Interview | Ramadan in Corona-Zeiten - "In den Moscheen darf ja nichts passieren"

Do 23.04.20 | 15:00 Uhr
Berlin: Gläubige gehen in die Khadija Moschee. (Quelle: dpa/Zinken)
Bild: dpa/Zinken

Ramadan in Corona-Zeiten ist anders: kein Abendgebet in den Moscheen, keine Einladungen zum Fastenbrechen in den eigenen vier Wänden. Der Berliner Seelsorger Mohammed Imran Sagir erzählt, was das für die Muslime bedeutet - und welche finanziellen Folgen es hat.

rbb: Am 24. April beginnt der Ramadan. Was bedeutet der Fastenmonat normalerweise für Sie?

Mohammed Imran Sagir: Für muslimische Menschen ist das sicherlich der Höhepunkt des Jahres, wenn man sich religiös verbunden fühlt. Das ist spirituell gesehen, aber auch gemeinschaftlich gesehen eine sehr intensive Zeit, in der man sich mit sich selbst und der Beziehung zu Gott auseinandersetzt, aber auch sehr viel Gemeinschaftliches erlebt.

Da sind wir schon beim Problem. Wie kann man in diesem Jahr unter Corona-Schutz-Bedingungen eigentlich diesen Fastenmonat begehen?

Der eine Teil wird individuell zu gestalten sein - und ein anderer Teil fällt tatsächlich weg. Das heißt, dass man im Rahmen der Familie versucht, möglichst viel aufrechtzuerhalten, also das Fastenbrechen am Abend gemeinsam zu begehen. Nun ist es leider nicht möglich, danach in die Moschee zu gehen, um das Nachtgebet gemeinsam mit der Gemeinde zu vollziehen.

Was auch fehlt, ist dieses gemeinschaftliche Fastenbrechen, was sehr beliebt ist, indem man andere Familien, Nachbarn, Freunde und so weiter einlädt. Und das wird den Menschen sehr fehlen.

Besonders schwierig ist das in diesem Jahr für die, die alleine leben.

Ja, gerade weil die Moscheen geschlossen sind. Die sind ja immer eine sehr gute Anlaufstelle für die Menschen, die alleine leben. Studenten zum Beispiel oder Menschen, die aus dem Ausland hergekommen sind, oder Geflüchtete. Sie haben gute warme Mahlzeiten in der Moschee bekommen. Denn Bedürftigkeit spielt da auch eine Rolle. Schwierig ist es jetzt auch für Menschen, die den Islam angenommen haben und keine muslimische Familie haben. Wer wird mit ihnen jeden Abend so spät das Fastenbrechen machen?

Was jetzt möglich ist: Man kann anderen Essen zu Hause vorbeibringen.

Während des Ramadans laden Moscheegemeinden auch nicht-muslimische Gäste zum Fastenbrechen, aber auch zu Vorträgen oder Konzerten ein. Sind das eher kulturelle Veranstaltungen oder hat das auch eine religiöse Dimension?

Zunächst ist das gemeinsame Fastenbrechen ein religiöser Akt, weil es eine sehr hohe Form von religiösen Diensten ist, wenn man Menschen, die gefastet haben, zum Fastenbrechen einlädt. Zudem ist Gastfreundschaft grundsätzlich in muslimischen Kulturen sehr weit entwickelt und wird sehr gepflegt. Und das hat auch eine religiöse Konnotation, weil Gastfreundschaft auch ein religiöser Wert ist, der vom Propheten uns empfohlen ist. Außerdem ist diese Zeit des Fastenmonats besonders gesegnet, weil der Verdienst von guten Taten in diesem Monat von Gott vervielfacht wird.

Wie gehen die Moscheegemeinden in diesem Jahr mit der Situation um?

Zurzeit gibt es natürlich religiöse Seminare, Ansprachen und solche Sachen übers Internet. Ich habe auch von jungen Leuten gehört, die zusammen den Koran über irgendwelche Videos schalten, dann gemeinsam lesen und so weiter. Wir versuchen da schon, einen gewissen Ersatz zu finden.

