Krankenhäuser in Berlin - "Die Grenze des Machbaren rückt immer näher"

Sa 12.12.20 | 18:44 Uhr | Von Roberto Jurkschat
Ein Intensivpfleger ist hinter einer Schleuse bei seiner Arbeit in einer Schutzausrüstung mit Mund-Nasenbedeckung, Gesichtsschutz, Kittel und Haube auf der Intensivstation des Krankenhauses Bethel Berlin an einem Corona-Patienten zu sehen. Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Bild: Kay Nietfeld/dpa

Aufnahmestopps, Patientenverlegungen, überlastete Rettungsstellen: Die Berliner Krankenhausgesellschaft blickt mit Sorge auf die Auslastung - nicht nur wegen der Zahl der Patienten. Sechs Kliniken schwenken bereits die weiße Fahne. Von Roberto Jurkschat

Nach Einschätzung der Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) deutet die Auslastung der Betten in den Berliner Kliniken auf einen "besorgniserregenden" Trend. BKG-Sprecherin Barbara Ogrinz sagte rbb|24, die Zahl der Aufnahmestopps und Schließungen einzelner Krankenhausstationen sei in den vergangenen Wochen gestiegen. "Die Grenze des Machbaren rückt immer näher – die Situation in Berliner Krankenhäuser verschärft sich", sagte Ogrinz. Zum Teil habe nur mit Mühe verhindert werden können, dass Rettungsstellen sich von der Leitstelle der Feuerwehr abmelden.

In sechs Berliner Kliniken jedoch haben laut der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Oberärzte signalisiert, dass keine weiteren Patienten mehr an sie überwiesen werden sollen [intensivregister.de]: Das Krankenhaus Bethel in Lankwitz, das Großkrankenhaus von Vivantes in Neukölln, das Humboldt-Klinikum in Borsigwalde, das Dominikus-Krankenhaus Berlin-Hermsdorf, das Wenkebach-Klinikum und das Martin-Luther-Krankenhaus in Grunewald. Im DIVI-Register sind diese Krankenhäuser mit einer roten Ampel markiert. "Die roten Ampeln sind vor allem ein Signal an die Ärzteschaft, dass die Kollegen keine weiteren Patienten mehr in diese Krankenhäuser überweisen sollen", sagte DIVI-Sprecherin Nina Meckel.

Feuerwehr verlegt Patienten in andere Häuser

Am Montag hatte das Berliner Vivantes-Klinikum in Neukölln mitgeteilt, dass die Feuerwehr zur Sicherstellung der weiteren Behandlung neun Patienten in andere Krankenhäuser habe verlegen müssen. Diese "Maßnahme zur temporären Entlastung" habe es ermöglicht, die Rettungsstelle weiterhin geöffnet zu halten, sagte ein Vivantes-Sprecher rbb|24.

Verlegt wurden demnach keine Covid-19-Fälle, sondern hauptsächlich andere Patienten der Inneren Medizin. Die Notfallversorgung sei weiterhin gesichert, hatte Vivantes-Sprecher Daniel Segal dabei betont. Planbare Operationen würde die Klinik derzeit entsprechend der Empfehlung der Politik verschieben. "Lebensbedrohliche Erkrankungen, dringende Eingriffe wie Tumor-Operationen und Notfälle werden grundsätzlich aber weiterhin ohne Einschränkung behandelt", so Segal. Nach Angaben der Berliner Feuerwehr von Freitagnachmittag bestand für die Rettungsdienste jedoch die Vorgabe, vorläufig keine weiteren Patienten in das Vivantes-Klinikum nach Neukölln zu bringen.

Kaum Patientenbetreuung möglich abseits der Behandlungen

Am 12. Oktober hatte das Krankenhaus, wie zuvor auch schon viele andere Häuser, ein allgemeines Besuchsverbot angeordnet. "Ausnahmen gelten nach Rücksprache mit Ärzten für Kinderstationen, Schwerstkranken und Menschen, die palliativ betreut werden", so ein Sprecher der Klinik.

