Erklärungen in Zahlen - Warum Abstand halten an Ostern gegen die Pandemie helfen kann

So 12.04.20 | 14:30 Uhr | Von Haluka Maier-Borst und Vanessa Klüber
Ein Schild mit der Aufschrift «Bitte mind. 1,5m Abstand Danke!» steht vor mehreren Personen (Quelle: dpa/Pleul)
Bild: dpa/Pleul

Auch über Ostern sollen wir Abstand halten. Ist das angesichts der sich verlangsamenden Geschwindigkeit von Neuinfektionen noch angebracht? Erklärungen für die anhaltende Kontaktverbote. Von Haluka Maier-Borst und Vanessa Klüber

Was Sie jetzt wissen müssen

Abstand zueinander halten, auch über die Osterfeiertage, das ist die Ansage. "Ostern wird ein Fest in Krisenzeiten sein", beschrieb es der Brandenburger Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) kürzlich. Er appellierte, die ergriffenen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus "weiter ernstzunehmen". Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) begründete die anhaltenden Kontaktverbote damit: "Eine Pandemie kennt keine Feiertage". Sie wisse, dass Ostern ein Fest der Familie sei und ein Fest, an dem man rausgehe. "Das muss in diesem Jahr anders ablaufen." Und für diese Sätze gibt es durchaus Gründe.

Positiver Trend: Zahl der Infizierten wächst langsamer

Mittlerweile sind oder waren mehr als 100.000 Menschen in Deutschland erwiesenermaßen mit dem neuen Coronavirus infiziert, mehr als 4.500 in Berlin und knapp 2.000 in Brandenburg (Stand: 12. April 2020). Nach anfangs sehr stark ansteigenden Infektionszahlen hat sich die Zahl der Neuinfizierten deutlich verlangsamt. Aktuell verdoppelt sich die Zahl der Neuinfizierten in etwa alle 14 Tage in Berlin und alle zehn Tage in Brandenburg. Zu Beginn der Pandemie lagen diese Werte bei zwei bis vier Tagen.

Die Infektionswelle verlangsame sich weiter, die Krankenhäuser seien weiterhin gut vorbereitet, verlautete der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD) am Donnerstag. Erstmal also gute Nachrichten. Doch die Infektionszahlen können sehr schnell wieder ansteigen.

Zu schnelle Ausbreitung verhindern

Nach wie vor haben nämlich nur ganz wenige Menschen die Erkrankung durchgemacht und sind damit wahrscheinlich immun. Das Robert-Koch-Institut (RKI) schätzt die Zahl dieser Genesenen auf rund 46.000 auf Basis der bisherigen gemeldeten Fallzahlen. Anzunehmen ist, dass die Dunkelziffer höher liegt, weil manche Menschen gar keine oder nur leichte Symptome hatten und ihre Corona-Erkrankung vielleicht mit einer normalen Erkältung verwechselt haben.

Trotzdem dürfte bislang nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung immun sein. Sprich: Die Epidemie könnte wieder Fahrt aufnehmen, wenn sich viele Menschen beim Osterbesuch neu anstecken würden. Sehen würde man das allerdings erst in ein bis zwei Wochen, weil es im Mittel sechs Tage dauert, bis ein Infizierter Symptome zeigt.

Die mögliche Folge: Wachsen dann die Fallzahlen wieder schneller, kann das bedeuteten, dass so viele Menschen auf einmal infiziert sind, dass das Gesundheitssystem überlastet ist und nicht mehr alle Patienten angemessen behandelt werden können.

Mögliche Gründe für weiteren Anstieg

Es gibt aber auch mögliche Gründe, wieso die Fallzahlen nach Ostern steigen oder sinken könnten, die gar nichts mit dem Verhalten der Menschen zu tun haben: Zum einen könnte die Zahl der Fälle weniger stark ansteigen, weil durch das sogenannte Contact-Tracing, also das Ausfindigmachen von Kontaktpersonen von positiv Getesteten, eine weitere Verbreitung inzwischen erfolgreich eingedämmt wurde.

