Berlinale-Filmkritik | "Art College 1994" und "Suzume" - Zwei Animationsfilme im Wettbewerb - einmal mau, einmal überdimensional gut

Fr 24.02.23 | 12:45 Uhr | Von Fabian Wallmeier
Berlinale Wettbewerb: Suzume und Art College 1994 (Quelle: 2022 "Suzume" Film Partners/Nezha Bros. Pictures Company Limited)
Audio: rbbkultur | 23.02.2023 | Carsten Beyer | Bild: 2022 "Suzume" Film Partners/Nezha Bros. Pictures Company Limited

Gleich zwei Animationsfilme sind dieses Jahr im Wettbewerb der Berlinale. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: eine dröge Geschichte aus dem chinesischen Künstlermilieu - und aus Japan ein episches Anime-Fantasy-Spektakel. Von Fabian Wallmeier

Am Anfang steht das Henne-Ei-Problem: Überdauern manche Kunstwerke, weil sie Meisterwerke sind - oder werden sie einfach deshalb zu Meisterwerken erklärt, weil sie schon so lange überdauert haben? Liu Jians Animationsfilm "Art College 1994" lässt die Kunststudenten Xiaojun und Rabbit diese Frage zu Beginn anschneiden. Aber weder sie noch der Film finden eine Antwort.

Liu war 2017 schon einmal im Wettbewerb der Berlinale. "Have a Nice Day" eint mit dem neuen Film zwar der stilisierte und zugleich klare Look, sonst aber wenig. Der Film ist eine im Plot rasant Haken schlagende, kurzweilige und mit 75 Minuten Spielzeit auch kurze Krimi-Groteske. "Art College 1994" ist nichts davon. Seine knapp zwei Stunden fühlen sich noch länger an, der Plot ist dürftig und von Rasanz kann keine Rede sein.

Klischeehafte Kunstdiskurse

Die zu Beginn gestellte Frage ist leider schon die interessanteste des Films. Die Selbstbefragung der beiden als Künstler bleibt oberflächlich. Auch die privaten Schwierigkeiten werden nicht tiefer ausgeführt. Aus dem 1990er-typischen Slackerhaften, mit dem Rabbit, Xiaofun und ihre Kommiliton:innen zunächst gezeigt werden, zieht Liu ebenfalls wenig. Eine Nirvana-Kassette und der Verweis auf den Tod Kurt Cobains stehen als Marker recht lustlos im Raum.

Die Diskussionen, die die Student:innen an der Kunsthochschule führen, sind größtenteils müde Klischees à la "Das soll Installationskunst sein? Kann ich auch". Auch ansonsten macht Liu wenig aus dem Spannungsfeld zwischen traditioneller chinesischer Kunst und dem Aufbruch in westliche Welten. Stattdessen legt er noch Liebesgeschichten und andere Neben-Plots an und verliert sich in einem ziemlich drögen Wirrwarr.

Mythische Großerzählung

Eine in jeder Hinsicht ganz andere Angelegenheit ist der zweite Animationsfilm im Wettbewerb. "Suzume" von Makoto Shinkai erzählt eine epische Fantasy-Geschichte und quillt nur so über vor großen Gefühlen. Suzume ist eine Jugendliche, die seit dem frühen Tod ihrer Mutter bei der Tante lebt und eines Tages in den Sog einer mythischen Großerzählung gerät.

Auf der Straße trifft sie einen jungen Mann und ist wie vom Blitz getroffen. "Ich habe das Gefühl, wir haben uns schon einmal gesehen", stammelt sie - und tatsächlich sind die beiden miteinander verbunden, auf eine Weise, die sich erst später aufklären wird.

Film-Infos

Japan vor dem Riesenwurm retten

Shinkai erzählt gern und tief bewegend von tiefen, manchmal auch unerklärlichen Verbindungen zwischen zwei Menschen. In "5 Centimeters per Second" ist es nur ein Lächeln, als zwei Menschen, die sich als Teenager aus den Augen verloren haben, sich nach vielen Jahren flüchtig, fast unwissentlich, wieder begegnen. In seinem in Japan massiv erfolgreichen Film "Your Name" ist die Verbindung schon deutlich geheimnisvoller: Zwei Oberstufenschüler:innen in weit entfernten Landesteilen tauschen hier ungewollt immer wieder für einen Tag ihre Körper und lernen, miteinander über Handy-Notizen zu kommunizieren.

Bei der Verbindung von Suzume und dem jungen Mann, Souta, geht es um nicht weniger als die Rettung Japans vor dem Untergang. Eine unterweltliche, übernatürliche Kraft in Gestalt eines riesigen dunkelroten Wurms ist hier verantwortlich für Erdbeben. Er bricht immer wieder, für die anderen unsichtbar, durch Tore aus der Erde hervor und muss zurückgedrängt werden, bevor er niederschlagen und ganze Landstriche zerstören kann.

Überdimensional in jeder Hinsicht

Suzume und Souta machen sich auf zu einer Reise quer durch Japan, von Insel zu Insel. Dazu kommen unter anderem noch zwei sprechende Katzen mit zweifelhaften Absichten, ein belebter Kinderstuhl und ein magischer Schlüssel - und wer jetzt findet, dass das ein bisschen albern klingt, hat zwar vielleicht nicht Unrecht. Aber wie diese Geschichte erzählt ist, mit welch unerschütterlichem Glauben an das Gute im Menschen und mit welcher emotionalen Wucht die einzelnen Elemente miteinander verwoben sind - das ist ein echtes filmisches Ereignis.

Die Übergröße der Geschichte schlägt sich auch im Stil des Films nieder: "Suzume" ist anime-typisch knallbunt, nah am Kitsch-Spektaktel und überlebensgroß gezeichnet. Ständig blitzt und funkelt es irgendwo und aus den überdimensionalen Augen der Figuren lassen sich ihre Emotionen wie unter der Lupe ablesen. Ein Feuerwerk der Sinneseindrücke, wenn man den Film auf der Leinwand sieht.

Sendung: rbbkultur, 23.02.2023, 18:39 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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