Allein in der Großstadt - Mit Corona kam die Einsamkeit

Do 23.12.21 | 06:07 Uhr | Von Christina Rubarth
Symbolbild: Eine Spaziergängerin geht im Victoria-Park in Berlin-Kreuzberg durch den Schnee. (Quelle: dpa/B. Jutrczenka)
Video: Abendschau | 23.12.2021 | Christina Rubarth | Bild: dpa/B. Jutrczenka

Beim Thema Einsamkeit richtet sich der Blick oft auf alte Menschen. Menschen, die keine Familie mehr haben, keine Freunde. Aber sich einsam fühlen, das Gefühl kennen auch Jüngere, die mitten im Leben stehen. So wie die Hebamme Sabine K.. Von Christina Rubarth

Sabine K. nippt an ihrem Ingwertee. Sie ist Anfang 50, wirkt aber jünger in ihrem knallblauen Pullover. Sie sitzt in ihrer Wohnung, die mit den vielen Pflanzen und der gut designten Einrichtung auch jedes Instagram-Profil schmücken würde. Zuerst, sagt sie, fühlte sich das Alleinleben - nach einer Ehe und einer festen Beziehung - gut an und frei gewählt.

Dann aber kam Corona. Und mit Corona kam die Einsamkeit. "Wenn man das thematisiert, wirken die meisten, ich will nicht sagen verstört, aber schon sehr überrascht, und sind so ein bisschen überfordert. Selbst die, die kommen oder anrufen, können diese Leere, die diese Einsamkeit hat, nicht ausfüllen."

Hotlines

Schnelle Hilfe bei Einsamkeit

Telefonseelsorge der Diakonie rund um die Uhr: 0800 – 1110111/1110222 oder online.telefonseelsorge.de

Seniorentelefon "Silbernetz" von 8 bis 22 Uhr/Weihnachten bis Neujahr rund um die Uhr: 0800 – 4708090

Zuhörtelefon "Nightline" für Studierende: nightlines.eu

JugendNotmail: www.jugendnotmail.de

14 Prozent der älteren Deutschen fühlen sich einsam

Die Großstadt macht es Alleinlebenden nicht einfacher. Auch wenn das selbst in Corona-Zeiten riesige Angebot an Kultur und Veranstaltungen anderes verspricht: In den Städten fühlen sich mehr Menschen einsam als auf dem Land. Insgesamt gaben in einer Umfrage im Sommer 2020 des deutschen Alterssurveys (DEAS) 14 Prozent der Befragten im Alter von 46 bis 90 Jahren an, sich einsam zu fühlen.

Damit lag die Zahl um 1,5-mal höher als bei den Befragungen in den Jahren 2014 und 2017. Auf den Dörfern sorgt noch die Freiwillige Feuerwehr, der Skatklub, der Schützenverein oder die Kirchengemeinde für Zusammenhalt und einen Blick für die Nachbarinnen und Nachbarn. In ländlichen Regionen wohnen Familien auch manchmal noch mit mehreren Generationen unter einem Dach. Das fehlt oft in Berlin. Und das hat teils drastische Folgen: Denn Einsamkeit kann krank machen.

Einsamkeit kann krank machen

Bei Menschen, die sozial isoliert leben, steigen die Wahrscheinlichkeiten für einen Herzinfarkt oder für einen Schlaganfall - und auch die Wahrscheinlichkeit, früher zu sterben, nimmt zu. Die vielleicht grausamste Folge von vielen alleinlebenden Menschen in einer Großstadt wie Berlin.

Auch das Sterben wird einsamer. Etwa 300 Tote bleiben pro Jahr unentdeckt in ihren Wohnungen liegen. Weil sie niemand vermisst, weil sie keine Freunde oder Bekannten mehr haben, weil es keine Familie gibt, die auf sie achtet.

Einsam trotz Arbeit und Freundschaften

Bei ihrer Arbeit als Hebamme und Betreuerin im Wochenbett erlebt Sabine den Wandel im sozialen Miteinander und Zusammenleben immer wieder. Paare, die spät Kinder bekommen und alte Eltern haben, die nicht in der Nähe, sondern weit weg wohnen. Ihre erwachsene Tochter lebte lange in einer anderen Stadt und ist nun wieder zurück in Berlin, wohnt aber nicht in ihrem Kiez.

Mutter und Tochter verstehen sich gut. Die beiden feiern gemeinsam Weihnachten. Aber was Sabine fehlt ist ein Partner, mit dem sie sich austauschen und besprechen kann. Das geht natürlich auch mit Freundinnen und Freunden. Aber mit einem Partner oder am besten mit einem Gefährten, wie Sabine es ausdrückt, fühle es sich ganz anders an.

Denn dann müsse sie nicht mehr die Alltagsprobleme, die vielleicht auf den ersten Blick klein und simpel wirken, immer mit sich allein ausmachen. "Das ist schon unangenehm", sagt sie, es fühle sich nicht gut an. Sie fühle sich manchmal nicht nur allein, sie fühle sich falsch.

Singlesein als Makel

Neben dem Alleinleben spürt Sabine noch etwas anderes aus ihrem Umfeld: Single zu sein, erscheint vielen oft als Makel. Einer ihrer Freunde fragte sie bei einem gemeinsamen Abendessen, warum sie denn eigentlich Single sei, sie würde ja noch ganz cool aussehen.

Ist man nur ein gutes Mitglied der Gesellschaft, wenn man mit einem Partner zusammen ist? Wohl kaum. Aber Alleinlebenden fehlt oft Nähe, Wärme und Kontakt. "Wir sind nun mal Herdentiere und soziale Wesen," sagt Sabine - "und abhängig von der Interaktion mit anderen Menschen."

Eine Million alleinlebende Menschen in Berlin

Vom Balkon ihrer Wohnung schaut sie bis in den Wedding hinein. Vor ihr liegen viele Häuserblocks mit Dutzenden Wohnungen und zum Teil hell erleuchteten Fenstern. Auch hinter diesen Fenstern werden viele Menschen ohne Partner oder Partnerin leben. Über 500.000 Ein-Personen-Haushalte sollen es in Brandenburg sein, in Berlin lebt sogar eine Million der Menschen allein. Sabine ist nur eine von ihnen.

Sendung: Abendschau, 23.12.2021, 19.30 Uhr

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Beitrag von Christina Rubarth

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