Interview | Tag gegen Gewalt an Frauen - "Opfer von häuslicher Gewalt müssen in Brandenburg für ihre Hilfe selbst zahlen"

Do 25.11.21 | 07:28 Uhr
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Zwei Frauen unterhalten sich am 21.11.2017 in einem Frauenhaus in Berlin. (Quelle: dpa/Sophia Kembowski)
Bild: dpa/Sophia Kembowski

Um mehr als 20 Prozent stieg im ersten Pandemie-Jahr die Gewalt gegen Frauen in Brandenburg. Die Frauenhäuser des Landes arbeiten am Limit. Es fehlt nicht nur Personal und Betten - sie müssen auch jedes Jahr die Finanzierung neu aushandeln.

Mehrfach hat die Brandenburger Landesregierung angekündigt, das landesweite Netz von Schutzräumen für von Gewalt bedrohten Frauen auszubauen. Im ersten Pandemie-Jahr stiegen die Straftaten, die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt stehen, um knapp 20 Prozent an.

Bereits im Frühjahr schlugen deshalb die Frauenhäuser Alarm: Für immer mehr schutzsuchende Frauen gibt es keinen Platz. Die Häuser sind überlastet, die Finanzierung unzureichend. Ihnen hat Sozialministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) Mitte November erneut eine bessere Gewaltprävention versprochen.

Auch Verena Letsch, Referentin vom frauenpolitischen Rat in Brandenburg [frauenpolitischer-rat.de] und Laura Kapp, Referentin in der Koordinierungsstelle des Netzwerks der Brandenburgischen Frauenhäuser [nbfev.de] halten mehr Ressourcen für dringend notwendig.

rbb|24: Frau Kapp, Frau Letsch, tut sich was für die Frauenhäuser in Brandenburg oder sind das nur Lippenbekenntnisse?

Laura Kapp: Grundsätzlich sehen wir eine sehr große Bereitschaft auf der politischen Ebene und Verwaltung in Brandenburg und es gibt ein großes Bewusstsein für die Notlage der Frauenhäuser. Wir sehen aber auch, dass die Regierung ebenfalls finanziellen Nöten unterworfen ist. Es gibt Haushaltszwänge und auch Personalmangel wegen Corona. Das Sozialministerium hat jüngst auch ein Gutachten in Auftrag gegeben zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen [msgiv.brandenburg.de]. Dieses Gutachten zeigt sehr deutlich, wo die Lücken sind und wir hoffen sehr, dass wir dabei einbezogen werden, diese Lücken zu schließen.

Welche Lücken zeigt das Gutachten?

Verena Letsch: Ganz klar: Uns fehlen in Brandenburg die Hälfte der notwendigen Betten für schutzsuchende Frauen. Bei der Anzahl der Betten orientiert sich das Land wie auch der Bund an der sogenannten Istanbul-Konvention. Diese Konvention gibt einen klaren rechtlichen Rahmen vor, was gegen Gewalt gegen Frauen getan werden muss. Und da machen wir nicht genug - nicht nur bei den Betten.

Was fehlt in Brandenburg, um den betroffenen Frauen den nötigen Schutz zu bieten?

Kapp: Es geht bei einem Frauenhaus-Platz ja nicht nur um ein Bett in einem Zimmer, sondern immer auch um eine adäquate sozialpädagogische Begleitung. Das fängt bei der Frage an, wie die Betroffenen überhaupt von Beratungs- und Hilfsangeboten erfahren, dafür braucht es zunächst eine Öffentlichkeitsarbeit. Dann braucht es geschultes Personal, was die Frauen unterstützt. Da hängt sehr viel dran.

Die Zahlen der Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt haben sich dramatisch gesteigert - in Brandenburg wie auch bundesweit. Welche Erfahrungen machen Sie in ihren Frauenhäusern?

Letsch: Insgesamt sind im vergangenen Jahr erstmal die Anfragen für eine ambulante und stationäre Hilfe zurückgegangen. Wir können nur vermuten, dass es daran liegt, dass den Frauen die Zugänge erschwert wurden. Es haben die wichtigen Vermittlungsdienste gefehlt, also Ärzte, Kindertagesstätten und andere, die Brücken bauen. Außerdem waren die Opfer plötzlich rund um die Uhr mit ihren Tätern zusammen und wurden ständig kontrolliert, sodass eine Kontaktaufnahme erschwert wurde.

Nach den Lockerungen stiegen die Zahlen dann aber rapide an. Das Schlimmste ist, dass vor allem das Ausmaß der Gewalt zugenommen hat, die Verletzungen sind größer geworden. Das ist jetzt eher ein anekdotischer Beweis, als ein statistischer, aber ich erinnere mich an den Mai 2020: Da hat es in Brandenburg drei Femizide in einer Woche gegeben. Drei Fälle in einem so engen Zeitraum, das ist in 30 Jahren in Brandenburg noch nicht vorgenommen.

Wo wird ein verstärktes Hilfsangebot am dringendsten gebraucht? Im ländlichen Raum?

