Nach neuen Fällen von Nebenwirkungen - Berlin stoppt Astrazeneca-Impfungen bei unter 60-Jährigen

Das Land Berlin setzt den Impfstoff von Astrazeneca für alle Menschen unter 60 Jahren aus. Begründet wird dies mit neuen Fällen von Nebenwirkungen. Wie mit dem Impfstoff endgültig umgegangen wird, ist allerdings noch nicht final entschieden.
In Berlin werden vorerst keine Menschen mehr mit Astrazeneca geimpft, die unter 60 Jahre alt sind. Das sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Dienstagnachmittag in Berlin. Da auch Männer unter den Betroffenen von schweren Nebenwirkungen seien, gelte der Impfstopp nicht nur für Frauen, so Kalayci. Zuvor hatte bereits die landeseigenen Kliniken Charité und Vivantes beschlossen, auf Astrazeneca-Impfungen bei weiblichen Beschäftigten unter 55 Jahren vorerst zu verzichten - auch die Klinken setzten das Alter auf 60 herauf.
Kalayci begrüßte diesen Schritt und erklärte, neue Daten zu Nebenwirkungen bei Astrazeneca-Impfungen hätten dazu geführt. In Berlin gebe es aber noch keine solchen Fälle, betonte sie zugleich.
Stiko empfiehlt Astrazeneca nur noch für über 60-Jährige
Am Dienstagabend hat die Ständige Impfkommission (Stiko) am Robert-Koch-Institut eine neue Einschätzung zum Astrazeneca-Impfstoff mitgeteilt: Das Präparat werde nur noch für Menschen über 60 Jahre empfohlen, heißt es darin. Grund sei das Auftreten "seltener, aber sehr schwerer thromboembolischer Nebenwirkungen" beim Impfstoff von Astrazeneca - vier bis 16 Tage nach der Impfung ganz überwiegend bei Geimpften in der Altersgruppe unter 60.
Offen ließ die Stiko zunächst, wie mit der eigentlich notwendigen Zweitimpfung bei Menschen verfahren werden soll, die bereits die erste Impfung mit Astrazeneca erhalten haben. Bis Ende April solle dazu eine ergänzende Empfehlung abgegeben werden, teilte die Stiko weiter mit. Beim empfohlenen Impfabstand von zwölf Wochen seien in der Regel die ersten Zweitimpfungen Anfang Mai vorgesehen, hieß es.
Alle ausstehenden Termine abgesagt
Bis zu einem neuen Stand setze man in Berlin die Impfungen mit Astrazeneca bei Menschen unter 60 Jahren aus, so Kalayci. "Alle noch ausstehenden Termine werden abgesagt. Nun muss auch gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium abgeklärt werden, was dann aus den Zweitimpfungen wird", so die Gesundheitssenatorin.
Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern hatten am Dienstagabend über den weiteren Einsatz von Astrazeneca berichtet. Unter 60-Jährige sollen sich "nach ärztlichem Ermessen und bei individueller Risikoanalyse nach sorgfältiger Aufklärung" weiterhin damit impfen lassen können.
Die Länder sollen nun auch schon 60- bis 69-Jährige für das Mittel von Astrazeneca mit in ihre Impfkampagnen einbeziehen können, heißt es in dem Beschluss der Gesundheitsminister, berichtet die DPA. "Dies gibt die Möglichkeit, diese besonders gefährdete und zahlenmäßig große Altersgruppe angesichts der wachsenden dritten Welle nun schneller zu impfen." Derzeit laufen generell Impfungen in den ersten beiden Prioritätsgruppen, zu denen - bezogen auf das Lebensalter - Menschen ab 70 Jahre gehören. Wenn Menschen unter 60 sich für Astrazeneca entscheiden, sollen diese Impfungen grundsätzlich in den Praxen der niedergelassenen Ärzte erfolgen.
Bald auch Testzentren vor Supermärkten?
Angesichts der Testpflicht im Einzelhandel sollen in den kommenden Tagen und Wochen in Berlin deutlich mehr Testzentren entstehen, wie Kalayci nach der Senatssitzung weiter ankündigte.
Bislang gebe es 210 Teststellen, 560.000 Testungen pro Woche seien möglich. "Es ist aber klar, dass wir das nach oben skalieren müssen. Alle Stationen müssen ihr Angebot erweitern angesichts der Testpflicht im Einzelhandel", so Kalayci. Die Bezirke seien bereits nach zusätzlichen Standorten gefragt worden, zudem gebe es ein "Agreement mit dem Einzelhandel", so Kalayci. Demnach würden weitere Testzentren in Einkaufszentren entstehen, auch auf Parkplätzen vor Supermärkten sei dies denkbar, so Kalayci. Bislang gilt für den Einzelhandel des täglichen Bedarfs, also auch für Supermärkte, keine Testpflicht für Kunden.
Kalayci warb erneut darum, Gebrauch von dieser Möglichkeit zu machen. Denn die Infektionsdynamik sei in Berlin sehr hoch. "Wir sind in einer sehr schwierigen epidemiologischen Lage, wir sind in der dritten Welle, die britische Variante beherrscht die Dynamik", führte sie aus. Nicht nur an Ostern, sondern auch in der Zeit danach gelte es deshalb, bei Kontakten kürzer zu treten.
Inzidenz bei Kindern liegt über 200
Die meisten Corona-Ausbrüche gibt es laut Kalayci in privaten Haushalten, direkt dahinter folgen die Bereiche Kita und Hort, gefolgt von Flüchtlingsunterkünften und Arbeitsplätzen. Beim Blick auf die Altersgruppen sei auffällig, dass die Inzidenz (Infektionen unter 100.000 Menschen) bei über 90-Jährigen kontinuierlich sinke, derzeit liege sie bei 45. Bei Jüngeren hingegen beobachte man das Gegenteil: Bei Fünf- bis Neunjährigen liege diese Inzidenz bei 226, bei 15- bis 19-Jährigen bei 196.
Die als hochansteckend geltende britische Virusmutante B.1.1.7 mache inzwischen 67 Prozent der Infektionen in Berlin aus. In den Krankenhäusern steige inzwischen von Tag zu Tag die Auslastung auch der Intensivbetten. "Wenn wir in Berlin 7-Tage-Inzidenzen länger über 200 haben, dann werden wir sehr bald Verhältnisse wie zu Weihnachten haben", warnte sie.
Bei den Impfungen sei Berlin grundsätzlich auf einem guten Weg: "Wenn wir die unter 16-Jährigen herausrechnen, die ja vorerst nicht geimpft werden sollen, bleiben 3,1 Millionen Menschen in Berlin, die geimpft werden können. Gehen wir von einer Quote von 70 Prozent aus, ab der eine Herdenimmunität erreicht wäre, müssten wir 2,18 Millionen Menschen impfen. Das ist unsere Zielmarke. Stand heute haben 470.000 Menschen eine Erstimpfung erhalten, das sind also 21 Prozent von dieser Zielmarke", rechnete Kalayci vor.
Sendung: Inforadio, 30.03.2021, 14 Uhr
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