Impfangebot gegen Corona - Hat Jens Spahn zu viel versprochen und Angela Merkel zu wenig?
Erst versprach Gesundheitsminister Jens Spahn, dass alle, die wollen, sich bis Jahresmitte impfen lassen können. Nun spricht die Kanzlerin von spätestens Sommerende. Was ist nun realistisch? Von Haluka Maier-Borst
Sie ist der Lichtblick für alle, die Impfung. Und momentan auch der Grund für viel Frust. Denn obwohl die Impfzentren bereit stehen, geht es nur langsam voran. Nicht einmal drei Prozent der Bevölkerung sind inzwischen zumindest einmal geimpft.
Dennoch stellte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Anfang des Jahres in Aussicht, dass im zweiten Quartal alle Willigen ein Impfangebot bekommen würden [tagesschau.de]. Einige Wochen und Querelen später, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Impfgipfel und auch nochmal in einem Fernsehinterview, dass bis Sommerende (21. September) jeder und jede sich wohl impfen lassen kann.
Doch wie wahrscheinlich ist es, dass diese Termine eingehalten werden? rbb|24 hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zu den zugesagten Liefermengen und -zeitpunkten für die verschiedenen Impfstoffe angefragt und versucht mit diesen Daten eine Einschätzung für drei verschiedene Szenarien abzugeben.
Die entscheidende Marke, die wir in allen Szenarien ziehen ist, ob alle 83,2 Millionen Menschen in Deutschland geimpft werden können bis zu einem gewissen Zeitpunkt beziehungsweise alle über 18 Jahre (69,5 Millionen), da aktuell von der Impfung für Kinder und Jugendliche abgeraten wird.
1. Nur die aktuell zugelassenen Impfstoffe werden in den bisher zugesagten Mengen geliefert
Angenommen es bleibt dabei, dass nur die Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und Astrazeneca zugelassen sind und auch nur geliefert wird, was aktuell vereinbart ist, so könnte man in der Jahresmitte bei ungefähr 37 Millionen Geimpften sein. Das wäre gerade einmal gut die Hälfte der Erwachsenen (69,5 Millionen). Nimmt man noch das dritte Quartal hinzu, würde es gerade so klappen, dass man tatsächlich bis zum Sommerende allen über 18 Jahren ein Impfangebot gemacht hat.
Es dürfte aber in diesem Szenario eben kein zusätzliches Problem mehr auftauchen, das das Impfen verzögert - und das ist alles andere als sicher. Zwar haben Pfizer und Biontech erklärt, dass man nur kurzzeitig die Liefermengen drosselt, aber insgesamt seine Zusagen im ersten Quartal einhalten werde [tagesschau.de]. Und auch Moderna sagt, dass die Engpässe nur kurzzeitig seien [rnd.de]. Sollte allerdings Astrazeneca zum Beispiel tatsächlich nur halb so viel Impfstoff liefern wie versprochen [tagesschau.de], wäre das Ziel des Durchimpfens der Erwachsenen bis zum Herbst in diesem Szenario in weiter Ferne.
Es gibt aber dennoch eine positive Nachricht: Es wird wohl definitiv genügend passenden Impfstoff für die Älteren, also alle über 65 Jahre, geben. Zwar fällt nämlich aktuell der Impfstoff von Astrazeneca aufgrund mangelnder Daten zur Wirksamkeit als Option für alle über 65 Jahre weg. Mit den Mengen von Moderna und Biontech hat man aber definitiv bis Jahresmitte genug Impfstoff für diese Altersgruppe eingekauft.
2. Wenn zusätzliche Verhandlungen mit Biontech/Pfizer und Moderna erfolgreich sind
Aktuell verhandelt die Europäische Union auch über weitere Dosen mit Biontech/Pfizer und Moderna. Sollten diese Verhandlungen erfolgreich sein, tut sich zumindest ein bisschen etwas ab dem zweiten Quartal. Die Aussicht, bis zum Anfang des Sommers alle impfen zu können, wäre in diesem Szenario immer noch unwahrscheinlich. Aber die Chancen lägen sehr gut, bis zum Ende des Sommers alle impfen zu können – selbst wenn es zu vereinzelten Schwierigkeiten kommen würde.
