Nur Nichtinfizierte in Notunterkünften - Obdachlosenhilfe gerät wegen Omikron-Welle an ihre Grenzen

Do 27.01.22 | 17:21 Uhr
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Schlafender Obdachloser neben einer Mülltonne morgens im Bahnhof Tempelhof. (Quelle: dpa/Matthias Tödt)
Video: rbb|24 | 28.01.2022 | Material: Abendschau | Bild: dpa/Matthias Tödt

Wohnungslose Menschen, die sich mit Corona infizieren, bekommen keinen Einlass mehr in einer Notunterkunft. Doch die für sie geschaffenen Quarantänestationen sind überfüllt und viele Mitarbeitende der Einrichtungen selbst erkrankt. Von Jenny Barke

Der Januar hat für Tanja Schmidt nicht gut angefangen. An einem Tag meldeten sich zwei Mitarbeitende krank, weil sie Corona haben. Für die 14 Tage ihrer Quarantäne fielen 21 Schichten aus. Nur mit viel Organisation und Umdisponierung konnte die Leiterin der Notunterkunft des Straßenfeger e.V. für die Tage andere Mitarbeitende finden, sonst hätte sie die Einrichtung in Pankow schließen müssen.

Doch die Sorge bleibt: Fast täglich erreichen sie seitdem neue Meldungen von positiv getestetem Personal, meist ehrenamtliche Freiwillige. Wenn sie keinen Ersatz für die Krankgemeldeten findet, können 28 Gäste dann nicht mehr in der Notunterkunft übernachten. "Die Situation ist im Moment kaum noch zu bewältigen."

Täglich positiv getestete Gäste

Nach Angaben der Koordinierungsstelle der Berliner Kältehilfe musste wegen der Omikron-Welle erst einmal dieses Jahr eine Unterkunft über Nacht schließen, ansonsten konnte bei allen Trägern der Betrieb aufrechtgehalten werden. Doch viele Einrichtungen arbeiten wie der Straßenfeger e.V. an der Belastungsgrenze.

Nicht nur beim Personal, auch unter den wohnungslosen Menschen breitet sich Omikron rapide aus. Um zu verhindern, dass sie Corona-positiv in den Notunterkünften übernachten, sind die Testkapazitäten aufgestockt worden. Seit vergangener Woche testet die Kältehilfe der Berliner Stadtmission ihre Gäste täglich, statt wie zuvor nur zwei Mal die Woche. Meist ist eine positiv getestete Person dabei, sagt Sprecherin Barbara Breuer. Zunächst werden sie isoliert, bis ein PCR-Testergebnis vorliegt. Dann werden sie zu einer der Quarantänestationen geschickt, die für diesen Fall geschaffen worden sind.

Quarantänestationen teils überlastet

Insgesamt 130 Quarantänebetten stehen inzwischen in Berlin zur Verfügung - für schätzungsweise 7.000 bis 9.000 Wohnungslose. Die größte und einzige Quarantänestation mit medizinisch geschultem Personal befindet sich in der Lietzenburger Straße. Nicht an allen Abenden gelingt es Breuers Team von der Kältehilfe der Stadtmission, die infizierten Gäste an die Quarantänestationen zu vermitteln: "Ich weiß, dass es punktuell schon einmal zu Engpässen gekommen ist, dass da Kolleginnen und Kollegen von Notübernachtungen die Rückmeldung bekommen haben: 'Tut uns leid, wir können keine weiteren Patienten aufnehmen, wir sind voll'."

Tanja Schmidt vom Straßenfeger e.V. erreichte teilweise die Beschäftigten der Quarantänestationen nicht einmal, oftmals sei die Telefonleitung überlastet gewesen. Zudem sei die Kommunikation schwierig: "Da heißt es erst, ein Platz wird reserviert. Dann ist der plötzlich nicht mehr reserviert." Manchmal falle auch der Kältebus aus, der die Corona-infizierten Obdachlosen zu den Quarantänestationen fährt.

