Corona-Pandemie - Berlin dämpft Hoffnungen auf schnelle Lockerungen
Während andere Bundesländer lockern, sieht Berlin dafür noch keinen Spielraum. Der Senat hat allerdings einen Plan für die nächsten Schritte ausgearbeitet - und liefert damit zumindest mittelfristige Perspektiven für Handel, Gastronomie, Kultur und Sport.
Während andere Bundesländer wie Brandenburg weitere Lockerungen beschlossen haben, sieht der Berliner Senat angesichts der Corona-Infektionslage und neuer Gefahren durch Virus-Mutationen die Zeit dafür noch nicht gekommen. Das machten die Vize-Regierungschefs Klaus Lederer (Linke) und Ramona Pop (Grüne) am Dienstag nach der Senatssitzung deutlich.
Pop und Lederer und verwiesen darauf, dass der wochenlange Rückgang bei den Neuinfektionen inzwischen nicht mehr zu beobachten ist. "Wir sind in einer ganz schwierigen Zwischensituation", sagte Kultursenator Lederer. "Und die Antworten darauf, wie man mit dieser Situation umgeht, sind noch nicht gefunden."
Er wundere sich deshalb, dass manche Bundesländer schon wieder Ankündigungen machten. "Wir werden das nicht tun, sondern wir werden weiterhin versuchen, in einheitlichem Vorgehen mit den anderen Bundesländern zu agieren."
Stufenplan nimmt 35er-Inzidenz in den Blick
Laut Wirtschaftssenatorin Pop steht der Senat zur begonnenen schrittweisen Schulöffnung und zu den Lockerungen für Friseure, die ab 1. März wieder öffnen dürfen. Weitere Lockerungen seien nicht diskutiert worden, sondern ein Stufenplan, "der auch die 35er-Inzidenz in den Blick nimmt". Der zuvor bekanntgewordene Plan sieht signifikante Lockerungsschritte erste ab einer Inzidenz von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche vor.
"Es ist zurzeit nicht der lineare Weg zur Inzidenz 35 erkennbar", so Pop. Das liege wohl am zunehmenden Anteil der ansteckenderen Virus-Mutationen. "So dass diese Stufen- und Öffnungsperspektive eben eine Perspektive ist, aber nichts, was in den nächsten Tagen beschlossen werden kann." Auch Mobilitätsforscher halten den Zielwert von 35 aktuell für unrealistisch.
Plan berücksichtigt mehrere Kennzahlen
Grundlage für Öffnungsschritte sind der Vorlage zufolge Kriterien wie die Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche. Hinzu kommen als "dynamische Faktoren" die Reproduktionszahl (R-Wert), die angibt, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt, sowie die Kapazitäten bei den Intensivbetten, die Veränderungsrate der Inzidenz und perspektivisch auch die Impfquote.
Bei einem Inzidenzwert über 100 - am Dienstag betrug er in Berlin 57,9 - gilt laut dem Plan die erste Stufe (Risikostufe B). Hier gelten weitgehende Schließungen, lediglich eine Grundversorgung im Handel und medizinisch notwendige körpernahe Dienstleistungen sollen erlaubt sein.
Die nächste Stufe (Risikostufe A) gilt bei einer Inzidenz von über 50: Sport in kleinen Gruppen soll dann für Kinder bis 12 Jahren draußen wieder möglich sein.
Auf die Risikostufen folgen vier "Cluster"
Dann wird es kompliziert, auf die beiden Risikostufen folgen vier weitere Stufen, sogenannte "Cluster":
- Cluster 0 greift, wenn der Inzidenzwert sieben Tage lang unter 50 liegt,
- Cluster 1, wenn die Inzidenz sieben Tage lang unter 35 liegt,
- Cluster 2 gilt, wenn der Inzidenzwert dann für 14 Tage stabil oder sinkend ist, gleiches gilt danach für Cluster 3.
Hinzugezogen werden dem Plan zufolge bei allen vier Cluster-Stufen die dynamischen Faktoren.
Beispiel 1: Restaurants sollen nach diesem Muster erst in der vierten Stufe (Cluster 1) bei einer Inzidenz unter 35 den Außenbereich für maximal 5 Personen aus zwei Haushalten öffnen dürfen.
Ist der Inzidenzwert 14 Tage stabil oder sinkend, dürften die Restaurants für sechs Personen aus drei Haushalten öffnen, in der nächsten Stufe dann für sechs Personen unabhängig von den Haushalten.
Beispiel 2: Auch für den Einzelhandel sind Öffnungsschritte über die Grundversorgung hinaus ab einer Inzidenz unter 35 (Cluster 1) vorgesehen: Zunächst soll dann eine Zugangsbegrenzung von 10 Quadratmeter pro Kunde gelten, ab einer Fläche von 800 Quadratmetern gelten 20 Quadratmeter pro Kunde.
In der übernächsten Stufe (Cluster 3) sind dann generell 10 Quadratmeter pro Kunde vorgeschrieben.
Beispiel 3: Theater, Konzerthäuser und Kinos sollen ab Stufe vier (Cluster 1) Veranstaltungen draußen anbieten dürfen. Erst bei stabilen oder sinkenden Inzidenzwerten in der nächsten Stufe (Cluster 2) können sie öffnen - mit begrenzter Personenzahl.
Bei weiter stabilen oder zurückgehenden Infektionswerten soll eine weitergehende Öffnung möglich sein, wenn eine Belüftungsanlage vorhanden ist und ein Sitzabstand von einem Meter eingehalten wird.
Clubs sollen erst ab Stufe sechs (Cluster 3) schrittweise öffnen können.
Vollständige Öffnung noch nicht Teil des Plans
Um eine komplette Öffnung ohne Beschränkungen geht es bei dem Stufenplan nicht. Schulen und Kitas werden in dem Papier wegen ihrer besonderen sozialen Bedeutung eine Sonderrolle zugebilligt - plädiert wird für eine schrittweise Ausweitung des Präsenzbetriebes. Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 100 müssten diese vorsichtigen Öffnungsschritte allerdings "zur Disposition gestellt" werden, heißt es in der Vorlage. Am Montag hatte die schrittweise Schulöffnung begonnen, den Anfang machten Schüler der Klassenstufen 1 bis 3.
In Berlin war die Zahl der Corona-Neuinfektionen wohl nicht zuletzt in Folge des Lockdowns wochenlang kontinuierlich zurückgegangen. Seit einigen Tagen weist die Inzidenz wieder leicht steigende Tendenz auf.
Wirtschaft kritisiert Stufenplan
Aus der Berliner Wirtschaft gab es bereits Kritik am vom Senat angedachten Stufenplan. "Ein an Inzidenzwerte gekoppelter Öffnungsplan ist noch keine Strategie, sondern lediglich eine Variation des immer gleichen "Weiter-so-Lockdowns"", teilte die Industrie- und Handelskammer (IHK) am Dienstag mit. Sie vermisse Pläne, wie sich mit Schnelltests die Rückkehr zur Normalität unterstützen lasse, und Maßnahmen, um die Gesundheitsämter zu befähigen, Kontakte zügig nachzuverfolgen.
"Was fehlt, sind Ideen für den schrittweisen Restart der Wirtschaft basierend auf den Erkenntnissen des tatsächlichen Infektionsgeschehens", so die IHK weiter. Der Lockdown solle das Gesundheitssystem vor dem Kollaps schützen. "Es kann aber nicht sein, dass Weg- und Zusperren auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie dafür die einzige Lösung bleiben."
Sendung: Inforadio, 23.02.2021, 15:20 Uhr
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