Kapp: Wir haben über ganz Brandenburg 24 Frauenschutzeinrichtungen verteilt, alle Landkreise haben mindestens eine Einrichtung außer Potsdam-Mittelmark, die mit Potsdam und Brandenburg/Havel kooperieren. Es gibt auch keine Häufung im Norden oder Süden. Aber wir müssen sagen, dass wir insgesamt mit der Hilfestruktur so weit am Boden sind, dass wir überall von einer minimalen Hilfstätigkeit sprechen. Das liegt auch daran, dass wir historisch betrachtet noch mit der Frauenhäuserarbeit in den Kinderschuhen stecken. In den 1990er Jahren wurde noch sehr viel von ehrenamtlichen Frauenvereinen gemacht. Ein institutionelles Hilfssystem aufzubauen, dauert Jahre.

Letsch: Was man natürlich sagen kann, ist, dass es für Frauen im ländlicheren Bereich schwieriger ist, Hilfe zu finden, weil sie schlechter angebunden sind. Wenn man auf dem Dorf lebt und nur einmal am Tag der Bus kommt, wird es kompliziert. Da braucht es andere, mobilere und flexiblere Hilfsangebote. Aber wir wissen, dass die Frauensozialarbeiterinnen in den Häusern am Limit arbeiten. Es sind zu wenige und sie werden zu schlecht bezahlt. Bereitschaftsdienste sind ehrenamtlich. Um diese flexibleren Angebote, auch für den ländlichen Raum, zu stämmen, müsste es viel mehr Ressourcen geben.

Welche Wünsche richten Sie an die Landesregierung?

Kapp: Eines muss ich schon sagen: Frau Nonnemacher ist eine gute Verbündete und im Vergleich zu ehemaligen Sozialministern eine sehr frauenbewegte Ministerin. Aber auch sie kann nicht allein was ändern, das geht nur über den Landtag. Die Überschrift wäre: Sichert unser System! Denn das wird es im Moment nicht. Die Häuser müssen aus der aktuellen Projektförderung raus. Seit teils 30 Jahren müssen sie jährlich erneut die Finanzierung neu aushandeln.

Außerdem dürfen die Opfer künftig nicht mehr für die Aufnahme ins Frauenhaus zahlen müssen. Das ist ein riesiges Problem, viele von ihnen sind finanziell abhängig von ihren Tätern. Hier in Brandenburg zahlen die Opfer für eine Nacht im Frauenhaus sechs bis 13 Euro pro Nacht, das ist eine ordentliche Monatsmiete. Das muss man sich mal überlegen: Menschen, die Opfer von Straftaten geworden sind, müssen selbst dafür aufkommen. Das wird in anderen Bundesländern anders geregelt.

Mir ist aber ganz wichtig, dass sich die Betroffenen davon nicht abgeschreckt fühlen: Wir finden immer eine Lösung für die Finanzierung der Frauenhaus-Plätze.

Was wäre der erste wichtige Schritt in diesem Winter, in dem wieder erneut strengere Corona-Regeln und Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu erwarten sind?

Kapp: Frauenhäuser werden nicht schnell gebaut werden, nicht mal in den nächsten ein bis zwei Jahren. Das scheitert schon an banalen Gründen, wie dass die Baubranche in der Corona-Pandemie selbst Probleme hat.

Eine absolut wichtige Sofortmaßnahme ist es, dass die Polizeibeamten für das Thema sensibilisiert sind. Und alle sollten die Augen aufhalten. Häusliche Gewalt ist eine Straftat, da muss man agieren, auch als Nachbar, wenn man es hinter der Wand knallen hört.

Letsch: Wir müssen immer wieder daran erinnern, dass jede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben Opfer von häuslicher Gewalt wird. Das ist jede dritte Freundin, Nachbarin, Bekannte. Diese Zahl ist erschreckend. Das müssen alle wissen. Trotzdem überrascht es immer noch viele.

Sie befinden sich in einer familiären Notsituation? Sind Druck oder Gewalt in Beziehung, Familie oder der häuslichen Gemeinschaft ausgesetzt?

Beim Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen erhalten Sie bundesweit unter der 08000 116 016 rund um die Uhr Unterstützung auf Deutsch und in 17 weiteren Sprachen.

Auch in Brandenburg gibt es eine Reihe von Hilfsangeboten für Frauen, die sich in ausweglosen Situationen im häuslichen Umfeld wähnen. Das Brandenburger Familienministerium bietet auf seinen Seiten einen Überblick zu Hilfsangeboten [msgiv.brandenburg.de]. In jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt in Brandenburg gibt es Vereine, die Frauenhäuser betreiben. Kontakte können Sie unter anderem über das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser finden [nbfev.de] oder über den Bundverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe [frauen-gegen-gewalt.de].

Sendung: Inforadio, 25.11.2021, 8 Uhr

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1 Kommentar

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    ... Wir sehen auch, dass die Regierung finanziellen nöten unterworfen ist .... - Beschreibt den Wert Menschlichen Lebens. - Bundesweit. - Mal die Steuern raufschrauben, bis die Rechnungen für Sicherheit, Gerechtigkeit, Bildung, Pflege und Klima zu bezahlen sind ? Die Finanzminister von Bund und Ländern, sehen nur die Schulden und Einnahmen-Statistiken. Und dann wird der Haushalt in den Regierungsfarben zusammen-gestrichen. - Steuererhöhung bezahlen doch nur echte Männer ???

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