Neue Quarantänestation ohne Substitutionsangebot

Damit erkrankte Wohnungslose nicht in der Kälte übernachten müssen, will Berlin demnächst die Zahl der Quarantänebetten mindestens auf 300 Plätze verdoppeln. Kai-Gerrit Venske von der Caritas Wohnungslosenhilfe hofft, dass die neue Station auch eine Betreuung für alkohol- und drogenabhängige Infizierte anbietet. Dafür braucht es medizinisch geschultes Personal. Das gab es bei der bisherigen Isolier- und Quarantänestation der Berliner Stadtmission. Doch der Senat entschied sich für eine Neuausschreibung. Der neue Betreiber der Quarantänestation an der Lietzenburger Straße sei in der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe bisher ein Unbekannter, sagt Venske.

"Der neue Betreiber stellt nicht dasselbe Portfolio sicher, wie der alte, etablierte Betreiber es getan hat. Zum Beispiel können dort keine heroinabhängigen Obdachlosen aufgenommen und substituiert werden." Venske fordert, dass dies dringend geändert wird. Die Folge: suchtmittelabhängige Corona-Infizierte würden aus Angst vor einem Entzug nicht in Quarantäne gehen.

Wunsch nach unbürokratischer und vorausschauender Hilfe

Um auf die dynamische Omikron-Lage besser eingehen zu können, fordern die drei Expertinnen und Experten der Wohnungslosenhilfe, dass der Senat noch schneller, vorausschauender und unbürokratischer hilft. "Ich habe bis dato noch nicht gehört, dass mehr Hotels angemietet werden, um mehr Quarantänebetten bereitzustellen", sagt Tanja Schmidt vom Straßenfeger e.V.

Barbara Breuer von der Berliner Stadtmission hat allerdings auch positive Erfahrungen gemacht. Das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf habe im vergangenen Winter innerhalb von wenigen Stunden 18 Menschen in Hostels und Hotels untergebracht. "Es muss also nicht immer eine Katastrophe ausbrechen, wenn eine Unterkunft geschlossen wird", so Breuer. Außerdem macht ihr in der schwierigen Omikron-Lage eines Hoffnung: Unter den Wohnungslosen sind ihren Angaben nach viele geimpft, so seien viele vor schweren Covid-Verläufen geschützt.

Sendung: Inforadio, 27.01.2022, 15:31 Uhr

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18 Kommentare

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  1. 18.

    Schon mal im Kirchenschiff auf ne Toilette, Duschen und einen Schlafsaal gestoßen? Gehen Sie mal wieder rein, kann nur von Vorteil sein!

  2. 17.

    Waren Sie schon einmal in einer Obdachloseneinrichtung? Nach 2 Monaten muss das Hotel komplett saniert werden, das bezahlt aber niemand!

  3. 16.

    Sorry, diese Reaktion (14) sollte natürlich an Jasa gehen.

  4. 15.

    Falls ich darf:
    Sind Sie in der letzten Zeit mal auf zu einem Obdachlosen gegangen und haben ihn aufgefordert, bei Ihnen zu wohnen?
    Falls nein: Warum nicht?
    Voilà, da hätten wir die Antwort!

  5. 14.

    ... oder in Synagogen und Moscheen...?

  6. 13.

    Warum wird diesen Leuten nicht in Kirchen Unterschlupf gewährt ?

  7. 11.

    Möchten Sie Obdachlose in ihrem Hotel beherbergen?? Ich jedenfalls nicht!

  8. 10.

    Selbst mich als Gegner von Statistiken würden diese in diesem Zusammenhang mal interessieren:
    Worin konkret liegen die häufigsten Ursachen für Obdachlosigkeit?
    Weshalb haben die Betroffenen nicht rechtzeitig Hilfe erhalten bzw. in Anspruch genommen?
    Was für Möglichkeiten gibt es, Obdachlosigkeit per Eigeninitiative zu beenden?
    Und warum werden diese eventuell nicht ergriffen?
    Um es mal ein wenig überspitzt auszudrücken:
    Wäre ich obdachlos, wüsste ich gerade mal, wo die nächste Brücke ist oder in welcher Richtung es zum nächsten Rat- oder Krankenhaus geht.
    Wollte ich meine Obdachlosigkeit aber beenden, wüsste ich aus dem Stehgreif nicht, wo ich hin sollte.
    Was sagt das über unser Land aus?

