Drei Wochen vor dem Start - Berlin im Verzug bei Impfpflicht im Gesundheitswesen
Es herrscht Verunsicherung: Wie will Berlin die Impfpflicht im Gesundheitswesen umsetzen? Vieles ist drei Wochen vor dem Start des "Berliner Modells" völlig ungeklärt. Gesundheitspolitiker und Amtsärzte schlagen Alarm. Von Angela Ulrich
Lars Düsterhöft von der SPD in Berlin hat selbst sechs Jahre lang als Pfleger gearbeitet. Aber gerade bleibt dem Gesundheitspolitiker im Abgeordnetenhaus die Spucke weg. "Mich macht das sprachlos, wirklich sprachlos, dass wir jetzt erst so weit sind", empört sich Düsterhöft.
Jetzt erst: Das heißt, genau drei Wochen, bevor auch in Berlin - wie in Brandenburg und bundesweit - die Impfpflicht im Gesundheitswesen greift. Wie genau das dann laufen wird in der Stadt, wer was organisiert und kontrolliert, ist aber weiterhin völlig offen.
"Man hätte schon vor zwei Monaten anfangen können"
Florian Kluckert von der FDP bekommt Anrufe von Pflegeeinrichtungen: "Die ganzen Einrichtungen fühlen sich offenbar auch nicht informiert, sonst würden sich nicht so viele bei mir melden und beschweren." Die Einrichtungen fühlten sich allein gelassen vom Senat, meint der Gesundheitspolitiker.
Auch SPD-Mann Düsterhöft schüttelt den Kopf. "Wir sind zu spät dran in Berlin", sagt er: "Man hätte schon vor zwei Monaten anfangen können zu schauen, wie wollen wir diese Impfpflicht umsetzen, und man muss nicht jetzt anfangen, Gespräche mit dem Lageso zu führen."
Genau das ist aber der Fall. Die Berliner Gesundheitsverwaltung ist in "intensiver Abstimmung", wie ihr Staatssekretär Thomas Götz erklärt, mit dem Lageso, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales. Und auch mit den Gesundheitsämtern der Bezirke. Sollen diese ab Mitte März die Daten der Impfverweigerer in Krankenhäusern und Pflegeheimen aufnehmen, nachprüfen, Beratungsgespräche führen, im Notfall Bußgelder ausstellen? Oder wird das - zumindest ein Melderegister - zentral über das Landesamt geregelt? "Da müssen wir noch liefern", ist Staatssekretär Götz klar - und macht keinen Hehl daraus, dass er beim Datenmelden eine einheitliche Erfassung bevorzugt.
"Keine Hygiene-Polizei"
Die zwölf Berliner Amtsärzte jedenfalls, sagt einer von ihnen, Nicolai Savaskan aus Neukölln, sehen die Gesundheitsämter bei so etwas überfordert. Und zwar nicht nur, weil Personal fehlt, meint Savaskan. Das passe auch nicht zu den Ämtern: "Das wäre die Rolle einer Hygiene-Polizei, die hier auf individueller Ebene einzelne Beschäftige im medizinischen und pflegerischen Bereich ahndet", sagt Savaskan. Und das sei eine Rolle, die sich nicht mit dem Selbstverständnis der Gesundheitsämter im 21. Jahrhundert deckt.
Dabei seien sich die Gesundheitsämter nicht zu schade, um Verantwortung zu übernehmen: "Der Punkt ist nur: für was?", fragt der Neuköllner Amtsarzt. Denn es könnte ungemütlich werden. Zwar sind nach internen Umfragen rund 90 Prozent der Beschäftigten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen geimpft. Einige mehr dann vielleicht noch mit dem neuen Novavax-Impfstoff, ist die Hoffnung. Aber es bleiben immer noch zu viele Pflegekräfte, die im Ernstfall fehlen würden, warnt Gesundheitspolitiker Düsterhöft: "Wir können auf gar keine Pflegekraft verzichten, und erst recht nicht auf zehn Prozent."
"Versorgungssicherheit geht vor Impfpflicht"
Denn für Düsterhöft ist klar: Versorgungssicherheit geht vor Impfpflicht. Einig sind sich die Gesundheitspolitiker von SPD, FDP und auch der Linken: Das Pflege-Impfpflicht-Gesetz gilt und muss umgesetzt werden, allen Unklarheiten zum Trotz. Tobias Schulze von der Linken sagt, das gehe nur gemeinsam. Lageso und Gesundheitsämter müssten zusammenarbeiten. Denn die Meldestelle sei das eine, auch die Beratungsangebote, die auch zentral koordiniert werden sollten. Aber, so Schulze: "Die Ultima Ratio, ein Beschäftigungs- oder Betretungsverbot, das muss dann von den Gesundheitsämtern ausgesprochen werden, dafür hat das Lageso keine Befugnis."
Aber dass tatsächlich ab Mitte März ungeimpfte Pflegende nicht mehr an ihre Arbeitsstelle kommen, das glaubt keiner der Berliner Politiker. Auch für Gesundheitsstaatssekretär Götz "fällt dann kein Hammer". Sondern man taste sich Schritt für Schritt voran. Nächsten Montag im Gesundheitsausschuss hofft Götz, Ergebnisse präsentieren zu können. Es werden Expertinnen und Experten angehört - Carla Eysel zum Beispiel, im Vorstand der Berliner Charité für Personal zuständig. Und die Gesundheitspolitikerinnen und Politiker der Fraktionen werden Gesundheitssenatorin Ulrike Gote noch jede Menge Fragen stellen.
Sendung: Inforadio, 23.02.2022, 06 Uhr