Die Zahl der gemeldeten Fälle könnte aber auch in die Höhe gehen, zum Beispiel wenn in nächster Zeit mehr getestet würde. Oder wenn zum Beispiel der Einsatz der geplanten "Corona-App" ermöglicht, mehr Infektionsketten nachzuvollziehen, sodass sich mehr potenziell Infizierte testen lassen könnten. Auch denkbar ist, dass die Gesundheitsämter, die bisher nicht mit dem Testen hinterherkamen, ihren Rückstand aufholen. 

All das wäre auf eine Art und Weise ein künstlicher Anstieg, weil man bislang unentdeckte Fälle zu offiziell gemeldeten machen würde.

Darum Abstand halten

Unabhängig davon, wie hoch nun die tatsächlichen Fallzahlen sind, lässt sich aber sagen, dass das Einschränken von körperlichen Kontakten hilft. Dafür gibt es, überspitzt gesagt, eine gesicherte Beweislage von mehr als 100 Jahren. Das aktuell besonders oft gezeigte Beispiel ist das der beiden amerikanischen Städte St. Louis und Philadelphia zu Zeiten der spanischen Grippe 1918.

In Philadelphia spielte man zunächst nach den ersten Fällen die Krankheit herunter und veranstaltete sogar noch eine Straßenparade. Erst 16 Tage später, am 3. Oktober 1918, ergriff man panisch Maßnahmen, nachdem bereits Tausende verstorben waren. St. Louis dagegen hatte das mahnende Beispiel Philadelphias vor Augen. Nachdem sich am 5. Oktober erste Fälle abzeichneten, setzte man bereits am 7. Oktober die Quarantäne um [pnas.org]. Die Unterschiede in den Todesfallzahlen waren frappierend.

Auch beim aktuellen Coronavirus zeigt sich wieder, wie wirksam Quarantäne und Abstand halten beim Eindämmen einer Epidemie ist. Und das auch, wenn sie nur regional durchgeführt werden. So zeigte eine Gruppe um die Forscherin Jennifer Dowd der Universität Oxford einen Vergleich zwischen den italienischen Provinzen Bergamo und Lodi in einer Studie [osf.io]. Während Lodi schon am 23. Februar Maßnahmen zum Abstand halten ergriff, tat Bergamo dies erst am 8. März, mit drastischen Folgen für die Fallzahlen. Die Forschergruppe schreibt: "Das ist ein Beweis für das Potenzial des Abflachens der Kurve ('flattening the curve')."

Castelpusterlengo, Lodi in Italien am 25. Februar 2020. (Quelle: dpa)

"Sollte helfen, die Epidemie einzudämmen"

Was derzeit in Berlin, Brandenburg und Deutschland bei den Fallzahlen zu sehen ist, könnte aber nicht nur ein Abflachen der Kurve sein. Der Forscher Benjamin Maier erklärte gegenüber rbb|24 Mitte März: "Social Distancing und ein teilweiser Shutdown kann im Idealfall wie ein Reset wirken und ganz deutlich das Gesundheitssystem entlasten."

Damals erklärt Maier auch, welche Mindestdauer für die Maßnahmen Sinn ergeben würde. Zwei Mal die Inkubationszeit, also 28 Tage, könnten demnach genau diesen Zurück-auf-Los-Effekt haben. Von diesen 28 Tagen sind Berlin, Brandenburg und Deutschland zwar noch ein Stück weit entfernt. Im Idealfall wäre aber danach die Zahl der Neuinfektionen so weit zurückgefahren, dass zum Beispiel das Nachverfolgen von neuen Fällen und deren Kontakten einfacher würde.

Doch auch nach diesem teilweisen Shutdown dürfte es nicht sofort wieder zu Menschenansammlungen kommen. Sonst würde nach dem Reset sofort wieder zu einem schnellen Anwachsen der Fallzahlen kommen. Um mit Dietmar Woidke zu sprechen: "Über den Berg sind wir noch lange nicht."

Beitrag von Haluka Maier-Borst und Vanessa Klüber

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