesamte Landesverband beisammen, mehr als 40 Mitglieder hat er nicht. Die Wagenknecht-Partei ist sehr strikt bei Neuaufnahmen, die Partei soll nur langsam wachsen. Gesteuert wird das aus der Bundesspitze der Partei.
Es ist der ehemalige Linken-Landtagsabgeordnete Hans-Jürgen Scharfenberg, der in der Debatte später über Unverständnis bei denen berichtet, die sich gern in der Partei engagieren wollen, aber abgewiesen werden. Die Landesverbände sollen doch eigene Entscheidungen treffen können, damit man die Kräfte voll entfalten kann. Viel mehr Kritik zum Parteiaufbau wird man an diesem Tag in Potsdam nicht hören.
Kurz nach 10 Uhr begrüßt der Landesvorsitzende Robert Crumbach die versammelte Partei und entschuldigt sich, dass man das Wahlprogramm wegen der fehlenden Zeit leider nicht ausführlich mit allen Beteiligten vorher diskutieren konnte. Bei der Vorstellung des Programms erwähnt er die derzeit im Landtag vertretenen Parteien nur am Rande. Ja, die Schulpolitik in Brandenburg werde von “Dilettanten” gemacht, die Defizite in der Bildung führt er auf 34 Jahre sozialdemokratische Verantwortung zurück.
Wenig sagt er zur Asyl- und Flüchtlingspolitik. Die Kommunen seien mit den Folgen der Migration alleingelassen worden. Das muss als Signal für diejenigen reichen, die sich wegen der Zuwanderung und Geflüchteten im Land für das Bündnis interessieren.
Wahlprogramm streift viele Themen und bleibt vage
Das BSW fühlt sich längst als politischer Vollsortimenter und will in allen Politikfeldern mitspielen. Das Wahlprogramm der Partei streift viele Themen und bleibt oft vage. Viele Forderungen klingen kompatibel zu den Mitbewerbern. Mit allzu viel Radikalität soll niemand abgeschreckt werden.
Man wolle alle Krankenhausstandorte sichern, auch die acht bis zehn Häuser, die akut gefährdet seien. Eine solche Forderung würde auch Brandenburgs grüne Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher unterschreiben. Familien sollten entlastet werden, durch kostenloses Schulessen oder kostenfreie Krippen. Dafür würde das BSW bei den Linken keinen Widerspruch ernten. Crumbach fordert mehr Sicherheit in den Grenzregionen. Ob man dafür eine eigene Grenzpolizei brauche, müsse man sehen. Aber es brauche mehr Revierpolizisten und Streifen vor Ort, Polizisten gebühre mehr Respekt. Mit dieser Haltung würde er wohl schnell bei den Christdemokraten Applaus ernten. Ehrenamtliche sollen besser unterstützt werden, zum Beispiel mit einer Zusatzrente für freiwillige Feuerwehrleute. Solche Ideen wurden auch schon in SPD-Kreisen diskutiert.
Kurz nach 11 Uhr kommt Bewegung in den Raum. Sahra Wagenknecht, die Parteigründerin und Namensgeberin, hat den Saal betreten. Die Kameras richten sich auf sie, es klickt und blitzt. Da läuft schon seit über einer Stunde die Debatte um das Wahlprogramm. Lange muss sie nicht warten, denn das Landtagswahlprogramm wird schon zehn Minuten nach ihrem Eintreffen einstimmig verabschiedet.
Wagenknecht: Ostdeutsche fühlen sich an DDR-Endzeit erinnert
Es ist der erste Auftritt der Parteivorsitzenden vor dem Landesverband. Bei der Gründung der Landespartei Ende Mai war nur Ko-Vorsitzende Amira Mohamed Ali als Abgesandte nach Schwedt gekommen. In freier Rede stimmt Wagenknecht eine halbe Stunde lang ihre Landespartei auf den Wahlkampf ein. Und hält sich nicht lange bei Brandenburg auf. Sie listet ihr ganz eigenes Programm auf. Ihr Bündnis stehe für wirtschaftliche Vernunft, für Frieden, soziale Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit. Die "unsägliche Ampel" sei die schlechteste Bundesregierung seit langer Zeit. Und Deutschland habe auch die schlechteste Opposition. Die AfD falle wegen der Rechtsextremisten aus, die CDU würde Deutschland in den Krieg führen. Klar, sie wisse, dass man den Krieg in der Ukraine nicht von Brandenburg aus beenden könne. Aber jede Stimme für das BSW sei eine "Stimme für den Frieden und gegen die unsägliche Kriegsrhetorik". Die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand an der derzeitigen Frontlinie in der Ukraine fehlt auch hier in Potsdam nicht.
