Fallstricke der Lockerungen - Warum Berlin vorerst kein Corona-Hotspot ist
Ab Freitag fallen die meisten Corona-Regeln in Berlin weg. Einkaufen und auch Restaurantbesuche sind wieder ohne Maske möglich. Anders als andere Bundesländer wird sich Berlin zunächst nicht zum "Hotspot" erklären. Von Angela Ulrich
Die Berliner Grünen wollen sich damit nicht abfinden, dass Berlin kein sogenannter Hotspot werden soll. Per Dringlichkeitsantrag wollen sie auf ihrem Parteitag am Samstag im Berliner Westhafen dafür werben, Berlin doch noch zu einem zu machen.
Dann könnten weiter strengere Corona-Schutzmaßnahmen gelten, wie eine Maskenpflicht beim Einkaufen und 2G- oder 3G-Regelungen in Innenräumen. Ohne "Hotspot"-Regel fallen diese Einschränkungen nun aber erst einmal weg. Für die Grünen-Landesvorsitzende Susanne Mertens ist das unverständlich: "Uns ist es wichtig, dass wir Instrumente in der Hand haben, um auch noch Schutzmaßnahmen ergreifen zu können, auch präventiv", macht Mertens klar. Von einer echten Entspannung könne bei Corona noch keine Rede sein.
Gote: "Wir hätten uns das anders gewünscht"
Genauso sieht das auch Mertens' Parteifreundin Ulrike Gote. Die Gesundheitssenatorin ist regelrecht erbost, weil sie eigentlich nicht mit ansehen will, dass in dieser Phase der Pandemie gelockert wird. Doch Gote ist bei Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht durchgedrungen mit ihrer Forderung, per Infektionsschutzgesetz weiter bundesweite Regelungen in Kraft zu lassen.
"Wir hätten uns das anders gewünscht", kritisiert die Berliner Gesundheitssenatorin. "Ich bin auch nicht beruhigt über die Lage." Auch wenn man die niedrigsten Inzidenzzahlen habe, ginge es mit dem Abwärtstrend nicht so, wie man sich das gewünscht habe. "Wir sind jetzt auf einem Plateau – aber die Belastung in den Krankenhäusern ist sehr hoch, auch dadurch, dass viele Mitarbeiter:innen infiziert sind."
Bis zu 20 Prozent Krankenstand melden die Vivantes-Kliniken. Bei der Charité heißt es, 10 bis 18 Prozent des Personals sei in Isolation oder in Quarantäne. Das ist deutlich mehr als bei saisonalen Grippewellen, und auch mehr als in früheren Stadien der Corona-Pandemie. "Wir schlagen noch nicht Alarm", heißt es aus beiden Krankenhaus-Gesellschaften, denn der Betrieb könne noch aufrechterhalten werden. Aber die Lage sei "angespannt". In so gut wie allen Kliniken werden planbare Operationen weiterhin teilweise verschoben, obwohl damit eigentlich Schluss sein sollte.
"Opfer des eigenen Erfolgs?"
Trotz dieser angespannten Lage erfüllt Berlin derzeit keines der beiden Kriterien, die der Bund für einen "Hotspot" definiert hat: Weder ist eine neue, aggressive Virusart aufgetaucht, noch die kritische Infrastruktur im Gesundheitswesen am Limit. Diese an sich gute Nachricht bedeutet aber auch, dass Regierung und Parlament die Hände gebunden sind, um stärkere Schutzmaßnahmen weiterzuführen.
"Wir erfüllen in Berlin die Voraussetzungen für einen Hotspot einfach nicht", sagt Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). "Wir haben weder eine exorbitante Belastung der Krankenhausstruktur, noch eine extrem hohe Pathogenität", also sehr hohe Inzidenzzahlen.
