Interview | Gewalt durch Impfgegner - "Die Szene wird mit stärkerer Radikalität reagieren"

Fr 03.12.21 | 11:05 Uhr
Ein Mann mit einer Weste mit der Aufschrift "Mich impft niemand" ist am 28.03.2021 auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz zu sehen. (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
Video: Brandenburg Aktuell | 02.12.2021 | Mona Ruzicka | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Auf der Straße war von Coronaleugnern und Impfgegnern zuletzt nicht viel zu sehen. Dafür nimmt die Radikalisierung im Internet zu. Das könnte auch zu Gewalt führen, befürchtet die Sozialpsychologin Pia Lamberty.

rbb: Frau Lamberty, glauben Sie, dass die nahende Impfpflicht Querdenker und Coronaleugner weiter radikalisieren könnte?

Pia Lamberty: Wenn man insgesamt auf Menschen schaut, die sich nicht haben impfen lassen, ist das schon eine heterogene Gruppe. Es gibt die, die ängstlich sind, die, für die das nicht so relevant ist und dann gibt es radikale Impfgegner:innen, die an Verschwörungen glauben.

Zur Person

Pia Lamberty im November 2021 (Quelle: rbb)
rbb

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty arbeitet als Doktorandin am Lehrstuhl Sozial- und Rechtspsychologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie ist Mit-Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation CeMAS Center für Monitoring, Analyse und Strategie, die zum Thema Verschwörungsideologien forscht.

Für einige könnte eine Impfpflicht sogar eine Entlastung sein: Dass sie die Entscheidung nicht mehr treffen müssen. Es gibt aber gerade die, die Impfung als todbringend sehen, die meinen, das sei eine Giftspritze. Und bei denen befürchte ich schon, dass das eine gewisse Radikalität befeuern könnte, dass die meinen, sie müssten sich jetzt wehren. Es wird da ja auch oft von einer Zwangsimpfung gesprochen und nicht von einer Impfpflicht. Dieser Begriff wird aus gutem Grund gewählt: Man versucht schließlich, dagegen zu mobilisieren.

Strengere Corona - Schutzmaßnahmen sind beschlossen. Was macht das mit der Querdenkerszene?

Es bedeutet, dass es zu einem stärkeren Handlungsdruck kommt. Das kann bedeuteten, dass sich mehr Menschen gefälschte Impfpässe anschaffen. Es gibt auch Meldungen von Infektionspartys, also wo man sich vorsätzlich mit Corona ansteckt, um dann als genesen zu gelten. Es kann auch sein, dass sich das in Gewalt gegen die angeblichen Repräsentanten dieses verschwörerischen Systems entlädt.

Wie aktiv ist die Querdenker- und Coronaleugner-Szene gerade? Auf der Straße hat man sie in jüngster Zeit ja nicht mehr so häufig gesehen.

Zur Klärung: Wenn wir über "Querdenken" sprechen, ist das ja nur eine Subform dieses verschwörungsideologischen Milieus, das hat an Relevanz verloren. Die Demos sind auch zurückgegangen, das war zu erwarten.

Online gab es aber gar keinen Rückgang, die Aktivitäten auf dem Messengerdienst Telegram sind nicht weniger geworden. Im Gegenteil haben da einige Akteure sogar deutlich an Reichweite gewonnen. Zum Beispiel diese Kanäle, in denen es um die angeblichen Impfopfer geht, in denen man sich Horrorgeschichten über die Impfung erzählt. Ich glaube, außerhalb des Internets werden wir jetzt erstmal viele kleine dezentrale Aktionen und Demonstrationen sehen, wo dann vielleicht 1.000 Leute kommen und zum Beispiel vor Krankenhäusern demonstrieren.

Zusätzlich gibt es aber auch die Gewalt im Alltag, das kann man gar nicht ignorieren. Dass Supermarktkassiererinnen beleidigt werden, Bahnmitarbeiter mit Messern bedroht, dass es zu Übergriffen auf Testzentren und Impfzentren kommt. Und da ist schon ein enormes Gewaltpotenzial, das sich neben den Demonstrationen entlädt.

Erst im Internet hetzen, dann gewalttätig werden - ist das ein logischer Schritt?

Verbale Gewalt und gewaltvolles Denken ist auf jeden Fall der erste Schritt, der zur Handlung führt. Und wir sehen, dass gewisse Gruppierungen seit eineinhalb Jahren Stimmung gegen die Wissenschaft und gegen das Gesundheitswesen machen. Da wird immer mit Extremen gearbeitet, und irgendwann sickert das durch und führt bei manchen Leuten zu gewalttätigen Handlungen. Das sieht man ja auch bei den entsprechenden Demonstrationen, da kommt es immer wieder zu Übergriffen, zum Beispiel auf die Presse.

Wir haben immer noch keine systematische Erfassung der Corona-Gewalt, aber ich sehe, dass zum Beispiel Ärzte oder Krankenpfleger gerade auf Telegram einzeln und namentlich bedroht werden. Und das ist eine Situation, die so nicht tragbar ist. Dass die Menschen, die dazu da sind, andere zu schützen, jetzt direkt bedroht werden. Viele, die sich aktiv für das Impfen aussprechen, werden danach mit Beleidigungen und Drohungen überzogen.

In Österreich, Belgien, den Niederlanden ist die Gewalt von Coronaleugnern und anderen Gegnern der Maßnahmen teils komplett eskaliert, es gab Straßenschlachten mit der Polizei und brennende Barrikaden. Ist so etwas bei uns denkbar?

Es ist schwierig einzuschätzen. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass diese Demos hier Zulauf bekommen und der Ton noch schärfer wird. Man muss ja auch irgendwie mit den eigenen Niederlagen umgehen. Weder sind jetzt Millionen Menschen an der Impfung gestorben, noch wurden irgendwelche Tribunale errichtet oder der Faschismus eingeführt, wie ja auch behauptet wurde. Die Szene wird mit einer stärkeren Radikalität reagieren, um die Leute überhaupt bei der Stange zu halten.

Was kann man denn überhaupt gegen diese Radikalisierungen tun? Die Polizei allein scheint da relativ machtlos, gerade wenn es um die hetzerische Kommunikation auf Telegram geht. Mit eingefleischten Impfgegnern zu reden oder zu diskutieren, bringt erfahrungsgemäß aber auch nichts mehr.

Wichtig ist es, erstmal zwischen dem privaten und dem gesellschaftlichen Raum zu unterscheiden. Im privaten Raum kann man schon was machen: Da kann man Gesprächsangebote machen und versuchen, was zu verändern.

Auf der gesellschaftlichen Ebene funktioniert das nicht. Was man da braucht, ist eine schnellere Strafverfolgung. Bei den Demonstrationen kommt es immer wieder dazu, dass von der Polizei nicht richtig reagiert wird. Das gibt der Szene das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der anderen Seite sehen sie die Polizei dann als Gleichgesinnte, die sie unterstützen.

Und wenn wir über den digitalen Raum sprechen: Da müssen Sachen schneller nachverfolgt werden. Wenn man sich Attila Hildmann anschaut, der hat immer wieder gehetzt, mit massivem Antisemitismus Personen bedroht, er konnte sogar ausreisen und hetzt jetzt aus der Türkei. Also da schneller zu reagieren, ist notwendig.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Hendrik Schröder, Inforadio.

Sendung: Brandenburg Aktuell, 02.12.2021, 19:30 Uhr

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