Corona-Auswirkungen - Mehr Berliner Kinder und Jugendliche in Psychiatrien
Das sozial eingeschränkte Leben in der Pandemie kann gerade bei Heranwachsenden psychische Krisen auslösen. Einer DAK-Studie zufolge wurden in Berlin zuletzt deutlich mehr junge Menschen in Psychiatrien aufgenommen. Fachleute zeigen sich besorgt.
In Berlin kommen seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich mehr Kinder und Jugendliche zur Behandlung in psychiatrische Kliniken. Das geht aus einer Sonderauswertung der Krankenkasse DAK hervor. Danach haben sich in der Hauptstadt im ersten Halbjahr 2020 Psychiatrie-Aufnahmen junger Menschen fast verdoppelt.
Klinikaufnahmen nur Spitze des Eisberges
Die Zahlen beruhen nach DAK-Angaben auf anonymisierten Daten von rund 38.000 Berliner Kindern und Jugendlichen. Im ersten Halbjahr 2019 wurden danach 22 junge Leute bis 17 Jahre wegen depressiver Episoden in Klinik-Psychiatrien behandelt. In den ersten sechs Monaten 2020 waren es 39. Das scheint nicht viel, allerdings kamen 2020 in diesem Zeitraum nur 928 über die DAK versicherte Berliner Kinder und Teenager überhaupt stationär in eine Klinik. Die Krankenkasse spricht von einer besorgniserregenden Entwicklung.
Laut dem Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Charité-Campus Virchow, Christoph Correll, sind Klinikaufnahmen die Spitze des Eisberges. Sie seien ein Signal dafür, dass sich etwas verändere. In seiner Klinik seien etwa mehr essgestörte Mädchen oder Patienten, die sich selbst verletzen, als vor der Pandemie.
"Menschen sind soziale Wesen"
Von einem sehr ungewöhnlichen Anstieg sprach die Kinder- und Jugendpsychologin an der Humboldt-Universität, Julia Asbrand. "Generell liegt die Schwelle für Klinikeinweisungen relativ hoch, weil man in der Regel versucht, Kinder und Jugendliche in ihrem Umfeld zu lassen."
Im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen hat Asbrand einen offenen Brief an die Bundesregierung geschickt. Bundesweit zeigten sich bei Kinder- und Jugendpsychiatern sowie Psychotherapeuten vermehrt Aggressionen, Schlafstörungen, Schulängste, Essstörungen, Depressionen und Drogenmissbrauch bei jungen Menschen, heißt es darin.
"Menschen sind soziale Wesen, die nicht nur in der Kernfamilie funktionieren", sagt Asbrand. Bei Jugendlichen sei das ein ganz großes Thema. "Sie haben als Aufgabe und Ziel, sich abzugrenzen, also aus der Familie hinauszugehen und sich andere Kontakte zu suchen. Und gerade das ist jetzt nicht möglich."
Sendung: Radioeins, 16.02.2021, 08:20 Uhr