Interview | Berliner Allgemeinmedizinerin - "Vorerst lasse ich meine Kinder nicht gegen Corona impfen"

Mo 16.08.21 | 08:36 Uhr
Symbolbild: Ein Kind wird mit einem Covid-19 Impfstuff geimpft (Bild: dpa/Laci Perenyi)
Audio: Radioeins | 14.08.2021 | Kommentar von Ulrike Bieritz | Bild: dpa/Laci Perenyi

Noch gibt es keine generelle Impf-Empfehlung für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren. Bei ihren Kindern hält sich eine Berliner Allgemeinmedizinerin deshalb zurück. Über die Gründe und den politischen Druck auf die Stiko spricht sie im Interview.

rbb|24: Guten Tag, Frau Schäfer. Sie sind Allgemeinärztin und Mutter zweier bisher nicht gegen Corona geimpfter Kinder in Berlin. Sind Sie selbst geimpft?

Constanze Schäfer*: Ja, ich bin geimpft. Aber die Entscheidung fiel mir nicht ganz leicht. Ich konnte mich relativ früh impfen lassen – als über die Nebenwirkungen noch nicht so viel klar war. Da gab es Fallberichte über Nebenwirkungen, deren Genese noch unklar war. Beispielsweise über eine halbseitige Schwäche. Es war also noch unklar, wie sicher die Impfung ist und davor hatte ich Respekt.

Sie haben zwei Kinder im Alter von zehn und 14 Jahren. Wie stehen Sie für diese zu den Impfungen?

Für den Zehnjährigen kommt die Impfung ja sowieso noch nicht in Frage. Bei meinem 14-jährigen Kind bin ich aber auch sehr zurückhaltend. Ich bin sehr dankbar für die aktuelle Empfehlung der Stiko, die ich sehr differenziert finde. Sie sagt ja, dass sie sie bei kranken Angehörigen oder eigenen Grunderkrankungen empfehle, sie sich aber nicht im Klaren über die Nebenwirkungsrate der Impfungen sei und auch nicht über etwaige Spätfolgen. Und das bei nahezu ausnahmslos leichten Verläufen bei Kindern und Jugendlichen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben.

Bei Influenza-Impfungen während der Schweinegrippe-Saison sind bei den unter 15-Jährigen vermehrt Narkolepsien aufgetreten. Kinder und Jugendliche reagieren immunologisch einfach nicht analog zu Erwachsenen.

Das heißt, vorerst bekommt ihr 14-jähriges Kind keine Impfung?

Nein. Vorerst lasse ich meine Kinder nicht gegen Corona impfen. Es gibt jetzt erste Zahlen aus den USA, wo ja schon vermehrt Kinder und Jugendliche geimpft wurden. Hier scheint sich herauszukristallisieren, dass im Jugendalter vermehrt die Gefahr einer Myokarditis (Herzmuskelentzündung) als Nebenwirkung statt wie bei Älteren die einer Perikarditis (Herzbeutelentzündung) besteht. Doch die Daten aus den USA sind nicht sehr zuverlässig, denn einerseits ist eine Myokarditis eine Erkrankung mit einem sehr bunten Bild – die man häufig gar nicht erkennt, weil die Betroffenen auch einen sehr leichten Verlauf haben können und sich der Patient auch einfach nur erschöpft fühlen kann. Und zudem sind die USA ein Land, wo viele Menschen nicht krankenversichert sind und unklar ist, ob sie mit Beschwerden auch ärztliche Hilfe aufsuchen. Und über die Spätwirkung gibt es ja auch dort noch nichts. Aus all diesen Gründen halte ich die dortigen Zahlen auch nicht für wirklich tragfähig.

Ich werde also mit meinen Kindern erst mal weiter abwarten. Zumindest solange die Mutationen des Virus nicht in eine Richtung tendieren, die Kindern einen deutlich gefährlicheren Verlauf attestieren. Ich war kürzlich bei meinem sehr versierten Kardiologen. Er hat Kinder im Alter von 18 und 21 Jahren, die geimpft sind. Aber auch er sagte, dass er sich bei jüngeren Kindern sehr schwer tun würde mit der Entscheidung, sie zu impfen.

