Ausbrüche wie in Neukölln - RKI führt steigende R-Werte auf Einzelereignisse zurück

Di 23.06.20 | 15:49 Uhr | Von Oliver Noffke
Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts (Quelle: AFP/John Macdougall)
Bild: AFP/John Macdougall

Bundesweit steigen die Reproduktionszahlen für das Coronavirus deutlich - zuletzt auch in Berlin. Das RKI sieht zwar noch keine Hinweise auf eine zweite Welle, mahnt aber zur Wachsamkeit. Zumal weltweit neue Höchstwerte erreicht werden. Von Oliver Noffke

Die derzeit steigenden Reproduktionszahlen führt das Robert-Koch-Institut (RKI) auf einzelne Ausbrüche zurück und nicht auf eine breitflächige ansteigende Ausbreitung des Coronavirus. Das teilte RKI-Präsident Lothar Wieler bei einer Pressekonferenz am Dienstagmorgen in Berlin mit. Gleichzeitig mahnte er: "Ich denke nicht, dass die Lockerungen völlig folgenlos bleiben werden."

Ein wesentlicher Indikator bei der Beobachtung des Infektionsgeschehens ist der Reproduktionsfaktor der Erkrankung: der sogenannte R-Wert. Er zeigt an, wie viele Menschen durch eine infizierte Person durchschnittlich angesteckt werden. Liegt der Wert unter 1,0, flacht die Infektionskurve ab; liegt er über 1,0, ist ein exponentielles Wachstum der Infektionszahlen wieder möglich.

Bundesweit liege der R-Wert für die vergangenen sieben Tage laut RKI derzeit bei 1,83, in Berlin meldete der Senat für diesen Indikator zuletzt einen Wert von 2,06. Wieler wies jedoch darauf hin, dass auch solche vergleichsweise hohen Zahlen im Kontext des Pandemiegeschehens zu betrachten seien. "Generell sind die R-Werte besonders bei niedrigen Fallzahlen mit Vorsicht zu interpretieren." Da es derzeit insgesamt relativ wenige Neuinfektionen gebe, ließen einzelne Ausbrüche die Werte schnell ansteigen.

NRW verhängt Lockdown in Gütersloh

Das RKI sprach am Dienstag von vier größeren Ausbrüchen, die derzeit von lokalen Behörden eng kontrolliert würden. Dazu gehört auch der Ausbruch in einem Neuköllner Wohnblock mit knapp 100 nachgewiesenen Infektionen und Quarantäne-Auflagen für 370 Haushalte. Der Ausbruch steht möglicherweise in Zusammenhang mit einem christlichen Gottesdienst.

Besonders angespannt ist die Lage derzeit im Landkreis Gütersloh durch den Corona-Ausbruch in einem Schlachtbetrieb der Firma Tönnies mit mehr als 1.000 nachgewiesenen Covid-19-Infektionen. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), verkündete am Dienstag einen Lockdown für den Kreis und Teile des ebenfalls stark betroffenen Nachbarkreises Warendorf. [Mehr dazu bei den Kollegen vom WDR.]

Auch in Göttingen (Niedersachsen) und Magdeburg (Sachsen-Anhalt) gibt es derzeit lokale Infektionsspitzen. Solange sich insgesamt an der Lage nichts ändere, blieben solche Ereignisse beherrschbar, so Wieler: "Wenn es uns gelingt, die Fallzahlen niedrig zu halten, dann werden wir auch auf regionale Ausbrüche schnell reagieren können."

Berlin lockert, während Hunderte in Friedrichshain in Quarantäne müssen

Bundesweit wurden zuletzt aus 137 Landkreisen keine neuen Infektionen an das RKI gemeldet, in 212 weiteren Kreisen gebe es derzeit weniger als fünf Fälle pro 100.000 Einwohner. Wieler appellierte, die AHA-Regeln weiterhin einzuhalten und entsprechend auf Abstand, Hygiene und Alltagsmasken nicht zu verzichten, um das Virus in Schach zu halten. "Wenn wir ihm die Chance geben, sich auszubreiten, dann nimmt es sich diese auch", sagte er.

Ebenfalls am Dienstag gab Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) bekannt, dass die Kontaktbeschränkungen in der Stadt aufgehoben werden sollen - aber zugleich ein Bußgeld eingeführt wird, um die Maskenpflicht durchzusetzen. Die Ankündigung kam kurz nachdem bekannt wurde, dass in einem Wohnkomplex am Ostbahnhof in Friedrichshain 44 Menschen positiv auf Covid-19 getestet und etwa 200 Personen unter Quarantäne gestellt wurden. In Brandenburg ist die Zahl der täglichen Neuinfektionen in den vergangenen Tagen konstant im einstelligen Bereich geblieben.

Sozial-prekäre Verhältnisse begünstigen Ausbreitung

Mit Sorge beobachtet das RKI die Lage in anderen Erdteilen. Am Sonntag sei ein neuer Höchstwert bei den Neuinfektionen weltweit registriert worden, so Wieler. Innerhalb eines Tages habe es mehr als 180.000 Neuinfektionen gegeben. Das entspricht in etwa der Gesamtzahl an Infektionen in Deutschland. Insbesondere in den südlichen Bundesstaaten der USA sowie in Brasilien grassiere das Virus derzeit. Gefängnisse und Betriebe der Fleischverarbeitung seien in beiden Ländern besonders stark betroffen.

Aber auch in anderen Ländern würden die Zahlen derzeit rapide ansteigen; darunter Indien, Pakistan und Saudi-Arabien. Im Iran könne derzeit von einer zweiten Welle gesprochen werden. Ebenso sei es möglich, dass die in Israel bevorstehe. Nach umfangreichen Lockerungen seien dort Schulen in den Fokus geraten, da 40 Prozent der Neuinfektionen auf Schulkinder entfielen, so Wieler. "Die Pandemie ist ja nicht vorbei", sagte der RKI-Präsident, "sie ist weltweit nicht vorbei und sie ist auch in Deutschland nicht vorbei."

Ute Rexroth, Leiterin des Krisenzentrums des RKI und in engem Kontakt mit den Seuchenreferenten der Bundesländer, wies darauf hin, dass sich immer deutlicher ergebe, welchen Einfluss die Lebensumstände bei der Verbreitung hätten. "Wir können sagen, dass Armut, dass sozial-prekäre Verhältnisse auch hier Wurzel des Übels sind." Das gelte weltweit, aber auch für Deutschland, sagt sie.

Sendung: Abendschau, 23.06.2020, 19.30 Uhr

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