Abschlussbericht - Viel Lob und wenig Kritik für Brandenburger "Pakt für Pflege"

Mi 05.06.24 | 13:29 Uhr | Von Birgit Raddatz und Andreas Hewel
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Symbolbild: Hilfe beim Frisieren. (Quelle: dpa/Ute Grabowsky)
Bild: dpa/Ute Grabowsky

Wer zu Hause pflegt, soll Unterstützung bekommen. Dieser "Pakt für Pflege" - ein Schwerpunkt im Brandenburger Koalitionsvertrag - wurde wissenschaftlich untersucht. Die Auswertung sieht viel Gutes -und Verbesserungspotenzial. Von B. Raddatz und A. Hewel

  • Fast 185.000 Menschen in Brandenburg sind pflegebedürftig
  • Landesregierung zahlt bis zu 20 Millionen Euro jährlich für Beratungsstrukturen für Angehörige
  • Verbesserungsvorschläge bei Kurzzeitpflege

Maria Leitner weiß gut, was es heißt, eine Angehörige zu Hause zu pflegen. Bei ihrer Oma wurde Demenz diagnostiziert. Anfangs pflegte die Enkelin sie zu Hause – und sei genervt gewesen, wenn sie Dinge zum fünften Mal erklären musste, erzählt die Ludwigsfelderin.

Dann machte sie ein achtwöchiges Seminar, bezahlt von der Krankenkasse. Sie lernte ihre Oma und deren Krankheit besser zu verstehen – und traf gleichzeitig auf andere Angehörige. "Ich bin wirklich dankbar für diese Möglichkeit und habe gesehen, dass ich nicht allein bin, sondern dass andere Teilnehmer ähnliche Probleme haben", so Maria Leitner. Heute wird ihre Oma aufgrund ihres hohen Alters im Pflegeheim betreut.

Trotzdem trifft sich ihre Enkelin weiterhin mit anderen pflegenden Angehörigen, denn aus dem Seminar entstand eine Selbsthilfegruppe in Ludwigsfelde. Die Beratung wird finanziert durch das Programm "Pflege vor Ort". Es ist eines von über 600 Projekten landesweit und "Herzstück" im sogenannten Pakt für Pflege, der auf Initiative von Brandenburgs Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) 2020 beschlossen wurde.

Fehlende Fachkräfte und demografischer Wandel

Laut der derzeit aktuellsten Pflegestatistik von 2021 waren in Brandenburg fast 185.000 Menschen pflegebedürftig, fast 87 Prozent werden zu Hause betreut – deutschlandweit der höchste Wert. Viele könnten sich einen Pflegeheimplatz schlicht nicht leisten, ist sich Sozialministern Nonnemacher sicher. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Im Krankenhaus oder im Pflegeheim braucht es Fachkräfte, zu Hause erst einmal nur die Angehörigen.

"Die ambulante Pflege, die unterstützt wird durch die Tagespflege, durch Kurzzeitpflege, durch ehrenamtliche Angebote, ist allemal günstiger und damit wird der Fachkräftemangel auch einigermaßen im Zaum gehalten", so Nonnemacher.

Der Grünen-Politikerin ist wichtig zu betonen, dass sie die Angehörigen jedoch nicht allein lassen möchte mit dieser Aufgabe. Sie machte sich selbst ein Bild vor Ort und ließ die Maßnahmen des Pakts wissenschaftlich evaluieren. Den fast 180 Seiten langen Bericht legt Nonnemacher am Mittwoch dem Gesundheitsausschuss im Brandenburger Landtag vor.

Pflegestützpunkte als wichtige Anlaufstellen

Neben den Projekten in den Kommunen besteht der Pakt aus drei weiteren Säulen. Darunter fallen auch Investitionsprogramme für die Kurzzeit- und Tagespflege, Maßnahmen zur Ausbildung und Fachkräftesicherung, sowie der Ausbau von sogenannten Pflegestützpunkten. Die gibt es mittlerweile an 45 Standorten.

Mit vielen Maßnahmen soll die Pflege durch Angehörige erleichtert werden, beispielsweise über die Anschaffung technischer Hilfsmittel in den Pflegestützpunkten, erzählt die Potsdamer Sozialberaterin Manuela Brockmeier. Denn demnächst wollen sie hier auch eine Videoberatung anbieten. In Frankfurt (Oder) entstand eine Musterwohnung, die man Angehörigen und ihren pflegebedürftigen Familienmitgliedern zeigen könne. Andere Stützpunkte bieten eine mobile Beratung an.

