Gesundheitssenatorin räumt Versäumnisse ein - 29.000 Corona-Infektionen tauchen in Berliner Statistik noch nicht auf

Keine Präsenzpflicht mehr, neue Quarantäneregeln in Schulen, Verwirrung um den Genesenen-Status - die Corona-Politik des Berliner Senats steht seit Tagen in der Kritik. Hinzu kommt: Die Zahl der Infizierten liegt deutlich höher als bislang bekannt.
Die Zahl der Corona-Infektionen in Berlin ist nach Angaben von Gesundheitssenatorin Ulrike Gote deutlich höher als in der offiziellen Statistik ausgewiesen. Wegen der Vielzahl von Fällen sei es zurzeit nicht möglich, alle zeitnah zu melden und in das entsprechende System einzutragen, sagte Gote am Mittwoch im Ausschuss für Gesundheit des Abgeordnetenhauses. "Und so wissen wir, dass noch 29.000 Fälle nicht eingepflegt sind in das System. Was bedeutet, dass wir davon ausgehen müssen, dass die Inzidenzen noch ein gutes Stück höher liegen."
Schüler in Berlin am stärksten betroffen
Der Lagebericht der Gesundheitsverwaltung [berlin.de] weist auf Basis von Daten des Robert-Koch-Instituts vom Mittwoch für Berlin eine Inzidenz von 1.795,5 aus. Der Wert, der die Zahl der Infektionen je 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen darstellt, ist der höchste aller Bundesländer. Allein binnen 24 Stunden kamen laut Statistik 17.416 erfasste Corona-Fälle dazu.
Am stärksten von Neuinfektionen sind in Berlin Kinder im Alter von 10 bis 14 Jahren betroffen, hier liegt die Inzidenz aktuell rund 4.730, gefolgt von den 5- bis 9-Jährigen (4.540) und von 15- bis 18-Jährigen (3.140).
Gote sieht bei Abstimmung "Luft nach oben"
Die Gesundheitssenatorin räumte im Gesundheitsausschuss Versäumnisse des Senats in der Pandemiebekämpfung ein. Sowohl die ausgesetzte Präsenzpflicht an Schulen als auch die dort und in Kitas beendete Kontaktnachverfolgung hätten besser und mit mehr Vorlauf kommuniziert werden müssen, sagte Gote. Die Maßnahmen an sich seien richtig, betonte Gote. Doch bei der Abstimmung gebe es noch "Luft nach oben".
Seit Dienstag ist die Präsenzpflicht an Berliner Schulen vorerst bis Ende Februar ausgesetzt. Zudem müssen inzwischen Sitznachbarn von infizierten Schülern und Gruppenmitglieder infizierter Kita-Kinder nicht mehr in Quarantäne. Auf eine Kontaktnachverfolgung in Schulen und auch im Kita-Bereich wird inzwischen verzichtet.
Große Unklarheit beim Genesenen-Status
Gote übte auch scharfe Kritik am Bund. Das Wirrwar um den Genesenenstatus habe zu einer "sehr unbefriedigenden Situation und viel Verärgerung in der Gesundheitsministerkonferenz" geführt. Der Bund solle dringend klarstellen: "Wer und was gilt jetzt wie, und wie ist das nachzuweisen?" Den Genesenenstatus über Nacht von sechs auf drei Monate zu verkürzen, sei eine nicht handhabbare Regelung des Bundesgesundheitsministers - und sie sei auch nicht gerecht, so Gote.
Derzeit werde man darauf "vertröstet", dass die Corona-Warnapp überarbeitet wird, um den jeweiligen Status genau ablesen zu können. Zugesagt sei das für die erste Februarwoche. Bis dahin müsse man die Unsicherheit wohl noch aushalten, machte Berlins Gesundheitssenatorin deutlich.
Der Berliner Rechtsanwalt Niko Härting, der in der Vergangenheit bereits erfolgreich Klagen von Gastronomen gegen Corona-Maßnahmen vertreten hat, bestätigte in der rbb-Abendschau, dass in Berlin zwei verschiedene Genesenen-Fristen gelten. In den Bereichen Kultur, Einzelhandel und Gastronomie gelte nach wie vor der Genesenen-Zeitrahmen von sechs Monaten (geregelt durch die Vierte Berliner SARS-CoV-2-Verordnung), am Arbeitsplatz und im Personenverkehr gelte dagegen die dreimonatige Frist, weil für diese Bereiche das Infektionsschutzgesetz des Bundes zuständig sei, so Härting. Zuvor hatte der "Tagesspiegel"-Checkpoint berichtet.
Kritik am MPK-Ergebnis zu PCR-Priorisierung
Wenig Hoffnung macht die Grünen-Politikerin auf eine Ausweitung der PCR-Testmöglichkeiten in Berlin. Hier ließe sich die Kapazität kaum noch erhöhen. Gote kritisiert in diesem Atemzug erneut, dass sich die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder bei ihrem letzten Treffen nicht auf eine Neuregelung der Corona-Testverordnung geeinigt haben, sondern dies der Gesundheitsministerkonferenz überlassen haben.
"Wir bräuchten die Regelung jetzt", sagt die Gesundheitssenatorin, weil Berlin bei den Inzidenzzahlen schwerer betroffen sei als viele andere. Aber dafür bestehe auch die Hoffnung, früher die Spitze der Welle erreicht zu haben - das könne auch ein Trost sein.
Sendung: Abendschau, 26. Januar 2022, 19:30 Uhr