Aber in den Moscheen darf ja nichts passieren. Und ein Problem, vor dem die Gemeinden dadurch stehen, ist das finanzielle. Die Einnahmen der Moscheegemeinden basieren ja hauptsächlich auf Kollekten. Beim Freitagsgebet und besonders im Ramadan, wenn die Gemeinde normalerweise ja jeden Abend zusammenkommt, sind die Menschen natürlich freigiebig. Das fällt jetzt völlig weg.

Welche Rolle spielt das Spenden während des Ramadans?

Es ist besonders verdienstvoll, gute Taten in dieser Zeit zu vollbringen und zu vollziehen. Daher ist es so, dass die meisten Muslime auch ihre Pflichtabgaben, die eine der fünf Säulen des Islams darstellen, normalerweise im Ramadan bezahlen. Es ist natürlich kein Problem, das an Bedürftige oder an Hilfsorganisationen zu überweisen. Aber es gibt auch diese spontanen Spenden gerade im Ramadan, wenn man sich gegenseitig sozusagen auch mal erinnern kann oder gemeinschaftlich beim Nachtgebet vielleicht auch aufgerufen wird, für einen bestimmten Zweck zu spenden. Das fällt jetzt weg.

Auf der anderen Seite habe ich von jungen Menschen aus der Gemeinde gehört, dass sie in diesem Jahr bewusster spenden, weil sie einfach sehen, dass es überall sehr viel Unterstützung braucht. Wir haben in Deutschland sehr viele Bedürftige. Aber auch in den Ursprungsländern der Muslime, dort bei den Tagelöhnern zum Beispiel, da sieht es zappenduster aus.

Bekommen Sie eigentlich jetzt bei der muslimischen Telefonseelsorge Anrufe von Musliminnen und Muslimen, die wegen der Corona-Beschränkungen besonders bedrückt sind oder Sorgen haben?

Ja, man muss allerdings sagen, dass viele hier mit ihrer Familie leben und nicht allein sind. Da ist es dann natürlich nicht ganz so dramatisch, was diese Einsamkeit betrifft, wie bei unseren Kollegen von der kirchlichen Telefonseelsorge. Dort ist die Anzahl der Anrufe wirklich um das Doppelte gestiegen. Bei uns ist es zwar auch gestiegen, aber längst nicht so extrem.

Nun wird es ab dem 4. Mai wieder möglich sein, Gottesdienste abzuhalten - bis maximal 50 Personen. Können Sie sich vorstellen, dass es in den Moscheen zum Fastenbrechen und anschließendem Nachtgebet Einlassbeschränkungen in dieser Größenordnung geben kann?

Das kann ich mir schwer vorstellen. Es gibt ja Moscheegemeinden, da kommen normalerweise im Ramadan weit über 100, sogar bis zu 1.000 Menschen zum Nachtgebet. Wie soll das gehen? Man kann es ja auch nicht in Schichten machen, weil es ja um eine bestimmte Uhrzeit stattfindet. Und so viele Menschen abzuweisen ist auch schwer. Die Vorstände der Gemeinden werden sich darüber die Köpfe zerbrechen. Vielleicht müssen sie in den sauren Apfel beißen und die Moscheen zu den anderen Gebetszeiten am Morgen oder Mittag, wenn nicht so viele Gläubige kommen, öffnen, zum Nachtgebet aber geschlossen halten.

Mit welchen Gedanken und Gefühlen gehen Sie selbst jetzt in den Fastenmonat?

Mit sehr gemischten Gefühlen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, am Ende des Ramadans kein gemeinsames Festgebet abhalten zu können. Ich bin nicht direkt bedrückt, aber es ist sehr ungewohnt und seltsam. Doch so manchen wird das richtig runterziehen, das kann ich mir sehr gut vorstellen.

Das Interview mit Mohammed Imran Sagir führte Ursula Voßhenrich, Redaktion Gesellschaft und Religion.

Was Sie jetzt wissen müssen

Sendung: Abendschau, 23.04.2020, 19:30 Uhr

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