Der große Vorteil dieser zusätzlichen Lieferungen ist, dass es inzwischen Erfahrung mit den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna gibt. Der Nachteil ist jedoch, dass diese Impfstoffe bei minus 70 Grad (Biontech/Pfizer) beziehungsweise minus 20 Grad (Moderna) gelagert werden müssen, etwas, das in regulären Arztpraxen meist nicht geht. Entsprechend müssten weiterhin der Großteil der Impfungen in den Impfzentren stattfinden anstatt mehr und mehr auf Hausärzte setzen zu können.
3. Wenn weitere Impfstoffe zugelassen werden und alles nach Plan läuft
Das Idealszenario wäre, dass die jetzigen Querelen nur ein kurzes Ruckeln waren und bald alles nach Plan läuft. Das würde auch bedeuten, dass weitere Impfstoffe zugelassen werden. Dazu gehört zum einen der Impfstoff der Tübinger Firma Curevac, der im zweiten Quartal zugelassen werden könnte [tagesschau.de].
Zum anderen ist da der Impfstoff von Johnson & Johnson, der in den nächsten Tagen oder Wochen wohl seine Zulassung in Europa beantragen wird [arte.tv]. Dieser scheint nur eine Wirksamkeit von 66 Prozent insgesamt zu haben, sprich in der Gruppe der mit dem Impfstoff Geimpften kam es zu 66 Prozent weniger symptomatischen Covid-19-Infektionen als in der Gruppe, die das Placebo erhielt.
Immerhin konnte bei den schweren Erkrankungen der Impfstoff aber 85 Prozent der Fälle verhindern. Der große Vorteil des Impfstoffs: eine Dosis reicht. Sprich: Jede zusätzliche Dosis von Johnson & Johnson heißt, dass eine Person mehr geimpft werden kann. Allerdings gab es schon Mitte Januar Berichte darüber, dass die Produktion des Impfstoffes sich wohl verzögert [nyt.com].
Selbst unter diesem Idealszenario wäre aber Jens Spahns Plan von einem Impfangebot bis zum Ende des zweiten Quartals eigentlich nicht wirklich zu halten – es sei denn man plant von vornherein ein, dass sich nicht alle impfen lassen wollen.
Dass sich alle aber bis zum Ende des Sommers impfen lassen können, so wie es Angela Merkel zusicherte, das wäre unter diesen Bedingungen mehr als machbar. Der Einfluss des Impfstoffs von Sanofi und GlaxosmithKline auf die Impfkampagne wird wohl derweil recht gering sein. Die Entwicklung hat sich verzögert und bisher sind Dosen dieses Vakzins für das vierte Quartal nur eingeplant.
Welche Unsicherheiten bleiben
Wie schon erwähnt, haben fast alle Impfstoffhersteller mit Verzögerungen zu kämpfen, die auch in dieser Form zu erwarten waren [deutschlandfunknova.de]. Hinzukommt, dass sich beim Verimpfen in den Bundesländern teils erhebliche Unterschiede im Tempo zeigen. Nur weil also genügend Impfstoff da ist, muss das noch lange nicht heißen, dass er auch direkt verimpft wird.
Vor diesem Hintergrund ist also selbst Merkels Versprechen nicht hundertprozentig sicher. Und es bleibt die Frage offen, wie gut die Impfstoffe gegen die britische, südafrikanische, brasilianische und andere Mutanten des Virus wirken. Bislang zeigen erste Studien, dass zwar bei den meisten Impfstoffen die Immunantwort zwar schwächer ausfällt, aber wohl immer noch stark genug um die Geimpften zu schützen.
Gleichwohl gibt es zum Beispiel eine Vorpublikation, die zeigt, dass der Biontech/Pfizer-Impfstoff gegen eine Kombination von Mutationen aus britischer und südafrikanischer Variante deutlich ineffektiver ist [cam.ac.uk]. Selbst wenn also alle einmal geimpft sind, könnte künftig sich ein Hase-Igel-Spiel zwischen Virus-Mutationen und neuen Impfstoffanpassungen anbahnen. Wirklich unter Kontrolle wird die Pandemie zudem sowieso erst sein, wenn nicht nur Deutschland oder die EU die Bevölkerung impfen kann – sondern wenn dies auf für ärmere Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika gilt.