Pflegeheime und Corona - Alte Menschen zwischen Schutz und Einsamkeit

Sa 06.06.20 | 08:27 Uhr | Von Anna Corves
Rosemarie Hintze (re) mit Pfleger und Tochter im Seniorenzentrum Elstal (Quelle: rbb/Corves)
Bild: rbb/Corves

Für viele Menschen normalisiert sich der Alltag langsam: Man kann wieder Freunde treffen, Kneipen haben geöffnet, auch beim Reisen fallen die Corona-Schranken. Doch wie sieht es dort aus, wo die Menschen leben, die am stärksten gefährdet sind? Von Anna Corves

Rosemarie Hintzes Zimmer im Immanuel Seniorenzentrum Elstal hat beste Wohnlage für Corona-Zeiten: Es liegt im Erdgeschoss, hat einen handtuchkleinen Vorgarten. In dem darf ihre Tochter sie besuchen. Und da sitzen sie nun auch: eine Tischbreite Abstand, umrahmt von blühenden Blumen. Ein idyllisches Bild - wären da nicht die Gesichtsmasken und der Schutzumhang von Tochter Silke. "Es ist schon komisch. Auch die körperliche Nähe fehlt, dass man sich mal in den Arm nimmt."

Ihre Mutter nickt und zuckt dann schicksalsergeben mit den Achseln: "Schön ist es nicht. Aber da müssen ja alle durch. Jammern hilft nicht." Sie habe schon viel Schlimmeres erlebt, sagt Rosemarie Hintze. Wie die ständigen Schmerzen durch ihr Weichteil-Rheuma oder die Notoperation am Gehirn. Sterben wolle sie nicht. Deswegen finde sie die Corona-Maßnahmen richtig. Auch wenn die 75-Jährige deswegen auf einiges verzichten muss: "Ich würde so gerne mal wieder raus. Irgendwo ins Geschäft gehen. Oder meine Tochter zuhause besuchen, die hat’s sehr schön."

Seniorenzentrum Elstal im Havelland (Quelle: rbb/Corves)
Seniorenzentrum Elstal | Bild: rbb/Corves

Viele fühlen sich einsam

Wenigstens dürfen sie sich inzwischen wieder richtig sehen. Zwar nicht drinnen im Heim - da dürfen weder Reporter noch Angehörige rein. Aber im Vorgarten oder an Besucherinseln – und nicht mehr nur durch die Fensterscheibe oder per Videotelefonie, wie noch vor einem Monat. Da war Rosemarie Hintzes Stimmung häufiger im Keller. Der Retter in der Not hieß dann Ingo, Ingo Musehold. Der Pflegehelfer kommt gerade vorbei auf seiner Runde in dem Wohnbereich, den er betreut, schaut nach dem Rechten. Ingo helfe ihr nicht bloß beim Waschen und Anziehen, sagt Rosemarie Hintze: "Wenn man traurig ist, kommt Ingo auch. Der hört zu und muntert einen auf."

Ingo Musehold freut sich, das zu hören. Er erledigt seine Arbeit nun schon seit vielen Wochen mit Mundschutz, Handschuhen und Desinfektionsmittel im Schlepptau: "Das war am Anfang anstrengend, aber ich habe mich daran gewöhnt." Für die Bewohner sei die Umstellung härter gewesen. Manche fühlen sich eingesperrt und einsam. Da seien sie als Pfleger besonders gefragt: "Wir haben viele Gespräche geführt, uns intensiver mit den Bewohnern beschäftigt, versucht, beruhigend auf sie einzuwirken."

"Sie haben doch auch ein Recht auf Leben"

Das Risiko zu vereinsamen sieht auch Nicole Oerder, die Leiterin des Pflegeheims. Deswegen hatte sie sich zu Beginn der Corona-Krise dafür entschieden, die Gemeinschaftsbereiche offenzuhalten.
"Die Bewohner haben auch zusammen gegessen, in ihrem vertrauten Umfeld." Aber strikt nach Wohngruppen getrennt. Zu den Gemeinschaftsräumen gehören Gemeinschaftsbalkone – und die werden fleißig genutzt, das ist vom Hof aus zu sehen: Ein Herr im Rollstuhl schleckt ein Eis, eine ältere Dame ruft ihrer schwerhörigen Sitznachbarin etwas ins Ohr – und kommt ihr dabei ziemlich nah.

"Ich kann sie nicht in ihr Zimmer sperren"

"Was soll ich machen", sagt die Heimleiterin. "Die Leute wohnen hier, ich kann sie nicht in ihre Zimmer sperren." Das wäre doch kein Leben mehr. Gleichzeitig spürt sie, natürlich, die Last der Verantwortung. Sie selbst, die Pfleger, die Bewohner – alle kennen die Berichte von Pflegeheimen, in denen der Corona-Virus grassiert ist, in denen Menschen daran gestorben sind. Deswegen ziehen die relativen Freiheiten nach innen strenge Regeln nach außen mit sich, jetzt erst recht: "Je lockerer der Alltag draußen wieder wird, umso mehr müssen wir hier drinnen aufpassen, jede Möglichkeit der Abschirmung zu nutzen." Ausflüge gibt’s für die Bewohner momentan nicht. Und ihre Besucher müssen sich im Vorfeld anmelden, bekommen am Einlass eine Hygienebelehrung, werden zu ihrem Angehörigen gebracht und abgeholt. Das Verfahren beansprucht 20 Minuten pro Besuch.

"Ich kenne keinen, der Corona hatte – Du?"

14 solcher Besuche am Tag kann das Pflegeheim ermöglichen, 96 Menschen leben hier. Manche Angehörigen ärgern sich über diese Beschränkungen, sagt Nicole Oerder. Als Anfang Mai Besuche überhaupt wieder erlaubt wurden, hätten viele vor der Tür gestanden und gedacht, sie könnten nun einfach wieder rein ins Haus. Viele empfänden die Maßnahmen als komplett übertrieben. "Ganz oft bekomme ich zu hören: Ich kenne keinen, der Corona hatte – kennst Du jemanden?"

Nein, auch Nicole Oerder kennt niemanden. Jeden Morgen wird bei allen Bewohnern und Pflegern Fieber gemessen. Bisher gab es noch nicht mal einen Verdachtsfall. Aber das spreche doch gerade FÜR die Maßnahmen, findet die Heimleiterin.

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Beitrag von Anna Corves

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