Verbesserungsvorschläge bei Kurzzeit- und Tagespflege

Solche Angebote, wie sie Angehörige bei den Pflegestützpunkten erhalten, entlasten diese zunächst einmal bei den drängendsten Fragen, weiß der Vorsitzende des Paritätischen in Brandenburg, Andreas Kaczynski. Er ist gleichzeitig Vorsitzender des Landespflegeausschusses. Hier habe das von der Landesregierung bereitgestellte Geld geholfen. Damit Angehörige auch einmal anderen Tätigkeiten nachgehen können, sei aber auch die Kurzzeit- und Tagespflege wichtig. "Man bekommt man ja sonst gar keine Luft", so Kaczynski.

Weniger Bürokratie gefordert

Die wissenschaftliche Auswertung zeigt: Hier bräuchte es eine Verbesserung des Konzepts. Mit den Geldern wurden bisher unter anderem etwas mehr als 50 neue Kurzzeitpflegeplätze in fünf Einrichtungen geschaffen, sowie mehr als 300 neue Tagespflegeplätze in 18 Einrichtungen. Bis Ende des Jahres sind weitere geplant.

Statt Investitionen in die Kurzzeitpflege sollte das Geld besser vorgehalten werden, ähnlich wie bei der Notfallversorgung in Krankenhäusern, heißt es im Abschlussbericht. Und dann abgerufen werden können, wenn es gebraucht werde, etwa, wenn mehr Menschen einen Platz in der Kurzzeitpflege bräuchten. Außerdem fordern die befragten Kommunen und Landkreise einen Abbau von Bürokratie sowie finanzielle Sicherheiten für neu geschaffene Stellen in den Projekten.

Sie habe die Kritik gehört, sagt Sozialministerin Nonnemacher. Trotzdem sei der "Pakt für Pflege" schon deshalb ein Erfolg, weil alle Landkreise und kreisfreien Städte sowie 85 Prozent der Gemeinden, Kommunen und Ämter mitmachten. Alles in allem können jährlich Haushaltsmittel in Höhe von bis zu 20 Millionen Euro abgerufen werden.

Ob das Projekt in dieser Form weiterbesteht, ist angesichts der Brandenburger Landtagswahl im September völlig offen. Nonnemacher hofft es jedenfalls.

Sendung: rbb24, 05.06.2024, 16 Uhr

Beitrag von Birgit Raddatz und Andreas Hewel

10 Kommentare

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  1. 10.

    Ok. Dann führen wir Pflegepunkte ein, die man erwerben kann durch eine (Einzahl)Leistung? Gerecht wäre es. Ich denke drüber nach...

  2. 9.

    Im allgemeinen ist es so, wer mit 16 Jahren eine Ausbildung absolviert und ein Leben lang arbeitet, aber weniger verdient,als jemand der studiert und sagen wir mal mit 30 anfängt zu arbeiten. Verdient meist mehr, mir muss prozentual auch mehr einzahlen. Dies auf den Cent auszubalancieren ist Quatsch. Allerdings sollte kein Beruf von dem Einzahlen befreit werden. Sprich eine Kasse für alle, ohne Ausnahme.
    Bürogratie und Wasserköpfe müssen angeschafft werden.

  3. 8.

    „Ich bin nur nicht der Meinung, dass wer mehr einzahlt auch mehr bekommt. Das wäre unfair denen gegenüber die ein lebenlang einen schlecht bezahlten Job ausübten“
    Ich persönlich finde das sehr ungerecht: Die Ausbildungsanstrengungen und hinterher erbrachten (Einzahl)Leistungen wollen Sie nicht honorieren... Was ist mit der eigenen Verantwortung/Anstrengungen für auskömmlichen Lohn, um an einem gerechten Belohnungssystem besser teilzuhaben? Eine Belohnung ist...: Die Pflege...
    mit besonderer Wertigkeit, wenn Familienmitglieder dies gemeinsam leisten.

  4. 7.

    Wenn es etwas zu erben gebe, würde man keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Es lässt tief blicken, wenn sie Menschen soetwas unterstellen. Nach dem Motto: Was ich selber tu, traue ich auch anderen zu."...

  5. 6.

