Abstimmung im Bundestag - Corona-Impfpflicht ab 60 Jahren gescheitert

Do 07.04.22 | 17:22 Uhr
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Eine Frau lässt sich in der Praxis ihrer Hausärztin die dritte Impfung mit dem Comirnaty-Impfstoff des Herstellers Biontech/Pfizer injizieren. (Quelle: dpa/Wolfgang Kumm)
Video: rbb24 Abendschau | 07.04.2022| Vanessa Materla | Bild: dpa/Wolfgang Kumm

Im Bundestag ist die Einführung einer Corona-Impfpflicht ab 60 Jahren überraschend deutlich gescheitert. Auf Bedauern stößt diese Entscheidung in der Berliner und Brandenburger Landesregierung.

Der Gesetzentwurf für eine Impfpflicht ab 60 hat bei einer Abstimmung im Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit erhalten. Das über Monate umstrittene Vorhaben scheiterte überraschend deutlich. In namentlicher Abstimmung votierten 296 Abgeordnete dafür, aber 378 dagegen. Es gab neun Enthaltungen.

Antrag der Unionsfraktion auf Verschiebung der Impfpflicht ebenfalls abgelehnt

Die Unionsfraktion hatte einen eigenen Antrag eingereicht, wonach erst im Herbst über eine Impfpflicht entschieden werden sollte. Auch der wurde mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Für den Antrag, Vorbereitungen für eine mögliche spätere Impfpflicht zu treffen, stimmten 172 Abgeordnete, dagegen waren 497 Parlamentarier bei neun Enthaltungen.

Eine generelle Impfpflicht in Deutschland ist damit vom Tisch. Die Impfpflicht ab 60 Jahren war bereits ein Kompromissvorschlag, auf den sich Vertreter der Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP verständigt hatten. Für die Abstimmung war die Regel aufgehoben worden, dass Mitglieder einer Bundestagsfraktion einheitlich abstimmen.

Nonnemacher und Gote bedauern Scheitern

Die Berliner Gesundheitssenatorin Ulrike Gote und die Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (beide Grüne) bedauern das Scheitern der Impfpflicht ab 60. "Die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht wäre wichtig und richtig gewesen. Die Corona-Pandemie ist noch nicht vorbei. Bei allen regionalen Unterschieden ist die Impfquote in Deutschland insgesamt zu niedrig. Allein mit freiwilligen Appellen werden wir die Pandemie nicht zu einem Ende bringen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die auch von den Gesundheitsministern der Länder Baden-Württemberg und Hessen unterzeichnet wurde.

"Kein guter Tag für die Gesundheitspolitik"

Nonnemacher sprach zudem im rbb-Interview von einem "Scheitern mit Ansage". Sie sei enttäuscht und auch verärgert, denn die Mehrheit der Bevölkerung wolle die Impfpflicht. Im Bundestag sei es zu "taktischen Rochaden" gekommen: Die Ampel-Koalition habe sich nicht auf einen eigenen Koalitionsvertrag entschließen können, die Opposition habe auf Fraktionszwang gespielt. "Ich bin enttäuscht, dass das so schlecht gelaufen ist, das war heute kein guter Tag für die deutsche Gesundheitspolitik", so Nonnemacher.

Besonders für die Beschäftigten in medizinisch-pflegerischen Bereich sei die Bundestagsentscheidung "eine große Enttäuschung, denn die stehen jetzt mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht allein, während allgemein überhaupt nichts passiert", so Nonnemacher.

Berliner CDU: "Desaster mit Ansage"

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte sich vor der Bundestagsabstimmung klar für die Impfpflicht positioniert: "Alle 16 Ministerpräsidenten und der Bundeskanzler haben sich für eine Impfpflicht ab 18 ausgesprochen", sagte sie auf Anfrage des rbb. "Diese Position vertrete ich weiterhin. Es wäre sehr bedauerlich, wenn auch ein Kompromissvorschlag keine Mehrheit erhalten würde."

Der Berliner CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner sprach nach der Bundestagsentscheidung von einem "Desaster mit Ansage". Die Bundesregierung sei in einer entscheidenden Gesundheitsfrage “zerstritten und handlungsunfähig. Der Schlingerkurs von Lauterbach zerstört zusätzlich Vertrauen. Die Ampel hat die Unterstützung für eine Impfpflicht fahrlässig verspielt", so Wegner.

AfD- und FDP-Mitglieder contra Impfpflicht

Im Bundestag hatte neben der AfD auch eine Gruppe um den FDP-Abgeordneten Kubicki eine Impfpflicht generell abgelehnt. Kubicki sagte in der vorangegangenen Debatte, die Menschen sollten selbst entscheiden, ob sie sich schützen wollen.

In einer teilweise erregten Bundestagsdebatte hatten die Parlamentarier zuvor mit Blick auf die mögliche Einführung einer Impfpflicht für ihre jeweiligen Anträge geworben. So sprachen sich unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der Grünen-Abgeordnete Janosch Dahmen für die Einführung einer Impfpflicht ab 60 Jahren aus.