  9. 9.

    Seien Sie unbesorgt. Bald ist es soweit: https://www.rnd.de/politik/eu-will-obdachlosigkeit-bis-2030-beenden-MKSCF3HCRBQ3HIBMBZKXHEIJGQ.html

  10. 8.

    Das Eigentum stellt hierzulande ein sehr hochrangiges Rechtsgut dar, in das nicht so einfach eingegriffen werden darf. Daher können leerstehende Wohnungen nicht ohne weiteres beschlagnahmt werden.

  11. 7.

    Achtung. Das großartige "Housing first" Projekt hat auch seine Grenzen. Denn hieran sind ganz bestimmte sozialleistungsrechtliche Ansprüche geknüpft!
    Das Problem in Berlin ist jedoch, dass ein Großteil der hier "lebenden" Obdachlosen EU-BürgerInnen sind oder gar von außerhalb der EU kommen. Und sehr viele dieser Menschen haben hier (noch) gar nicht die notwendigen Ansprüche auf Sozialleistungen, die es aber braucht, um ggf. in das "Housing First" Projekt zu rutschen. Somit bleiben für einen Großteil der Obdachlosen in Berlin "nur" niedrigschwellige Notfallhilfen, wie z. B. Nothilfeunterkünfte, Kältehilfe, mobile sanitäre und medizinische Hilfe. Das ist alles ist zwar noch immer deutlich besser als nichts, aber es bietet den Betroffenen eben KEINE nachhaltige Hilfe an, sondern nur kurzfristige Hilfe.

  12. 6.

    Es gibt doch sicherlich auch in Berlin Hotels, denen das Wasser bis zum Hals steht.
    Warum werden dort nicht Infizierte isoliert?
    Sicherlich alles nur eine Frage des Geldes!

  13. 5.

    Wieviel Jahrzehnte brauchen unsere Politiker eigentlich noch, um Obdachlosigkeit und Wohnungsnot zu bekämpfen?

  14. 4.

    ja, sehr traurig. Was ist aus den positiven Erfahrungen von "housing first" geworden?
    Warum werden nicht die vielen dauerhaft leerstehenden Wohnungen und Gebäude für Wohnungslose beschlagnahmt?
    Das die Notunterbringung unter den Gesichtspunkten einer präventiven Gesundheits- und Sozialpolitik nicht die erste Wahl sein sollte wird immer deutlicher. Trotzdem hält dieser Mißstand seit Jahren an.
    Viel Erfolg den Aktiven bei der Mahnwache am Alex!

  15. 3.

    Für mich unfassbar wie man in Berlin mit Wohnungslosen Infizierten umgeht für mich eine Schande. Ich frage mich wieso nutzt man nicht die leeren Flüchtlungsunterkunfte dieses wäre doch eine Lösung. In diesem Land darfst Du nicht arm sein dann fällt Du hinten runter und zählst auch nichts mehr.

  16. 2.

    Ja, es ist eine Schande. Ich habe großes Verständnis für das Engagement gegenüber vielen Migranten, die den Wunsch haben in Deutschland ein besseres Leben zu führen. Aber wenn man täglich an den U-Bahnhöfen und sonstigen Plätzen sieht, dass wir nicht mal unsere eigenen Probleme lösen wollen, kann man zornig werden.

  17. 1.

    Lesen wir irgendwann eine - sehr makabare - Statistik?
    Winter 2022 in Berlin:
    xx Obdachlose erfroren
    xx Obdachlose mit Corona erfroren

    Eine Schande für so ein reiches Land!

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