Berliner Wirtschaftssenatorin - Pop will Geimpften mehr Freiheiten ermöglichen
Die Diskussion über mehr Freiheiten für Geimpfte ist zurück. Berlin solle in der Frage vorangehen, fordert Wirtschaftssenatorin Pop - und bekommt breite politische Zustimmung. Dabei ist weiter nicht ausgeschlossen, dass Geimpfte das Coronavirus verbreiten.
Die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Bündnis 90/Die Grünen) hat sich dafür ausgesprochen, dass Menschen, die gegen das Coronavirus geimpft wurden, schneller grundrechtliche Freiheiten zurückerhalten sollen.
Auf Twitter schrieb sie am Mittwoch: "Es gibt keinen Grund, die Einschränkungen der Grundrechte für Geimpfte aufrechtzuerhalten." Bund und Länder müssten eine Regelung treffen, um Freiheitsbeschränkungen wieder zurückzugeben, so Pop. "Denkbar ist, dass Berlin einen eigenen Vorstoß unternimmt."
Zuvor hatte Pop dem "Tagesspiegel" gesagt: "[Geimpfte] müssen mit der zweiten Impfung ihre vollen Freiheiten leben können, da sie das Virus nicht mehr übertragen können." Die Zeitung ergänzte, dass Pop damit auf Erkenntnisse des Robert-Koch-Instituts (RKI) reagiere, wonach Geimpfte "nicht mehr infektiös für alle anderen" seien.
Breite Zustimmung aus der Landespolitik
"Wenn geimpfte Menschen das Virus nicht weiter übertragen können, gibt es keine rechtliche Grundlage dafür, ihre Grundrechte weiter einzuschränken“, sagte der Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Carsten Schatz, dem rbb.
So sehe es das Infektionsschutzgesetz vor. "Es geht also mitnichten um Privilegien für geimpfte Menschen, sondern darum, ihre Grundrechte wiederherzustellen." Ähnlich äußerte sich der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Florian Kluckert. Beide Politiker forderten, dass nun allen Menschen möglichst bald ein Impfangebot gemacht wird.
Unterstützung erhält der Pop-Vorstoß auch vom SPD-Gesundheitsexperten Thomas Isenberg. "Wenn die Studienlage des RKI stimmt, müssten alle Geimpften die gleichen Rechte bekommen wie Nicht-Geimpfte mit negativem Test", sagte Isenberg auf Nachfrage des rbb.
Er plädierte allerdings für einen weiteren harten Lockdown, um die 3. Infektionswelle zu brechen. Erst danach könne über Öffnungen mit Tests für die Nichtgeimpften oder für Geimpfte ohne Test gesprochen werden.
"Ungleichbehandlung ungerecht" - AfD gegen Lockerungen
Die AfD lehnt Lockerungen für Geimpfte hingegen ab. Ihr gesundheitspolitischer Sprecher Herbert Mohr verwies vor allem auf die Impfstoffknappheit. "Diese Ungleichbehandlung wäre schlicht ungerecht denjenigen gegenüber, die noch auf eine Impfung warten müssen."
Erst wenn genug Impfstoff für alle Bürger zur Verfügung stehe, würde die Impfbereitschaft steigen und die angestrebte Herdenimmunität erreicht. "Spätestens dann fehlt allen Corona-Einschränkungen sowieso jede Grundlage."
Amtsärztin vorsichtig
Deutlich vorsichtiger äußerte sich die Amtsärztin von Charlottenburg-Wilmersdorf, Nicoletta Wischnewski. "Wir wollen das Impfen voranbringen und alle Möglichkeiten, die das Impfen unterstützen, wahrnehmen", sagte sie dem rbb. Dennoch müsse man die Impfgerechtigkeit beachten. "Gleichzeitig muss man die Chance eröffnen, dass sich jeder impfen lassen kann. Das ist derzeit nicht gegeben, deswegen halte ich es zum jetzigen Zeitpunkt nicht für zielführend."
Zudem schütze nach aktuellem Kenntnisstand auch eine Impfung nicht vollständig gegen eine Infektion mit dem Coronavirus. "Auch in der Zeit, in der ich erkrankt bin, bin ich auch infektiös und kann andere infizieren." Zudem sei bisher unklar, wie lange eine Impfung schützt, so Wischnewski. "Wir werden nur einen begrenzten Zeitraum haben, in dem die Impfung vorhält."