Die Kontakteinschränkungen in dem Krankenhaus empfänden viele Patienten als Belastung, wie Patientenfürsprecherin Kathrin Schuhmann erklärt. So könnten Sprechstunden der Betreuer in der Klinik derzeit nicht wie gewohnt angeboten werden: "Die Menschen können mir schreiben, und manchmal telefonieren wir auch."

Immer wieder habe sie versucht, für einzelne Patienten eine Besuchserlaubnis bei der ärztlichen Leitung einzuholen, sei damit aber meistens gescheitert. Vor allem für Patienten, die vor einer schweren Operation stehen oder auf einen Besuch durch ihre Kinder warteten, sei dies eine zusätzliche Belastung.

Fast neun von zehn Intensivbetten derzeit bereits belegt

Nach Angaben der Senatsverwaltung für Gesundheit sind die Intensivstationen in Berlin zu rund 88 Prozent ausgelastet. Von den 1.217 gemeldeten Intensivbetten in der Stadt sind 1.130 belegt. Der Anteil der Corona-Patienten auf diesen Intensivstationen liegt bei knapp einem Drittel: 362 Patienten werden dort aktuell behandelt, davon müssen 242 beatmet werden. Die Corona-Ampel des Berliner Senats für die Kapazitäten auf den Intensivstationen war deshalb in der vergangenen Woche auf Rot gesprungen.

Die Corona-Klinik am Messegelände mit ihren rund 500 zusätzlichen Betten soll hier für eine Entlastung sorgen. Sie ist vorgesehen für Patienten mit leichtem und mittelschwerem Covid-19-Verlauf.

Schwere Folgen des Personalmangels an Lankwitzer Klinik

Neben den rasant ansteigenden Zahlen von Coronapatienten kämpfen die Kliniken aber auch mit zunehmenden Ausfällen beim Klinikpersonal. So hatte sich am Donnerstag vor einer Woche das St. Marien-Krankenhaus in Berlin-Lankwitz vorübergehend bei der Rettungsleitstelle abgemeldet. Nur so habe man sicher stellen können, dass die Notaufnahme auch weiter Patienten aufnehmen konnte, die selbst dorthin kämen, sagte Klinik-Sprecherin Cora Dieckmann rbb|24.

Zwar sei die Zahl der Corona-Patienten in dem verhältnismäßig kleinen Klinikum mit 37 Personen überschaubar, doch stand dem Haus nach eigenen Angaben in der vergangenen Woche lediglich ein Drittel der Belegschaft zur Verfügung. Erst seit Montag können die Rettungsdienste die Klinik nun auch wieder normal anfahren.

Solch zunehmende Ausfälle beim Klinikpersonal beobachten auch die Experten der Intensivmedizinervereinigung DIVI. Krankmeldungen und Quarantänen von Pflegern und Ärzten würden seit Wochen deutschlandweit zu einem Rückgang der verfügbaren Intensivkapazitäten führen.

Auch aufgrund dieser Entwicklung sei die Zahl der freien Intensivbetten bundesweit seit August von 11.700 auf 4.900 zusammengeschmolzen. Insgesamt stehen nach DIVI-Angaben bundesweit 27.158 Intensivbetten zur Verfügung, davon waren am Freitagabend mit 22.502 Betten 83 Prozent belegt [intensivregister.de].

Kliniken konnten offenbar neues Personal rekrutieren

Die Experten des DIVI in Berlin beobachten allerdings auch einen Trend, der den Kliniken helfen könnte, die Folgen der Pandemie besser zu bewältigen. DIVI-Sprecherin Nina Meckel sagte rbb|24: "Den Klinken in Berlin ist es offenbar gelungen, zusätzliches Personal zu rekrutieren, oder es sind in der letzten Zeit wieder mehr Pfleger nach vorübergehender Abwesenheit zurückgekehrt." Auch darum habe es keine Absenkung der gesamten Intensivkapazitäten in Berlin gegeben.

 

Sendung: Abendschau, 12.12.2020, 19:30 Uhr

Beitrag von Roberto Jurkschat

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