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), stellte sich hinter den Unions-Antrag für ein Impfvorsorgegesetz, das unter anderem die Einführung eines Impfregisters vorsieht. Der FDP-Abgeordnete Wolfgang Kubicki argumentierte für den Antrag, der das Werben für eine Impfung vorsieht, eine Impfpflicht aber ablehnt. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel lehnte die Impfpflicht ab, weil sie einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeute.

Wie es aus Regierungskreisen hieß, rief Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vorzeitig vom Nato-Treffen in Brüssel zurück, damit diese an der Abstimmung teilnehmen könne. Ob sie rechtzeitig in Berlin war, ist unklar.

Rügen für AfD-Abgeordneten

Der AfD-Abgeordnete Martin Sichert erhielt zwei Rügen, weil er nach Ansicht von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zwei Abgeordnete persönlich angegriffen hatte. Die Grünen-Abgeordnete Emilia Fester bezeichnete er als "Bundestagsküken". Dies sei eine "despektierliche Äußerung", so Bas. Eine weitere Rüge erhielt er, weil er Bundeskanzler Scholz als Lügner bezeichnete und damit persönlich angegriffen habe.

Sendung: Inforadio, 07.04.2022, 13:00 Uhr

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97 Kommentare

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  1. 97.

    mal grob überschlagen, liegt der Teil der Impfpflichtgegner unter den Kommentatoren etwa bei 60 Prozent.
    Wollte mit meinem Senf nur dazu beitragen, dass dieser Anteil nach Möglichkeit im Mehrheitsbereich bleibt :o)

  2. 96.

    "Ich finde es schön, dass man mal wieder die Gesichter von anderen Menschen sehen kann."

    Bei den meisten Menschen bin ich eigentlich sehr froh darüber gewesen, dass deren Gesicht verdeckt war.

  3. 95.

    Sehr gute Nachrichten! Jetzt bräuchten wir nur noch ein Programm, dass allen "Corona-Politik-Traumatisierten" psychologische Hilfe anbietet. Allen voran unseren Kindern!

  4. 94.

    Was wäre denn die SO EINFACHE LÖSUNG?
    Einfach irgendeiner Gruppe die Impfpflicht aufdrücken?
    Nur weil Sie und ich GEIMPFT sind, heißt das noch lange nicht, dass andere Menschen MORALISCH verpflichtet sind, dies auch zu tun. Warum wollen Sie anderen Menschen Ihre Art der Gesunderhaltung aufdrängeln?

  5. 93.

    Für jemanden der noch an eine ehrliche problemorientierte Debatte glaubt war es sicher offen, aber für die die wissen wie Politik funktioniert, war das Ergebnis klar vorhersehbar.

  6. 92.

    Na nicht wirklich, denn als 3fach Geimpfter hätten sie sich nicht mehr impfen lassen müssen. Das ist ja die nächste „Inkontinenz“ an dem Beschlussvorschlag.

  7. 91.

    Jeder Bürger hat die Möglichkeit selbst zu entscheiden ob er sich impfen lassen möchte oder nicht und somit trägt er Eigenverantwortung und da sollte jeder gut überlegen.Mit der Impflicht hätte die Regierung ganz klar zu verstehen gegeben dass die Bevölkerung nicht mündig ist.

  8. 90.

    Meine Güte, ist es denn so unfassbar schwer zu verstehen? Dass es keine sterile und klinische Immunität gibt, war von Anfang an bei den Vakzinen klar. Es geht darum, dass im Herbst nicht wieder zahlreiche selbsternannte "Experten" die Intensivstationen verstopfen und somit unser Gesundheitssystem überlasten. Außerdem verhindert die Impfung wahrscheinlich auch Long und Post Covid, die auch nach milden Verläufen auftreten können. Wenn 5 bis 15 % der Infizierten das kriegen, dann sind das gewaltige Kosten, die auf unser Gesundheitssystem und auf unsere Volkswirtschaft zukommen wegen monatelanger Ausfälle, Rehamaßnahmen, Erwerbsunfähigkeit und Ausgaben für durch die Infektion hervorgerufene Organschäden, die zu chronischen Leiden führen. Um das alles abzufedern, sollte die Impfpflicht eingeführt werden. Keine Raketenwissenschaft, nur logisches Denken und gesunder Menschverstand. Die mussten heute leider machtpolitischen Spielchen und Populismus weichen. Hurra!

  9. 89.

    Die übliche Grippesaison geht bis Mitte Mai. Nach zwei völlig unterschiedlichen Corona-Durchläufen von einer Saison zu sprechen, lässt es jedem ernsthaften Statistiker eiskalt den Rücken runter laufen.

  10. 88.

    Man kann doch für sich selbst eine bestimmte Entscheidung treffen, und gleichzeitig dagegen sein dass andere dazu gezwungen werden, das Gleiche zu tun. Das ist überhaupt kein Widerspruch.