Wie finden Sie es, dass der Gesundheitsminister trotz fehlender Stiko-Empfehlung alle Jugendlichen aufruft, sich impfen zu lassen?

Die Stiko hat sehr verständlich und sehr klar aufgeklärt, warum sie die Impfung nur für klar definierte Gruppen von Jugendlichen empfiehlt, derzeit. Dass die Politik jetzt diese sonst so impffreudige Kommission, die jetzt eben implizit sagt, dass es sich bei der Corona-Impfung ja nun wirklich nicht um ein Lakritzbonbon für Kinder handelt, so dermaßen an die Wand spielt, berührt mich sehr. Einen solchen Umgang mit einen Expertengremium finde ich sehr bedenklich. Das macht mir ein schlechtes Gefühl. Denn ich frage mich, wenn die Stiko nächste Woche erneut zu dem Thema tagt, welches Ergebnis da herauskommen kann. Sind sie eventuell so massiv unter Druck gesetzt, weil sie ja auch nicht beweisen können, dass es schwere Nebenwirkungen gibt, dass sie die Impfempfehlung doch grundsätzlich geben?

In Berlin sollen alle Jugendlichen ab zwölf Jahren ja sogar eigens einen Brief von Gesundheitssenatorin Kalayci bekommen haben. Hat Ihr Kind den auch bekommen? Das Schreiben ist direkt an die Jugendlichen adressiert, der Tenor: Wer sich nicht impfen lässt, gefährdet einen "Schulbetrieb mit möglichst wenigen Infektionen und Beschränkungen".

Ja, hat er. Ich finde es schockierend, wenn ich im Radio dann Manuela Schwesig (SPD) noch zu diesem Thema, zu dem sie überhaupt keine Expertise hat, höre und sie ihre Meinung über die der Stiko stellt. Oder wenn auch große Zeitungen Formulierungen wie "Nunja, die Stiko meint das so zu empfehlen. Aber so mancher Reiseunternehmer wird das vielleicht anders sehen" veröffentlichen. Das geht wirklich gar nicht.

Es ist wirklich nichts getan worden, um die Kinder anders zu schützen. Eine Freundin von mir ist Lehrerin in Pankow. An ihrer Schule gibt es weiterhin weder Seife noch Flächendesinfektionsmittel. Das kaufen sie selbst. Sonst machen die Kinder an ihrem Platz den Test und essen hinterher an diesem nicht desinfizierten Tisch ihr Frühstück. Aber wir sollen die Kinder impfen zu lassen. Ich finde den Druck beachtlich.

Wie steht Ihr Kind selbst dazu?

Unsere Kinder sind ja geprägt von dem, was wir Eltern zuhause kommunizieren. Es ist also nicht so, dass das 14-jährige Kind unbedingt geimpft werden möchte. Es hätte aber, wenn wir gesagt hätten, es soll sich impfen lassen, das sicher gemacht. Im Freundeskreis des 14-Jährigen sind aber bisher nicht viele geimpft

Befürchten Sie für ihr älteres Kind, dass es Nachteile haben könnte im Vergleich zu geimpften Mitschülern, wenn die Zahlen weiter steigen und es zu Einschränkungen kommt?

Nein, das denke ich nicht. Zumindest nicht, wenn es bei der nicht allgemein ausgesprochenen Empfehlung der Stiko bleibt, was ich hoffe. Es wäre meiner Meinung nach nicht umsetzbar, Eltern auf diesem Weg dazu zu bewegen, ihre Kinder mit einem noch relativ neuen Impfstoff impfen zu lassen. Das wäre ja grotesk.

Kann man so jungen Menschen – die ja teils nicht mal geschäftsfähig sind oder gar wählen dürfen hier in Deutschland – zumuten, eine solche Entscheidung selbst zu treffen?