    Wenn man einen zu pflegenden Angehörigen hat den man selber pflegt und man selber eine Vollzeitstelle hat. Dann können sie davon ausgehen, dass man die Pflege nicht verlagert, dies von anderen bezahlen lässt oder sich dafür üppig bezahlen lassen will. Den der zu Pflegende hat in die Kassen eingezahlt und die Pflegende Person zahlt ebenso in die Kassen.
    Natürlich sollte in einer Solidargemeinschaft jeder der einzahlt auch davon profitieren. Ich bin nur nicht der Meinung, dass wer mehr einzahlt auch mehr bekommt. Das wäre unfair denen gegenüber die ein lebenlang einen schlecht bezahlten Job ausübten und verschonen sie mich, mit Weiterbildung etc. Denn Die Stelle als Putzkraft z.Bsp. muss trotzdem besetzt werden. Der Vergleich mit den Ehrenamt hinkt, denn dort verbringt man nicht seine ganze Freizeit. Es ist auch nicht gesagt, dass man die Pflege nicht gerne übernimmt. Die Bedingungen sind aber nicht bei allen gleich, diese zu übernehmen.

  6. 5.

    Sie können die Pflege nicht verlagern, von anderen bezahlen lassen und sich selber dafür vergütet sehen. Erst recht nicht, wenn über 80% zu Hause gepflegt werden (wollen). Das sind Familienarbeiten die aufgeteilt werden müssen. Sie können nicht dafür Geld verlangen und andere Familienmitglieder kostenlos die Pflichten bewältigen lassen. Siehe auch das Ehrenamt in Feuerwehr, THW usw.
    Bezüglich der Vollzeit haben Sie Recht. Betreuungsangebote sind da ein guter Weg. Das mit der Zeit sehe ich anders. Die Lebensphasen ändern sich. Die Freizeit steigt rapide an. Auch durch die Helferlein: Zentralheizung, Waschmaschine, Auto, Telefon&Medien, Geschirrspüler usw.usf. Bei einer 35 Stundenwoche in Vollzeit ist da viel, sehr viel Zeit.

    P.S. Das eingezahlte Pflegegeld sollte auch denen zugute kommen, die lange und viel gezahlt haben. Das ist gerechte Vorsorge in einer Solidargemeinschaft, die davon lebt, dass eingezahlt und nicht nur entnommen wird. Nur entnehmen ist unsozial.

  7. 4.

    Jeder kann sich einen Heimplatz leisten. Wer nicht genug Geld hat, bekommt den Rest vom Sozialamt. Oft sind es nur die Erben, die jammern.

  8. 3.

    Es ist immernoch eine Solidargemeinschaft. Da geht es nicht darum, dass der/die jenige mehr oder besseres bekommt, der/die mehr eingezahlt hat. Dann muss man sich privat vorsorgen. Es ist schön das dieses Programm so vielen hilft.
    Ich finde es nur unverschämt, dass man als Arbeitnehmer als Faul hingestellt wird, wenn man in Teilzeit arbeitet. Obwohl viele es müssen, da sie Angehörige pflegen müssen. Wie soll man das schaffen, bei einer 40 Stunden Woche, einem 1,5 H Arbeitsweg, Kindern und dem Organisieren des Alltags? Es müssen immer mehr Leute die Pflege selber übernehmen, da man sich die Plätze nicht leisten kann. Dazu kommt noch der Verdienstausfall durch die Teilzeitarbeit und überall steigende Kosten.
    Dieses Konzept geht einfach nicht auf.

  9. 2.

    Der Pakt für Pflege ist bei uns in Zehdenick sehr gut angenommen. Auch die Stadt ist mit im Boot. Leider ist die Finanzierung über 2024 hinaus noch nicht gesichert. Hoffentlich kommt eine Finanzierungszusage noch bis zum Herbst.

  10. 1.

    Fremdes Geld einfordern und dann zuteilen, wer was bekommt? Eine Kernkompetenz von Frau Nonnemacher? Dahinter verbirgt sich Grundsätzliches: Wenn alle von der Allgemeinheit auf gleichen Niveau gepflegt werden sollen (oder vergütet), ist dieser Ansatz richtig. Wenn aber die Einzahlungen und die Einzahldauer eine Rolle spielen soll, ist der Ansatz falsch und ungerecht gegenüber den Vielgebenden, die sich eine bessere Pflege verdient haben. Was ist richtig?

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