Fragen und Antworten - Was die Corona-Variante BA.5 so besonders macht - und was dagegen hilft

Im Gegensatz zu vergangenen Sommern bleiben dieses Jahr die Infektionszahlen hoch. Schuld daran ist die neue Corona-Variante BA.5. Wie sehr eine Viertimpfung dagegen hilft und was das für den Winter heißt, erklärt Haluka Maier-Borst.
Bleibt nach der Sommerwelle die Herbstwelle aus? Viertimpfen oder lieber warten? Wir haben einige Fragen in der rbb|24-Redaktion und der Community gesammelt und versuchen, diese so gut wie möglich zu beantworten.
Helfen die bisherigen Impfstoffe überhaupt gegen die Omikron-Variante?
Ja. Aber eben deutlich schlechter, zumindest wenn es um die sogenannte sterile Immunität geht. Mehrere Studien zeigen, dass der Schutz gegen jede Form von Infektion, der ja schon bei den ersten Omikron-Varianten verringert war, noch weiter sinkt bei den aktuellen Varianten BA.4 und BA.5. Etwa vier Mal resistenter als BA.1 sind BA.4 und BA.5 gegen die Antikörper im Blut [medrxiv.org].
Aber: Trotzdem sieht die Immunität immer noch besser aus als bei Ungeimpften, die eine BA.1-Infektion hinter sich haben. So fand eine Studie aus Südafrika [medrxiv.org] heraus, dass Menschen mit Impfung und einer BA.1-Infektion etwa fünf Mal mehr neutralisierende Antikörper gegen BA.5 aufwiesen als Menschen, die sich nur mit BA.1 infiziert hatten, aber eben ungeimpft waren.
Also lieber auf den verbesserten Impfstoff warten?
Falls Sie Teil einer Risikogruppe sind, also zum Beispiel älter als 60 Jahre oder jünger sind, aber mit Vorerkrankungen leben: Nein, bitte nicht. Denn ja, vielleicht könnte ein verbesserter Impfstoff Sie besser dagegen schützen, sich überhaupt anzustecken. Aber das Hauptziel der Impfung ist ein anderes, nämlich vor schweren Verläufen und vor Tod zu schützen, wie Experten immer wieder betonen.
Entsprechend sagte auch die Virologin Helga Rübsamen-Schaeff im rbb24 Inforadio: "Ich würde nicht warten, wenn ich zu einer der Risikogruppen gehöre, nicht warten" und schließt sich damit der Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA an.
Gibt es verlässliche Hochrechnungen dazu, wieviel Prozent der Bevölkerung schon Corona hatte? Und bringt das überhaupt was oder ist man mit neuen Varianten antikörpermäßig wieder bei null?
Bei "null" ist man nach Impfungen und/oder durchgemachten Infektionen definitiv nicht. Das zeigen die rapiden, schweren Ausbrüche an Orten, die lange eine Zero-Covid-Strategie verfolgt haben, wo aber zugleich die Bevölkerung nicht durchgeimpft wurde – wie zum Beispiel weite Teile von China. Wer in irgendeiner Form Immunität bekommen hat, sollte also seltener einen schweren Verlauf haben.
Wie gut aber der Einzelne dagegen geschützt ist, sich überhaupt anzustecken, das ist in der Tat schwierig zu sagen. Denn es gibt sehr viele Möglichkeiten, wie sich der eigene Immunschutz aufbaut. Einfach bis vierfach geimpft? Infektion durchgemacht mit Alpha, Delta oder Omikron? All diese Fragen führen dann auch zu einer unterschiedlichen Antwort. Und dabei sind nochmal individuelle Risikofaktoren wie Alter, Vorerkrankungen, Erbanlagen gar nicht mitbetrachtet.
Ein Beispiel: Südafrika hatte in seiner BA.5-Welle verhältnismäßig wenig Krankenhauseinweisungen [newscientist.com], während in Portugal die Welle auch bis auf die Intensivstationen schwappte. Liegt es daran, dass die Bevölkerung jünger ist? Liegt es daran, dass in Südafrika mehr Leute mit BA.2 sich zuvor angesteckt hatten, wohingegen in Portugal es eher das weniger ähnliche BA.1 war? Es fällt Expertinnen und Experten gerade schlicht extrem schwer, die vorhandenen Muster leicht zu erklären. Entsprechend ist ein Konzept à la Herdenimmunität auch nicht mehr wirklich anzuwenden.
Wie lange hält die Immunität nach durchgemachter Infektion?
Geht man von den Daten der Impfung aus, sollte man einige Wochen im Anschluss mindestens immun sein. Wenn dann auch noch die durchgemachte Infektion von der aktuell grassierenden Variante hinter einem liegt, sollte der Schutz vielleicht sogar einige Monate anhalten.
