Brandenburger Schulen nach Corona - Geld für Aufholprogramme ist da – Angebote fehlen teils

Di 26.04.22 | 14:56 Uhr | Von Amelie Ernst
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Aufholprogramm der Brandenburger Schulen, Aufnahme vom 25.04.2022. (Quelle: rbb/Amelie Ernst)
Audio: rbb24 Inforadio | 26.04.2022 | Bild: rbb/Amelie Ernst

Rund 23 Millionen Euro stehen in Brandenburg zur Verfügung, damit Schülerinnen und Schüler inhaltliche und soziale Lücken nach den Corona-Monaten schließen können. Doch für das laufende Jahr haben bisher nur wenige Schulen Mittel abgerufen. Von Amelie Ernst

Freiwillig länger in der Schule bleiben? Was für andere nicht in Frage kommt, finden Nico und Pauline aus der 5a der Grundschule Nord in Hennigsdorf prima. Nico kommt nachmittags sogar extra nochmal zurück in die Schule, zum Mathe-Aufholunterricht: "Es wurde gesagt, dass jetzt wieder ein Platz frei ist und dann habe ich mich gemeldet."

Endlich wieder richtig lernen und Verpasstes nachholen - auch Pauline freut sich auf die Informatik-Extrastunde einmal die Woche: "Erst haben wir Programmieren gelernt und jetzt gucken wir uns an, wie ein Computer aufgebaut ist."

Der Aufwand für Anträge und Telefonate ist enorm

Dass Nico und Pauline verpassten Stoff jetzt im Extra-Unterricht aufholen können, liegt ganz wesentlich an ihrem Klassenlehrer Hans-Bernhard Henkel-Hoving: Er hat sich für die Grundschule Nord um das Corona-Aufholprogramm gekümmert. Damit er die vielen Anträge und Telefonate bewältigen kann, haben in den vergangenen Monaten seine Kollegen und Kolleginnen einen Teil seines Unterrichts übernommen.

"Klar ist: Das war eine Menge Arbeit. Da sind bis jetzt etwa 300 Zeitstunden reingeflossen. Wir haben Verträge mit acht Anbietern geschlossen, 200 Nachhilfestunden im Monat und 50 Lerngruppen." Aber die meist fröhlichen Kinder in den Lerngruppen hätten ihn für die Mühen entschädigt, sagt Henkel-Hoving.

Deutsch-, Mathe- und Englischgruppen, dazu Informatik sowie Anti-Mobbing- und Zirkusprojekte – so viel wie die Hennigsdorfer Grundschule Nord holen nur wenige Schulen aus dem Corona-Aufholprogramm raus. 60.000 Euro hat die Schule insgesamt dafür bekommen.

Woran es liegen könnte, dass bisher vergleichsweise wenige Brandenburger Schulen für das laufende Jahr Projekte abgerechnet haben, beschäftigt auch Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD). In der ersten Stufe im Herbst, bei der jede Schule pauschal bis zu 3.000 Euro zur freien Verfügung beantragen konnte, sei die Nachfrage deutlich größer gewesen. Einige scheuten nun offenbar die Bürokratie – daran arbeite man bereits, so die Ministerin. "Und wir müssen schauen, ob wir in allen Regionen Brandenburgs wirklich Anbieter haben, mit denen die Schulen kooperieren können." In manchen Regionen gebe es viele, in anderen dagegen zu wenige Angebote.

Das war eine Menge Arbeit. Da sind bis jetzt etwa 300 Zeitstunden reingeflossen. Wir haben Verträge mit acht Anbietern geschlossen, 200 Nachhilfestunden im Monat und 50 Lerngruppen.

Hans-Bernhard Henkel-Hoving, Lehrer

Sozialkompetenzangebote" gibt es überall reichlich

Dieses Missverhältnis scheint - neben dem bürokratischen Aufwand - ein Kernthema des Aufholprogramms zu sein: Eine Schule, die beispielsweise ihren Sechstklässlern einen Mathe-Aufholkurs anbieten möchte, hat in Märkisch-Oderland die Wahl zwischen acht Anbietern. In der Uckermark dagegen sind es nur drei – von denen einer nur Online-Kurse anbietet.

"Sozialkompetenzangebote" wie Zirkus- oder Naturprojekte gibt es auf der extra eingerichteten Plattform [aufholen-brandenburg.de] dagegen landesweit viele – umso gründlicher müssen allerdings die zuständigen LehrerInnen vorab recherchieren, welches Projekt für die SchülerInnen wirklich einen Mehrwert hat.

Die fehlenden Aufholangebote in bestimmten Regionen kritisiert auch der Brandenburger Landeselternrat. Und Günther Fuchs von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist das Aufholprogramm nicht nur zu bürokratisch, sondern auch zu wenig nachhaltig: Es brauche längerfristige Investitionen in die Schulen – 90 Prozent der bestehenden Probleme hätten mit Corona gar nichts zu tun, sie seien durch die Pandemie nur noch deutlicher sichtbar geworden. Ein Beispiel: Der andauernde Lehrkräftemangel, den auch das Aufholprogramm nicht beheben könne.

200 neue Lehrkräfte sollen eingestellt werden

Insgesamt 200 Lehrkräfte sollen zusätzlich an den Brandenburger Schulen eingestellt werden – etwa 120 von ihnen hätten bis Ostern auch schon ihre Verträge erhalten, so Bildungsministerin Britta Ernst.

Das Aufholprogramm selbst laufe immerhin noch bis Juli 2023. Auch die Hennigsdorfer Schulleiterin Beatrix Dietzel wünscht sich langfristige Unterstützung und weitere Aufholangebote - auch wenn nicht alle Schülerinnen und Schüler so offen dafür seien wie Pauline und Nico aus der Fünften. "Es wird uns nicht gelingen, alle Kinder zu fassen. Weil es auch Kinder gibt, gerade unter den Älteren, die sagen: 'Ich habe keine Lust'. Auch wenn die das bitterböse bräuchten."

Sollte es demnächst möglich sein, dann will Dietzel trotzdem weitere Mittel beantragen. Denn aufzuholen gäbe es noch viel.

Sendung: Radioeins, 26.04.2022, 10:00 Uhr

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Beitrag von Amelie Ernst

2 Kommentare

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  1. 2.

    Zwei Jahre nach Beginn der "Maßnahmen" - besser spät als nie?
    Den Jahrgängen, denen zu ihrem ohnehin schon miserablen Schulunterricht das Abschlussjahr komplett vermurkst wurde, hilft das wenig. Wer letztes Jahr die Schule beendet hat, hat nichts davon. Ich fürchte, den Absolventen dieses Jahres wird es genauso gehen.
    @rbb Bitte lassen Sie mal jemanden von der IT auf die Kommentarfunktion gucken. *Jedes* Mal muss man mehrmals auf "Abschicken" klicken, bevor nicht mehr "Bei Ihrer Eingabe ist ein Fehler aufgetreten" kommt.

  2. 1.

    Ein "Daumen rauf/runter-Ministerium" soll nun "daran arbeite man bereits" uns weismachen, das b e r e i t s woran gearbeitet wird und man "ganz weit vorne ist"? "Einige scheuten nun offenbar die Bürokratie" sagt viel darüber aus, dass es nicht an den Schulen liegt, wohl aber an den Randbedingungen.

    P.S. Zirkusbesuche für Oberschulen/Gymnasien?

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