Maskenpflicht auch im Unterricht - Warum eine Berliner Grundschule sich selbst strengere Corona-Regeln auferlegt hat

So 16.08.20 | 08:28 Uhr | Von Anne Kohlick
SchülerInnen der Sternberg-Grundschule sitzen während des Unterrichts mit Masken im Klassenzimmer. (Quelle: rbb/A. Kohlick)
Video: rbb|24 | 16.08.2020 | Vanessa Klüber | Bild: rbb/Anne Kohlick

Die Maskenpflicht in den Berliner Schulen gilt laut Senatsvorschrift bislang nicht in den Klassenzimmern. Aber einige Schulen haben sich selbst strengere Regeln auferlegt – so wie die Sternberg-Grundschule in Schöneberg. Anne Kohlick war zu Besuch in der Klasse 5b.

"Womit beschäftigen wir uns im Fach Geschichte?", fragt Benjamin Gerlinger seine neue Klasse. Der 33-Jährige steht in kurzen Hosen und einem gemusterten Hemd an der Tafel vor 19 Kindern. Für die zehn- und elfjährigen Mädchen und Jungen ist es die zweite Stunde im neuen Fach Gesellschaftswissenschaften. Wie alle anderen Klassen an der Sternberg-Grundschule in Schöneberg müssen auch die Kinder der 5b im Unterricht Maske tragen – trotz 32 Grad Hitze, die durch die offenen Fenster in den Klassenraum dringt.

Ein Mädchen mit rosa Mundschutz meldet sich. Benjamin Gerlinger nimmt die Schülerin dran, aber ihre leise unter der Maske gemurmelte Antwort kann er kaum verstehen – obwohl die Schülerin in der vordersten Reihe sitzt. "Nimmst du bitte die Maske kurz runter, während du sprichst?", fordert der Lehrer sie auf. Und jetzt hört man klar und deutlich: "Wie Menschen früher gelebt haben - darum geht es in Geschichte."

Ausnahme Klassenzimmer

Der Berliner Senat schreibt vor, dass in den Schulen zum Schutz vor Corona eine Maske getragen werden muss – allerdings nur auf den Fluren, in Aufenthalts- und Gemeinschaftsräumen oder auf der Toilette, nicht aber in den Klassenzimmern. Dem Kollegium der Sternberg-Grundschule hat diese Ausnahme nicht eingeleuchtet.

"Die Hygiene-Regeln machen nur Sinn, wenn man sie konsequent durchzieht", sagt Benjamin Gerlinger. "Deshalb hat sich unsere Schule dafür entschieden, dass die Kinder auch im Klassenraum Maske tragen müssen." Jeder Lehrer habe aber den Spielraum, zu entscheiden, ob die Kinder beim Sprechen die Maske kurz abnehmen dürfen. "Ich erlaube das, weil ich sonst große Probleme habe, die Kinder zu verstehen."

SchülerInnen der Sternberg Grundschule sitzen während des Unterrichts mit Maske im Klassenzimmer. (Quelle: rbb/A. Kohlick)Wenn die Kinder sprechen, dürfen sie die Maske abnehmen.

"Ich habe die Schule vermisst"

Den Kindern macht das Masketragen keinen Spaß. "Mir geht’s nicht so gut damit", sagt die zehnjährige Ella, "weil meine Brille die ganze Zeit beschlägt. Und dann muss ich die immer abwischen." Dieses Problem hat der elfjährige Berdan nicht, aber der Mundschutz stört ihn trotzdem: "Ich kriege nicht so gut Luft durch die Nase und dann habe ich abends Kopfschmerzen." Trotzdem freuen sich die Kinder, dass sie wieder in die Schule dürfen. "Das ist toll, meine Freunde wieder zu treffen", sagt Mirna. "Ich habe die Schule vermisst."

Jeden Tag wieder Zeit mit vielen anderen Kindern zu verbringen – das ist nach den Corona-Monaten für die Schüler etwas Besonderes. Benjamin Gerlinger spürt das deutlich: "Das erlebe ich sonst nicht nach den Ferien, dass die Kinder sich so über die Schule freuen." Aus den Jahren vorher kenne er eher genervte Reaktionen zu Beginn des neuen Schuljahres: "Och nee, wieder Hausaufgaben und Schule, keinen Bock – sowas hören wir normalerweise im August. Das ist jetzt anders. Die Kinder haben gemerkt, dass ihnen was gefehlt hat."

Die Gemeinschaft hat gefehlt

Auch der Lehrer hat es vermisst, vor einer Klasse zu stehen. "Ich freue mich, dass die Schule wieder etwas normaler läuft", sagt Benjamin Gerlinger, der die 5b auch in Musik, Sport und Deutsch unterrichtet, "dass es jetzt wieder eine echte Gruppendynamik gibt. Vor den Sommerferien haben wir nur ganz wenige Schüler auf einmal unterrichtet. Da war die Gemeinschaft nicht mehr da."

