Interview | Medienpädagoge Guido Bröckling - Warum ein Social-Media-Verbot für Jugendliche nur eingeschränkt hilft
Junge Australier dürfen ab 2025 erst mit 16 Jahren Social Media nutzen. Das hat das dortige Parlament beschlossen. Im Interview erklärt Medienpädagoge Guido Bröckling, warum das allein auch nicht vor den Risiken der Netzwerke hilft.
Im US-Bundesstaat Florida gibt es juristische Auseinandersetzungen um ein Social-Media-Verbot für Unter-14-Jährige, in Frankreich dürfen Kinder bis 15 Jahren nur mit Elternzustimmung Social Media nutzen. Nun hat das australische Parlament die wohl bisher weitreichendste Regelung beschlossen: Im kommenden Jahr ist es Social-Media-Plattformen in Australien verboten, dass Menschen unter 16 sich bei ihnen anmelden können - etwa bei Snapchat, TikTok oder Instagram.
rbb|24: Herr Bröckling, was halten Sie von den Regelungen, wie sie jetzt in Australien eingeführt werden?
Guido Bröckling: Zunächst einmal ist es gut, dass Australien ein Verbot ausgesprochen hat, bei dem sie die Anbieter in die Verantwortung nehmen. Problematisch ist: Wenn Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren von Social-Media-Angeboten ferngehalten werden und dann auf einmal dort auftauchen, dann sind sie nicht darauf vorbereitet. Wenn wir Online-Räume - also Social Media - mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam begehen wollen und wenn wir sie stärken wollen, dass sie auch mit Risiken umgehen können, dann brauchen wir diesen Raum auch und dann muss es auch einen Zugang geben.
Also wenn es eine gesetzliche Regelung oder ein Verbot geben sollte - dann sollte es immer einhergehen mit anderen Maßnahmen des Jugendmedienschutzes, der Prävention und der Medienkompetenzförderung.
Was verboten ist, ist spannend – gerade für junge Menschen. Wenn sich Jugendliche nicht mehr bei Instagram einloggen könnten, finden sie dann nicht auch einen anderen Weg, auf diese Plattform zu kommen?
Natürlich finden Jugendliche immer einen Weg. Das Gute an der australischen Regelung ist das In-die-Verantwortung-nehmen der Anbieter. Es geht nicht darum, Kinder und Jugendliche zu verurteilen, die auf eine Plattform kommen. Die Maßnahmen müssen so sein, dass sie dort nicht auf gefährdende Inhalte stoßen.
Selbst wenn ihnen der Zugang zu bestimmten Plattformen verwehrt wird, suchen sich Jugendliche andere Räume, in denen sie online kommunizieren, in denen sie in Communitys sind und das ist auch gut so.
Das Problem bei der Verbotsdebatte ist: Die Kommunikationsrisiken haben wir ja auch in Messengern und die sind bei dem australischen Gesetz ausgenommen. Wenn im Messenger 400 Leute in einer Gruppe sind, kann es da ebenso zu Gefährdungen wie Cybermobbing oder sexueller Anbahnung kommen.
Aber: Die Online-Welt ist gut, um neue Peers zu finden, neue Gruppen, die gemeinsame Interessen haben, und das sollte man auch weiterhin ermöglichen - auch für Unter-16-Jährige. Man muss nur gucken, wie man diese Räume so gestalten kann, dass die Gefährdung minimiert wird.
In Sachen Social Media gibt es vier zentrale Player: die Eltern, die Schule, die Betreiber und den Staat. In welcher Verantwortung sehen Sie denn die jeweils?
Der Staat hat die Aufgabe, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die Anbieter in die Pflicht nehmen, Inhalte zu sperren, zu kontrollieren und geschützte Räume für Kinder und Jugendliche online zu schaffen. Jene Regelungen müssen die Anbieter umsetzen.
Eltern haben die Verantwortung, mit ihren Kindern über Sozialverhalten zu sprechen. Letztlich geht es um Respekt, um Werte, darum, wie Kinder und Jugendliche miteinander umgehen und das spiegelt sich in Online-Welten wider. Und in Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen liegt die Verantwortung darauf, dass wir kooperativ versuchen, Kinder auf diese Welt online vorzubereiten und das möglichst früh. Dafür braucht es mehr Medienkompetenzförderung.
In Deutschland gilt eine Altersgrenze von 13 beziehungsweise 16 Jahren für Social-Media-Plattformen. Was halten Sie von diesen Zugangsbeschränkungen?
Die Maßnahmen zur Altersbeschränkung sind nicht sonderlich strikt. Das heißt, jedes Kind hat letztlich die Möglichkeit, sich anzumelden. Für den Anbieter hat das keine Konsequenzen. Das ist ein Riesenproblem. In Australien hingegen werden die Anbieter in die Verantwortung genommen.
Altersempfehlungen werden aber immer wieder diskutiert und überarbeitet und grundsätzlich haben wir da einen guten Rahmen. Das Schwierige ist, dass es bei Kindern zwischen 9 und 13 wahnsinnige Unterschiede gibt. Da ist schwer, sie über einen Kamm zu scheren und Regeln zu finden, die für alle gleich gut sind.
Mit so einer starren Altersgrenze von 16 Jahren wie jetzt in Australien ist es also nicht getan?
Genau. Einerseits wegen der unterschiedlichen persönlichen Entwicklung, aber auch wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Kinder und Jugendlichen: Wie werden sie familiär und im sozialen Umfeld aufgefangen? Können sie über Inhalte oder Risiken zu Hause reden? Haben sie Bezugspersonen, mit denen sie das verarbeiten können, wenn sie dann doch auf problematische Inhalte stoßen?
Welche Gefahren sind Heranwachsende denn auf Social-Media-Plattformen ausgesetzt?