Kommt aber nun eine neue Variante wieder auf, können sich auch Menschen binnen weniger Monate nochmals anstecken, wie man es eben bei Omikron BA.1 und aktuell Omikron BA.4 oder BA.5 sieht. Ralf Bartenschlager, Professor für Virologie an der Universität Heidelberg, unterstreicht das noch einmal im Gespräch mit rbb|24: "Der Schutz vor Hospitalisierung ist nach wie vor nach der Impfung gegeben und auch eine frühere Infektion schützt wohl zusätzlich davor. Aber gerade bei Omikron sehen wir, dass die sterile Immunität weder gut noch lang anhaltend ist."
Fühlt sich Omikron eigentlich an der frischen Luft wohler als die anderen Varianten? Oder warum gibt es eine Sommerwelle?
Laut Bartenschlager sind es vor allem drei Dinge, die zu der aktuellen Sommerwelle führen. Erstens verdichten sich die Hinweise darauf, dass BA.5 besonders effektiv darin ist, in menschliche Zellen einzudringen und sich zu vermehren. Sprich schon wenig Virus reicht wohl aus, damit sich jemand ansteckt. Zweitens ist das Virus wohl viel besser darin, den Antikörpern zu entwischen, die durch Impfungen und/oder frühere Infektionen gebildet wurden. Und drittens, und das hat wenig mit dem Virus zu tun, ist der Alltag in den meisten Ländern so normal wie seit Anfang 2020 nicht mehr. Es gibt kaum noch Masken- und Testpflichten. Großveranstaltungen finden statt. Entsprechend sei es einfacher für das Virus sich auszubreiten, sagt Bartenschlager.
Warum ist Omikron überhaupt so dermaßen dominierend? Hat Corona keine echten neuen Varianten mehr auf Lager?
Tatsächlich ist Omikron besonders. Die ersten Varianten von Corona-Varianten Alpha, Beta und Gamma lagen in ihren Merkmalen noch sehr nahe beieinander. Erst Delta war der erste größere Ausreißer, der einen massiven Vorteil gegenüber den anderen Varianten hatte. Und Omikron ist gewissermaßen wieder eine komplett neue Linie. Ob sie aber auch das Schlusswort in Sachen viraler Evolution ist, ist schwierig zu sagen.
So sagte die Epidemiologin Mahan Ghafari von der Universität Oxford gegenüber dem Fachmagazin Nature [nature.com], dass es aus ihrer Sicht mit jedem weiteren Monat an Omikron-Dominanz unwahrscheinlicher wird, dass irgendwo eine vollkommen neue Variante auftaucht.
Bartenschlager ist da etwas vorsichtiger und sagt, dass man schlicht nicht wissen könne, was als nächstes passiert. Denn jede neue Infektion sei eben eine neue Chance für das Virus, eine ungewöhnliche Mutation mitzubekommen, die es ihm ermögliche, sich besser auszubreiten.
Und was heißt das für den Herbst/Winter, wenn viele Leute sich jetzt anstecken und in ein paar Monaten noch Antikörper haben?
Das hängt wie gesagt davon ab, was Corona als nächstes macht. Bleibt die Variante BA.5 vorherrschend oder sind neuere Varianten sehr nah mit ihr verwandt, dann wird ein großer Teil der Bevölkerung schon immun sein. Das Virus wird es entsprechend schwer haben, viele Menschen anzustecken.
Taucht aber eine neue, deutlich andersartige Variante auf, wäre der Immunschutz in der Bevölkerung deutlich geringer. "Vor wenigen Wochen dominierte noch BA.2 das Geschehen, jetzt ist es BA.5 und darum infizieren sich Menschen teils binnen weniger Wochen ein weiteres Mal mit Corona", sagt Bartenschlager. Entsprechend vorsichtig ist er mit Vorhersagen für den Winter.
Was muss ich nach einer Infektion beachten, wie lange sollte ich mich schonen und woran kann ich als Laie merken, dass mein Körper jetzt wieder fit ist und ich ohne Risiko Sport machen kann?
Erst einmal sollte man sich wirklich sicher sein, nicht mehr positiv zu sein. Was aber danach am besten ist, das ist selbst für Experten wie Bartenschlager schwer zu sagen: "Wir sehen nun mal ein breites Spektrum von leichtem Nasenjucken und 10 Tagen positiv, bis hin zu Long-Covid-Fällen." Er rät entsprechend dazu, langsam wieder anzufangen, sobald man sich fit fühlt und nach und nach seine Grenzen zu testen. "Wenn Sie leidenschaftlicher Radtouren-Fahrer sind, dann fangen sie vielleicht nicht gleich mit der 200-km-Tour an."
Sendung: rbb24 Inforadio, 15.07.2022, 12 Uhr