Clearingstelle geplant - Jüngere Pflegebedürftige sollen in Brandenburg früher geimpft werden können
Der 36-jährige Denny hat eine seltene schwere Erkrankung, eine Covid-Infektion würde ihn in Lebensgefahr bringen. Trotzdem spielt er bei Impfungen nur eine untergeordnete Rolle. Abhilfe schaffen könnte bald eine "Clearingstelle". Von Stephanie Teistler
Bei Familie Mau in Trebus (Oder-Spree) ist um 15 Uhr Schichtwechsel. Die Intensivpflegerin schiebt Denny im Rollstuhl ins Wohnzimmer, kurze Übergabe: Wie war die Klangschalentherapie heute? Wie viel Tee hat Denny bekommen? Wie geht es ihm? Ab jetzt übernimmt seine Mutter Monika Mau die Pflege. Streicheln, Trösten, Essen kochen und für die Magensonde präparieren.
Abends macht sie Denny fertig fürs Bett, bis sie der Nachtdienst des ambulanten Intensiv-Pflegedienstes wieder ablöst. Das ist Familienalltag seit 15 Jahren. Doch Corona hat auch das Leben der Familie Mau verändert.
Bis zur Impfung können Monate vergehen
Vater Jürgen sagt, dass sie mit ihrem Sohn kaum noch vom Hof kommen. Ausflüge, die sie sonst gemacht hätten, fallen aus. Alles ist zu. Und außerdem ist da noch die Angst vor einer Ansteckung. Jürgen Mau ist sich sicher: Eine Infektion mit dem Coronavirus würde sein Sohn nicht überleben.
Denny wurde mit dem Shprintzen-Goldberg-Syndrom geboren. Es ist so selten, dass Dennys Fall in medizinischer Fachliteratur beschrieben wird. Als Denny 20 Jahre alt ist, muss er operiert werden. Es kommt zu Komplikationen, erst Atem-, dann Herzstillstand, dann Wiederbelebung. Heute ist er Wachkoma-Patient. Ein Teil seiner Lunge wurde entfernt, er wird seitdem durchgängig beatmet.
Die Familie hofft nun auf die Impfung. Doch ein Blick in die Impfverordnung des Bundes zeigt: Denny ist Prioritätsstufe 3 - in der Impf-Reihenfolge hat er lediglich "erhöhte Priorität". Bis Denny Mau also an die Reihe kommt, kann das viele Monate dauern. Dabei kommen bei ihm viele Risikofaktoren zusammen: Der junge Mann hat eine seltene Erkrankung, er wird beatmet, er hat den höchsten Pflegegrad. Und solange er auch vom Pflegedienst betreut wird, kann er seine Kontakte schwer einschränken.
Bundesgesundheitsministerium verweist auf die Länder
Wie kommt es, dass ein Mensch wie Denny Mau nicht die höchste Impfpriorität hat? Janina Bessenich ist Geschäftsführerin des Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e.V. Sie wurde Mitte Januar im Bundesgesundheitsausschuss zur Impf-Reihenfolge angehört und hat den Eindruck, dass viele Gruppen vergessen wurden: "Da geht es um große Gruppen, die sehr gefährdet sind und eigentlich nicht auf die Impfung warten können." Das betreffe etwa Menschen mit Schwerst- oder Mehrfachbehinderungen, pflegende Angehörige oder Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Eine Grundlage für die Impf-Reihenfolge ist die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko). Die hat sie bereits im vergangenen Jahr erstellt und im Januar aktualisiert: "Bei der Priorisierung [...] können nicht alle Krankheitsbilder [...] berücksichtigt werden. Deshalb sind Einzelfallentscheidungen möglich." Aber: Gibt es diese Einzelfallentscheidungen überhaupt?
In die Impfverordnung des Bundes haben sie es bisher nicht geschafft. Dennys Vater Jürgen Mau hat nachgefragt: bei der Kassenärztlichen Vereinigung, beim Gesundheitsministerium Brandenburgs, der Impf-Hotline und im nahegelegenen Krankenhaus - ohne Erfolg. Er hat das Gefühl, keiner der Ansprechpartner möchte oder kann Verantwortung übernehmen. Das Bundesgesundheitsministerium antwortet auf Nachfrage, dass die Länder durchaus "innerhalb der Personengruppen" der Impfverordnung, eigene "auf die epidemiologische Situation vor Ort abgestimmt Priorisierung [vornehmen]" können und verweist auf die aktuelle Empfehlung der Stiko.
Clearingstelle soll über solche Fälle entscheiden
Auch Erwin Rüddel (CDU), Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag, sieht vorerst keinen Nachbesserungsbedarf an der Impfverordnung. Die Länder, die das Impfen organisieren, hätten die Möglichkeit, Veränderungen vorzunehmen, auch im Rahmen der aktualisierten Stiko-Empfehlung. Er gibt aber auch zu bedenken, dass "jede Änderung der Reihenfolge nicht nur Menschen besserstellt, sondern gleichzeitig andere schutzbedürftige Menschen schlechter stellt." Der Bund weist also auf die Länder - und ein Stück der Verantwortung von sich.
Die Diskussion fällt in eine Zeit, in der der Impfstoff knapp ist. Bessenich von der Caritas findet dennoch, dass gerade deshalb die Debatte um die Priorisierung wichtig ist, "damit wir tatsächlich darüber einen Konsens haben, wer berücksichtigt wird und wer nicht". Auch sie plädiert für die Einzelfallentscheidung.
In einer Stellungnahme fordern am Dienstag auch die Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen, dass die Impfverordnung angepasst werden müsse. Einzelfallentscheidungen müssten möglich gemacht werden.
Schließlich bestätigt auch das Brandenburger Gesundheitsministerium am Dienstag dem rbb, es plane eine Clearingstelle, die genau solche Fälle entscheiden soll. Damit hätten dann auch jüngere Menschen wie Denny eine Chance darauf, schneller geimpft zu werden. Wann die Clearingstelle ihre Arbeit aufnehmen kann, das steht noch nicht fest. Für Familie Mau ist es zumindest die Hoffnung, auf einen Ansprechpartner, der auch Entscheidungen treffen kann.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 26.01.2021, 19:30 Uhr