Wie andere ältere Ostdeutsche erinnere sie sich an die Endzeit der DDR. Menschen im Osten hätten schon einmal erlebt, wie sich eine Wende anbahnt. Sie hätten es selbst erfahren, wie eine ganze Industrie kaputtgehe. Das dürfe nicht noch mal passieren. Man dürfe nicht zulassen, "dass die Ampel alles verspielt, was Millionen Menschen aufgebaut haben". So erklärt sie auch den großen Erfolg ihrer Partei in Ostdeutschland, zuletzt bei der Europawahl, aber auch in Umfragen vor den ostdeutschen Landtagswahlen.
Ganz frischen Wind wolle man nach Brandenburg bringen. Und man werde sich im Wahlkampf oft in Brandenburg sehen, verspricht sie. Brandenburgischer wird sie in Potsdam nicht.
Nur drei Frauen unter den ersten 15 Kandidaten
Als nach der Mittagspause der Landesvorsitzende Robert Crumbach, ein 61-jähriger Arbeitsrichter mit SPD-Vergangenheit, mit 24 von 29 Stimmen zum Spitzenkandidaten gewählt wird, ist es die Parteivorsitzende, die als Erste mit einem Blumenstrauß gratuliert. Für die folgenden Kandidatinnen und Kandidaten auf der Landesliste des BSW hat sie keine Zeit mehr, der Landesverband ist ab 14 Uhr schon wieder unter sich.
Auf den ersten 15 Listenplätzen, die nach den Umfragen als sicher gelten, haben die Strategen der Wagenknecht-Partei – abgestimmt mit der Berliner Parteispitze – eine bunte Mischung zusammengestellt. Parlamentserfahrungen bringt niemand mit. Viele haben aber eine Vergangenheit in der Kommunalpolitik, auch ehemalige Kreis- oder Fraktionschefs der Linkspartei sind darunter, wie Niels-Olaf Lüders aus Märkisch-Oderland auf Platz 4 oder Andreas Kutsche, Betriebsratsvorsitzender des Städtischen Klinikums in Brandenburg an der Havel, ehemaliger Linken-Fraktionschef in der Stadtverordnetenversammlung der Havelstadt, auf Platz 10.
Vier Kandidaten unter den ersten 15 sind Juristen, zwei stellen sich als Unternehmer vor, nur drei sind Frauen. Auf Platz zwei der Landesliste steht mit der Ärztin Jouleen Gruhn eine Referatsleiterin aus dem Gesundheits- und Sozialministerium Brandenburg zur Wahl. Reinhard Simon, der Ex-Intendant der Uckermärkischen Bühnen in Schwedt, dürfte Anwärter auf das Amt des Alterspräsidenten im Landtag werden, er wird am Wahltag als 73-Jähriger auf Platz 11 der Liste antreten.
Keine BSW-Direktkandidaturen
Ohne Nachfragen werden am frühen Nachmittag nach einer knapp einstündigen Vorstellungsrunde die chancenreichsten 15 Landtagskandidatinnen und –Kandidaten mit großen Mehrheiten bestätigt. Dass man sie bald auf den Wahlplakaten im Land sehen wird, ist eher unwahrscheinlich.
Denn erstens muss die junge Partei mit ihren Mitteln stark haushalten. Zweitens verzichtet das BSW auf Direktkandidaturen in den 44 Wahlkreisen, die Bewerber müssen also vor Ort nicht bekannt sein. Und drittens hat das Bündnis längst ein Gesicht, mit dem man werben wird: Sahra Wagenknecht. Obwohl sie in Brandenburg gar nicht antritt.
Sendung: rbb24 Fritz, 29.06.2024, 18:30 Uhr