Grob kann man die Risiken in vier Gruppen einteilen: Erstens die Inhalts-Risiken, also die Konfrontation mit entwicklungsbeeinträchtigenden oder jugendgefährdenden Inhalten, wie etwa pornografische, gewalthaltige oder extremistische Bilder oder Videos. Solche Inhalte werden in der Regel ungeprüft hochgeladen und die Anbietenden kommen nicht hinterher, sie zu sperren.
Zweitens gibt es Kontakt-Risiken, also: sexuelle Belästigung, Anbahnung sexuellen Missbrauchs, also Cyber-Grooming oder Erpressung mit sexuellen Bildern. Das hat durch künstliche Intelligenz eine neue Dimension bekommen. Wir haben bei Kindern und Jugendlichen zum Beispiel zunehmend damit zu tun, dass dort Gesichter auf Bilder nackter Körper montiert werden und sich Jugendliche damit untereinander erpressen.
Dazu kommen drittens Verhaltens-Risiken wie Cyber-Mobbing, Hatespeech, sexualisierte Selbstdarstellung oder Radikalisierung, aber auch problematische Rollenbilder, Teilnahme an gefährlichen Challenges und so weiter.
Und viertens: Risiken, die mit der Marktteilnahme zu tun haben, also Verbraucherrisiken von Fake-Shops über manipulierte Werbung bis Influencer-Marketing.
Wir haben jetzt viel über die dunklen Seiten von Social Media für Herunterwachsende gesprochen? Was sind denn die Vorzüge?
Es gibt sehr viele positive Aspekte. Jugendliche nutzen Social Media, um sich zu vernetzen. Insbesondere auf dem Land, wenn man im Umfeld nicht die Menschen hat, die ähnliche Interessen haben. Gerade auf Plattformen wie Twitch oder Discord, Gaming-Plattformen, entstehen letztlich inoffizielle, aber sehr effiziente Selbsthilfegruppen von Jugendlichen, die ihre Probleme dort mit anderen Jugendlichen besprechen, die ähnliche Herausforderungen haben.
Wir wissen beispielsweise aus Interviews mit depressiven Jugendlichen, dass sie in Online-Games und Chats andere Betroffene finden und sich intensiv über Erfahrungen austauschen. Und da man im Netz auch selbst Content erstellen kann, besteht besonders für Jugendliche aus marginalisierten Gruppen die Möglichkeit, sichtbarer zu werden. Zudem bietet Social Media Kindern und Jugendlichen die Chance, ihre Perspektiven in der Gesellschaft deutlich zu machen und Dinge einzufordern. Zu guter Letzt hat Social Media einfach einen Wahnsinns-Unterhaltungsfaktor.
Für Berlin und Brandenburg runtergebrochen: An welchen Stellschrauben müsste man drehen, damit Jugendliche Social Media besser und gesünder nutzen können?
Es braucht viel mehr Bildungsangebote zur Förderung von kritischer Medienkompetenz, also zur Sensibilisierung für potenzielle Gefährdungen, antidemokratische Inhalte oder Hass im Netz. Wir wissen, wo wir gerade gesellschaftlich stehen, wir haben Entwicklungen, insbesondere in Brandenburg, die beunruhigend sind, auch was den Umgang mit antidemokratischem Social-Media-Content angeht. Wir müssen politische Medienbildung stärker fördern, an die Schulen bringen, in außerschulische Einrichtungen, in Bibliotheken, in Jugendeinrichtungen.
In Berlin stehen gerade Haushaltskürzungen an. Wie wirkt sich das aus?
Als JFF [jff.de], also als Institution, die viel mit Jugendeinrichtungen und Schulen arbeitet, merken wir die drohenden Kürzungen natürlich. Im Kulturbereich gibt es in Berlin ja gerade einen großen Aufschrei über die Einsparungen - glücklicherweise. Es wird nächste Woche auch Protestaktionen im Bereich der Jugendarbeit geben.
Am 4.12. machen unterschiedlichste Einrichtungen aus der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe und kulturellen Bildung in Neukölln beispielsweise dezentrale Protestaktionen, um auf die Missstände hinzuweisen. Und am 5.12. findet eine zentrale Demo vor dem Abgeordnetenhaus statt. Insbesondere arbeiten wir in Berlin sehr stark mit queeren Jugendlichen und marginalisierten Gruppen in dieser Gesellschaft. Da wird die Förderung voraussichtlich massiv eingeschränkt, was uns sehr erschrocken und überrascht hat.
Auf Bundesebene ist es noch gravierender, weil auch Förderungen der Demokratiebildung, die ja mit Medienpädagogik sehr eng zusammenhängt, eingeschränkt werden. Da geht es um große Bildungsprogramme, wo unklar ist, ob sie überhaupt kommen, weil man noch nicht weiß, wann ein Haushalt steht und wie er dann aussieht.
Es wird absehbar Kürzungen geben, was für uns in der Medienpädagogik angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen völlig unverständlich ist. Im Bereich der Demokratieförderung aktuell zu kürzen, ist das schlimmste Signal, das man geben kann.
Der Koalitionsvertrag in Brandenburg sieht Medienbildung aktuell auch nur in Bezug auf Journalismus und Zeitungen in der Schule vor und es gibt überhaupt keine Ansätze im Koalitionsvertrag, dass Medienbildung und Demokratiebildung gefördert werden sollen.
Das ist eine beängstigende Situation angesichts dessen, dass wir viel mit antidemokratischen Inhalten im Netz und außerhalb zu tun haben und dafür keine Sensibilisierung stattfindet, weil weder die Schulen noch die Jugendarbeit dafür die notwendigen Ressourcen bekommen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Julian von Bülow.
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