Man sei quasi "Opfer des eigenen Erfolgs" heißt es aus der Gesundheitsverwaltung. Wie hoch müsste der Krankenstand in den Kliniken aber sein, um als Präventivmaßnahme einen "Hotspot" auszurufen? Auf einen genauen Wert will sich Ulrike Gote da nicht festlegen. Man beobachte die Personalsituation jeden Tag sehr genau, sagt ihre Sprecherin, und dann könnte man auch zeitnah reagieren.
Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern werden "Hotspots"
Hamburg und auch Mecklenburg-Vorpommern gehen einen anderen Weg. In beiden Ländern haben die Parlamente beschlossen, sich flächendeckend zunächst bis Ende April zu "Hotspots" zu erklären. Damit werden schärfere Corona-Regeln weitergeführt: eine Maskenpflicht beim Einkaufen, 3G in Restaurants und sogar 2G+ beim Tanzen. Allerdings sind die Voraussetzungen andere: Mecklenburg-Vorpommern weist aktuell nach dem Saarland die zweithöchste Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland aus - mehr als das Doppelte von Berlin.
Außerdem ist der Krankenstand beim Personal im Gesundheitswesen deutlich höher – in der Uniklinik Rostock beispielsweise haben sich fast 30 Prozent der Mitarbeitenden krankgemeldet. Auch in Hamburg verweisen SPD und Grüne in ihrem Antrag auf "die konkrete Gefahr einer dynamisch sich ausbreitenden Infektionslage" – obwohl die Inzidenzzahlen in der Hansestadt denen von Berlin gleichen. Allerdings steigt auch hier die Personalnot in den Kliniken – einzelne Häuser melden bereits 25 Prozent Ausfälle.
FDP will gegen "Hotspots" klagen
Berlin blickt derzeit sehr genau nach Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Nicht nur, was die Krankenstände in der kritischen Infrastruktur angeht, sondern auch zu einem weiteren Knackpunkt: Ob die "Hotspot"-Regelungen vor Gericht Bestand haben werden.
Denn in beiden Bundesländern haben FDP und AfD bereits Klagen angekündigt. Dem sieht das Schweriner Gesundheitsministerium allerdings gelassen entgegen. "Wir gucken uns das genau an", sagt Sprecher Alexander Kujat, "aber auch, ob die Hotspot-Regelung womöglich vorzeitig gelockert werden kann, weil sich die Bedingungen verbessern."
In Berlin gilt ab April nur noch ein "Basis-Schutz" gegen Corona: Maskenpflicht im ÖPNV, in Kliniken und Pflegeheimen. Dazu Testpflichten in Schulen und beim Pflegepersonal. Die Meinungen sind geteilt: Die Amtsärzte hätten gern eine Maskenpflicht beibehalten, und stehen den flächendeckenden Testungen eher skeptisch gegenüber, macht der Neuköllner Amtsarzt Nikolai Savaskan deutlich.
FDP-Gesundheitspolitiker Florian Kluckert ist hingegen zufrieden mit dem weitgehenden Ende von Corona-Einschränkungen: "Ich finde das richtig, dass Berlin sich nicht zum 'Hotspot' macht. Wir müssen lernen, mit der Pandemie zu leben", ist Kluckert überzeugt. Der Liberale appelliert an die Eigenverantwortung: Über das Masken-Tragen jenseits der bestehenden Vorschriften müsse jetzt halt jeder selbst entscheiden.
Die rot-grün-rote Koalition will allerdings "nicht ausschließen", dass es doch noch zu einer "Hotspot"-Regelung für Berlin kommt. Für Bettina König wäre das überfällig: "Im Prinzip könnte man sagen, dass überall in Deutschland die Zahlen so hoch sind, dass es für eine 'Hotspot'-Regelung angebracht wäre", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion und beklagt, "dass der Bund das Risiko auf die Länder herunterbricht", indem er keine einheitliche Regelung mehr treffen wolle.
Auch Gesundheitssenatorin Gote wäre dabei: "Ich wehre mich nicht gegen einen 'Hotspot', wenn wir den anhand der Kriterien erklären können. Ganz sicher nicht!"