Coronavirus-Pandemie - Charité-Forscher rät Senioren zu dritter Impfung im Herbst

Die Corona-Fallzahlen sinken - auch weil immer mehr Menschen geimpft sind. Nun werden Stimmen laut, dass bestimmte Personengruppen eine dritte Impfung benötigen. Gefahr gehe auch von der Delta-Mutante des Virus aus.
Rund ein halbes Jahr nach Beginn der Corona-Impfungen in Berlin empfehlen Wissenschaftler eine dritte Impfung für Senioren und Menschen mit Immunschwächen in diesem Herbst. "Wir müssen die nächste Phase beim Impfen jetzt schon andenken", sagte Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité, am Freitag.
"Ich gehe davon aus, dass wir bei älteren Menschen, die zu Beginn dieses Jahres ihre Erst- und Zweitimpfung erhalten haben, eine nachlassende Immunantwort sehen werden." Studien belegten dies, so Sander. Daher sei ein "Booster" nötig - etwa zum Zeitpunkt der Grippeschutzimpfung im Oktober. Das gelte auch für Kontaktpersonen dieser Risikogruppen, etwa Teile des Gesundheitspersonals. Für Jüngere und Gesunde seien Auffrischungsimpfungen dagegen noch kein Thema.
Stiko-Vorsitzender erwartet weitere Daten
Sander hält es für möglich, dass es ohne Auffrischung im Winter zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen zu erneuten Infektionen kommen könnte, "einem gewissen Jojo-Effekt".
Vom Prinzip her sieht das Thomas Mertens, der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, ähnlich. Er formuliert es jedoch vorsichtiger: "Die Daten dazu, wer wann erneut geimpft werden sollte, sind noch etwas unsicher", sagt er. "Wir erwarten mehr Anhaltspunkte zur Dauer der Immunantwort nach einer Impfung bis zum August."
Kalayci: Delta-Variante vor allem bei Kindern und Jugendlichen
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht derweil davon aus, dass die Delta-Variante des Corona-Virus im Sommer die Oberhand gewinnt. Spahn hat am Freitag auf einer Pressekonferenz dazu aufgerufen, vorsichtig zu bleiben.
Auch die Berliner Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) mahnte erneut, die Delta-Variante ernst zu nehmen. Derzeit machten die Infektionen mit der Mutante etwa 5,5 Prozent aller Corona-Infektionen in der Hauptstadt aus. Auch wenn der Wert noch niedrig sei, zeige ein Blick nach Großbritannien, wie rasch die Inzidenzen nach oben schnellen könnten. Sie breite sich vor allem bei Kindern und Jugendlichen aus. Deshalb müsse nach den Ferien das Testen und Maskentragen in den Schulen konsequent fortgesetzt werden. Kalayci forderte vor allem die Eltern von Schulkindern auf, sich jetzt schnell impfen zu lassen, um eine Ausbreitung der Delta-Variante einzudämmen.
Grundsätzlich böten die in Deutschland zugelassenen Corona-Impfungen einen "exzellenten Schutz" vor den zirkulierenden Virusvarianten, darunter auch die Delta-Variante, erklärte Experte Sander. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, appellierte an die Bevölkerung, die Zweiimpfung unbedingt wahrzunehmen. Menschen, die vollständig geimpft seien, seien vor schweren Erkrankungen durch die Delta-Variante geschützt. Wer nur einmal geimpft sei, könne das Virus weitertragen.
Wegen der höheren Ansteckungsgefahr der Variante Delta ist nach Angaben des Charité-Experten Leif Erik Sander allerdings eine höhere Impfquote nötig. Weil es noch keine verlässlichen Daten über die genaue Ansteckungsrate der Variante gebe, könne man aber noch nicht genau sagen, wie hoch sie liegen müsse, um eine sogenannte Herdenimmunität zu erreichen, so Sander.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält eine sogenannte Herdenimmunität für erreichbar, wenn etwa 70 Prozent der Bevölkerung immun sind - entweder durch Impfung oder weil sie sich infiziert hatten.
Zahl der Zweit-Impfungen steigt schnell
Sander widersprach Einschätzungen, ebenso wie Spahn und Wieler, dass die Delta-Variante zwar ansteckender, aber weniger gefährlich sei. Studien zeigten vielmehr, dass der Anteil der Infizierten, die ins Krankenhaus kämen, höher liege.
Wieler sagte, es würden demnach elf Prozent der Delta-Infizierten in Kliniken behandelt, verglichen mit fünf Prozent bei Alpha. Bei Menschen zwischen 15 und 34 Jahren sei dies besonders ausgeprägt. Den Daten zufolge komme Delta eher bei jüngeren Menschen vor, also in Gruppen mit geringeren Impfquoten, ergänzte er.
In Deutschland haben nach Angaben Spahns mittlerweile 44 Millionen Personen eine erste Corona-Impfung erhalten, 28,3 Millionen bereits eine zweite. Er wies Berichte zurück, nach denen die Zahl der abgesagten Zweitimpfungen flächendeckend zunehme. Vielmehr gebe es den Effekt, dass Personen den zweiten Terminen verfallen ließen, weil sie bereits vom Haus- oder Betriebsarzt geimpft seien.
Insgesamt hätten bis jetzt 63 Prozent aller Erwachsenen eine erste Impfung erhalten. Der Anteil der Zweitimpfungen steige sehr schnell. Zudem hätten 300.000 der 12- bis 18-Jährigen eine erste Impfung bekommen.
Sendung: Inforadio, 25.06.2021, 12 Uhr