  11. 86.

    Jetzt geht Corona in die Verlängerung und wird uns wohl noch sehr lange beschäftigen. Weitere Mutationen sind nicht auszuschließen. Solidarität ist in Deutschland ein Fremdwort und es gibt hier zu viele Asoziale. Ohne Impfung wird die Seuche nicht noch viele weitere Jahre unser Leben beherrschen. Karl Lauterbach hat sich bemüht und hoffentlich bleibt er im Amt.

  12. 85.

    Bei mir auf Arbeit sind (bis auf eine Person)alle geimpften und geboosterten (mit mRNA-Impfstoffen) an Corona erkrankt gewesen. Von Eigenschutz kann also bzgl. Erkrankung nicht die Rede sein - ebensowenig von Fremdschutz. Mit einer Impfung REDUZIERT man sowohl die Wahrscheinlichkeit intensivmedizinisch behandelt zu werden als auch zu sterben infolge einer Corona-Infektion.

  13. 84.

    Das erstaunt mich jetzt aber, denn Ihre meisterliche Aussage lässt ja nur den Umkehrschluss zu, dass geimpfte Leute, die im Krankenhaus nicht durch Ärzte behahndelt werden.
    Liebe Leute, denkt doch wenigstens mal nach, was ihr schreibt. Und wenn es schon nur unbelegbare Schuldzuweisungen sein sollen, dann formuliert es entsprechend. Mit solchem Quark begebt ihr euch schlicht in die Zone der Lächerlichkeit.

    Beste Grüße

  14. 83.

    Dann sollten die mal checken, ob die ihre Masken auch richtig tragen (müssen dicht anliegen und auch über die Nase gezogen werden) und pflegen (maximal 8 Stunden Tragezeit, dürfen nicht durchfeuchtet sein, falls doch: nicht weiter verwenden). Dann gäbe es noch Schlupflöcher wie, dass man draußen eng beieinander steht ohne Masken oder dass man die nicht im Fahrstuhl und Hausflur und/oder bei guten Freunden oder Verwandten konsequent trägt.

  15. 82.

    Und im Herbst wird dann gejammert, wenn man während der nächsten Welle die Kitakinder wieder selbst betreuen und mit den älteren Kindern Homeschooling machen muss...

  16. 81.

    Die Herbstwelle kommt mit und ohne Impfung. Zumindest zu den Volksvertretern ist offenbar endlich durchgedrungen, dass es keinen wirksamen Fremdschutz gibt und die Impfung damit nahezu vollständig ein Eigenschutz ist, für den jeder persönlich verantwortlich zeichnet. Das ist auch gut und richtig so, denn in einer Demokratie darf man eben auch dumme und falsche Entscheidungen treffen, muss dann eben nur mit den Folgen zurecht kommen. Jeder hat die Möglichkeit sich durch Impfen zu schützen, wer es nicht tut, macht das bewusst. Ich bin kürzlich geboostert und weiß, dass das der maximale Schutz ist, den ich aktuell haben kann, ich vertraue mit Vorsicht darauf und weiß, dass mich auch andere Geboosterte jederzeit infizieren könnten. Im Vertrauen, dass mich die Impfung vor einem schweren Verlauf schützt, habe ich daher keine Angst davor. Eine Garantie zu überleben, kann mir niemand geben, das wäre dann Schicksal.

  17. 80.

    Ich glaube nicht, dass dieses Ergebnis nicht schon vorher vom überwiegenden Teil der Abgeordneten erwartet wurde. Es war nur noch einmal ein Schaulaufen. Der Großteil der Parlamentarier weiß, dass man mit Corona sich nicht mehr großartig profilieren kann. Welche Variante wir im Spätsommer auch immer haben werden, es wird ein anderer Corona Winter mit vorwiegend anderen Themen sein. Wichtig ist jetzt, dass die Menschen die wegen Corona schon ein fast hysterisches Dasein führen sich ablenken und sich wieder auf andere Sachen zu konzentrieren lernen. Ich finde es schön, dass man mal wieder die Gesichter von anderen Menschen sehen kann.

  18. 79.

    Hallo,
    ich kenne in meinem Umfeld jede Menge Geimpfte und "Geboosterte", die sich angesteckt haben (nicht im Krankenhaus und trotz Masken). Man kann sich offensichtlich nicht wirksam schützen, da brauche ich nicht zu spekulieren.

  19. 78.

    Es ist einfach nur peinlich, wie hier durch die Abgeordneten des Bundestages parteitaktisch gehandelt wurde. Statt wie immer gefordert die vulnerablen Gruppen durch eine Impfpflich zu schützen, werden wir im Herbst wohl mit einer weiteren Welle u. neuen Einschränkungen leben müssen. Liebe Politiker schaut in andere Länder (z.Bsp. Spanien) wo durch eine hohe Impfquote nach Ostern nur noch geringe Einschränkungen bestehen werden und dann überlegt nochmal, ob eine Impfpflicht nicht doch nötig wäre.

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