Da ist die Gegenfrage ja, ob man es Kindern von Impfgegnern zumuten kann, sich nicht zu schützen. Skepsis den Impfungen gegenüber kann ich gut nachvollziehen, Impfgegnerschaft finde ich extrem gefährlich. Ich denke, wenn ein Jugendlicher aufgeklärt ist, ist es richtig, dass er oder sie es auch selbst entscheiden kann.

Die Entscheidung und der Druck, sich doch bitte Impfen zu lassen, lastet ja schwer auf den Schultern der Kinder. Und diese Schultern haben ja schon einiges auf dem Buckel: Die Kinder und Jugendlichen sind monatelang isoliert zuhause geblieben, sie testen sich regelmäßig selbst, sie tragen stundenlang Maske. Sind Kinder die Leidtragenden dieser Pandemie, obwohl sie ihnen kaum etwas anhaben kann?

Ja. Erst durften sie nicht in die Schule und es fehlte ihnen so lange jeglicher sozialer Umgang. Und noch immer investiert man so wenig in ihren Schutz und spielt ihnen noch dazu den Ball der Verantwortung für offene Schulen, Teilhabe an Sportveranstaltungen etc. zu, indem man sich auf das Impfen fokussiert. Das erscheint mir weder anständig noch angemessen.

Haben Ihre Kinder merklich unter den Corona-Maßnahmen gelitten?

Im ersten Lockdown sehr. Nicht, was ihre Leistungen betraf. Aber sie haben sehr unter der Isolation gelitten. Beim großen Kind hat sich das Gymnasium sehr schwer getan auch nur Online-Konferenzen anzubieten – bis in den zweiten Lockdown hinein. Tatsächlich haben aber gerade Online-Konferenzen zur Verbesserung der Situation etwas beigetragen, weil die Kinder sich immerhin gesehen haben und sich besprechen konnten. Unsere Kinder waren viel auf sich gestellt, weil wir, mein Mann und ich, beide gearbeitet haben. Und ich als Ärztin anfangs ohne Schutzmaterial. Deshalb durfte mein jüngerer Sohn, der noch Grundschüler ist, anfangs auch nicht in die Notbetreuung. Es ging gerade meinem kleinen Kind im ersten Lockdown psychisch sehr schlecht. Im zweiten Lockdown, da war die Betreuung besser durch die Schule, ging es beiden Kindern deutlich besser.

Gibt es für den weiteren Verlauf etwas, dass Sie sich als Mutter und Ärztin wünschen würden?

Ich würde mir wünschen, dass, was die Impfungen im Allgemeinen angeht, noch ein bisschen mehr Kreativität an den Tag gelegt wird seitens der Politik. Um die Erwachsenen abzuholen, die noch skeptisch sind oder die sich auch ohne Impfung geschützt fühlen, weil sie vielleicht sehr ländlich wohnen. Diese Menschen sollte man aufsuchen und besser aufklären. Da sollten die zuständigen Politiker Gruppen definieren und sich fragen, wie sie diese ohne Strafen erreichen.

Ich hätte mir auch sehr gewünscht, dass die Corona-Tests kostenfrei bleiben. So wird es so werden, dass derjenige, der Geld hat, es sich leisten kann, sich nicht impfen zu lassen. Zumal es ja auch Durchbrüche bei Geimpften gibt. Wenn es Geld kostet, werden sich mit Sicherheit auch weniger Geimpfte regelmäßig testen.

Außerdem wünsche ich mir sehr, dass man mehr und anders auf das psychische Wohl der Kinder schaut. Ich befürchte, dass ein weiterer Lockdown mit Schulschließungen für Kinder nicht zu ertragen ist. Das muss unbedingt verhindert werden. Aber doch bitte nicht, indem man sie auffordert, sich trotz unklarer Nebenwirkungen und Spätfolgen auf jeden Fall impfen zu lassen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

*Name von der Redaktion geändert

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

Sendung: Radioeins, 14.08.2021, 06:00 Uhr

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