Jetzt ist es für ihn das Wichtigste, dass die Schulen offenbleiben. "Und dazu ist es nötig, dass wir so sicher wie möglich miteinander umgehen", findet der Lehrer. Für seinen Sportunterricht bedeutet das viele Einschränkungen. Bis zum Beginn der Turnstunde müssen die Kinder Maske tragen. Dann kommen sie einzeln zu Benjamin Gerlinger, der in der Sporthalle einen Jutebeutel bereithält – mit vielen kleinen verschließbaren Plastiktüten darin. Auf jedem Tütchen steht der Name eines Kindes.

SchülerInnen der Sternberg-Grundschule sitzen währende des Unterrichts mit Maske im Klassenzimmer. (Quelle: rbb/Anne Kohlick)Benjamin Gerlinger führt die 5b ins Fach Gesellschaftswissenschaften ein.

Körperkontakt ist verboten

Maske abnehmen, eintüten, verschließen – und das 19 Mal. Danach muss sich jedes Kind die Hände desinfizieren. "Von 45 Minuten Sportunterricht gehen eh schon 15 Minuten weg fürs Umziehen", sagt der Lehrer. "Jetzt kommen noch die Hygienemaßnahmen hinzu – da bleibt leider nicht mehr viel übrig von der Sportstunde." Auch in der Unterrichtsgestaltung muss Benjamin Gerlinger Abstriche machen: "Körperkontakt ist verboten. Die Kinder sollen sich nicht zu nahekommen." Der elfjährige Gabriel findet das schade: "Schule hat sich voll verändert durch Corona. Wir müssen immer Abstand halten und wir dürfen fast keine Spiele spielen: Fangen ist verboten, Fußball geht nur ein bisschen."

Benjamin Gerlinger versucht, Alternativen zu finden, Spiele so abzuwandeln, dass sie den Corona-Regeln entsprechen. "Wir machen jetzt Krakenfangen", erklärt er den Kindern. Eigentlich müssen einige Kinder bei diesem Spiel anderen hinterherrennen und sie mit der Hand antippen, damit sie stehenbleiben. Um Abstand zu halten und Berührungen zu vermeiden, bekommen die Fänger eine Schwimmnudel in die Hand, mit der sie die anderen anstupsen dürfen. "Ihr seid 19 Kinder, die Turnhalle ist groß. Achtet darauf, dass ihr euch verteilt", sagt der Lehrer.

"Nicht abklatschen, das wisst ihr doch!"

Am Ende des Spiels ist eine Siegerin übrig, die nicht angetippt wurde. Begeistert gibt eine Freundin ihr High Five. Dafür muss sie Benjamin Gerlinger ermahnen: "Hey, nicht abklatschen. Das wisst ihr doch!" Er findet es schade, so oft die Rolle des Spielverderbers einnehmen zu müssen. "Zurzeit ist mein Alltag sehr geprägt davon, zu ermahnen und zu erinnern, wie man sich zu verhalten hat aufgrund dieser Corona-Regeln. Dabei fehlt den Kindern natürlich der Körperkontakt."

Es ist nicht einfach, den Kindern zu erklären, warum sie in der Schule auf Dinge verzichten müssen, die sie in ihrer Freizeit machen dürfen: Fußballspielen mit Körperkontakt und Zweikämpfen zum Beispiel. Auf dem Sportplatz der Schule darf das nicht sein, erklärt Benjamin Gerlinger, der auch die Fußball-AG leitet: "Dabei sind in den Vereinen Kontaktsportarten erlaubt. Die Kinder fragen dann zurecht: Warum dürfen wir das am Nachmittag auf dem Bolzplatz, aber nicht am Vormittag in der Schule?"

"Reicht das, was wir machen?"

Oft fühle er sich unsicher, sagt der Lehrer, wenn er über das Hygienekonzept der Schule nachdenke. "Ich frage mich dann: Reicht das, was wir machen? Wir sind ja schon strenger als vom Senat vorgeschrieben, aber niemand weiß, ob wir damit Infektionen auf Dauer verhindern können." Von Seiten der Kinder spüre er kaum Angst vor Corona – eher im Kollegium: "Wir haben auch Kolleginnen aus der Risikogruppe, die jetzt trotzdem alle wieder Präsenzunterricht geben."

Er selbst will sich in den nächsten Wochen auf Corona testen lassen – präventiv. "Ich finde es gut, dass wir als Lehrer dazu kostenlos die Möglichkeit haben. Das finde ich sinnvoll." Benjamin Gerlinger hofft, damit seinen Teil beitragen zu können – zu einem möglichst normalen Schuljahr – trotz Corona: "Ich wünsche mir, dass ich meine Klasse weiter unterrichten kann und dass wir mit der Zeit die Masken wieder weglassen können."

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Beitrag von Anne Kohlick

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