Auch laut RKI nicht ausgeschlossen, dass Geimpfte Corona weitergeben
In dem der Diskussion vorausgegangenen RKI-Dokument steht: "Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigen-Schnelltests bei symptomlosen infizierten Personen" [tagesschau.de].
Das bedeutet: Ab dem 15. Tag nach der zweiten Dosis ist das Risiko, dass eine geimpfte Person das Virus weitergibt wohl geringer, als bei einer symptomlosen aber infizierten Person, bei der der Schnelltest negativ ist. Es bedeutet aber nicht, dass die Geimpfte sich nicht mehr infizieren können. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Geimpfte Sars-CoV-2 an andere weitergeben.
Auf Anfrage von rbb|24 teilte das RKI mit, das Institut habe dies nicht ausgeschlossen.
Diskussion bereits zu Jahresbeginn
Bereits im Januar, kurz nach Beginn der Impfkampagne, war über eine schnellere Rückkehr zur Normalität für Geimpfte diskutiert worden. Damals war allerdings noch völlig offen, ob Impfungen vor schweren Verläufen von Covid-19 schützen oder sogar eine Übertragung des Virus Sars-Cov-2 verhindern können. Dass die zugelassenen Corona-Impfstoffe zuverlässig vor schweren Covid-Erkrankungen schützen, ist bereits seit ihrer Einführung bekannt.
Nur wenn auch der zweite Fall möglich ist, fallen Geimpfte als Virenübertrager aus - und stellen somit auch keine Gefahr dar, das Virus auf ungeschützte Menschen zu übertragen. Weil dies bislang nicht ausgeschlossen werden kann, hatte die Ethikkommission Anfang des Jahres empfohlen, dass Geimpfte vorerst keine Ausnahmen von den Einschränkungen erfahren sollten.
Ethikrat: "Keine Benachteiligung durch Testmöglichkeiten"
Inzwischen habe sich die Ethikrat-Haltung durch die neuen Erkenntnisse des RKI geändert, sagte Ratsmitglied Sigrid Graumann, Professorin an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, dem rbb.
Es es gebe aktuell genug Testmöglichkeiten, so dass niemand von möglichen Lockerungen auf Basis von negativen Testergebnissen ausgeschlossen wäre. "Da können wir nicht von Benachteiligung reden", so Graumann. Weiterhin abgelehnt würden vom Ethikrat aber Regelungen, die Geimpfte speziell bevorteilen würden. "Sonderregelungen für Geimpfte wären dann ungerecht, wenn noch nicht alle Bürgerinnen und Bürger ein Impfangebot bekommen haben, und wenn kein Schnelltest als Alternative zur Verfügung steht."
Auf jeden Fall sollte die Quarantänepflicht auch für Geimpfte fortbestehen, so Graumann weiter. Denn auch diese könnten sich weiterhin mit dem Virus infizieren. Deswegen sollten auch Geimpfte etwa nach Reisen die Quarantäne nur durch einen negativen PCR-Test frühzeitig beenden dürfen.
Diskussion durch Äußerungen von Spahn angetrieben
Die Diskussion über eine schnellere Wiederherstellung von Freiheitsrechten hat Ostern wegen eines Interviews erneut Fahrt aufgenommen, das Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) der "Bild am Sonntag" gegeben hatte. Darin sprach er sich dafür aus, dass vollständig Geimpfte beim Einkaufen und Reisen wie Negativegetestete behandelt werden sollten. Spahn bezog sich ebenfalls auf "neue Erkenntnisse des RKI", äußerte sich insgesamt aber weitaus zurückhaltender, als die Berliner Wirtschaftssenatorin Pop dies nun mit ihrer absoluten Forderung tut.
Anschließend sagte Spahn allerdings gegenüber der DPA, dass auch für vollständig Geimpfte in der aktuellen Pandemiephase Corona-Regeln wie Abstand, Hygiene und Schutzmasken weiterhin gelten würden. "Denn sowohl der tagesaktuelle Test als auch die vollständige Impfung reduzieren das Infektionsrisiko zwar deutlich, aber sie geben keine hundertprozentige Sicherheit davor, andere zu infizieren", so Spahn gegenüber der Nachrichtenagentur.
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Sendung: Abendschau, 07.04.2021, 19.30 Uhr