Interview | Die ungeimpfte Heilerziehungspflegerin - "Mein Gefühl sagt mir: nein!"
Marie ist Heilerziehungspflegerin, sie unterstützt Menschen mit geistiger Beeinträchtigung im Alltag. Gegen Corona will sie sich nicht impfen lassen. Da ab März eine Impfpflicht für Pflegekräfte gilt, überlegt sie, sich einen anderen Job zu suchen.
Marie*, in Ihrem Beruf arbeiten Sie eng mit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zusammen. Warum wollen Sie sich trotzdem nicht gegen Covid-19 impfen lassen?
Das ist mein Körper. Das Einzige, was ich habe, worüber ich bestimmen kann - denke ich zumindest - ist mein Körper. Und das ist mir auch verdammt wichtig. Das ist eigentlich der Grund, warum ich es nicht mache, oder bis jetzt noch nicht gemacht habe. Ursprünglich hatte es auch was damit zu tun, weil ich diesen Impfstoffen, die neu waren... na ja, was heißt "nicht vertraut habe"? Ich bin ja auch keine Chemikerin. Aber mein Gefühl sagt mir irgendwie: Nein!
Sie unterstützen Ihre Klienten bei vielen Alltagstätigkeiten, zum Beispiel beim Kochen. Ganz ohne körperliche Nähe funktioniert das nicht. Haben Sie keine Angst, sie mit dem Coronavirus anzustecken?
Nein. Die Corona-Situation besteht ja jetzt bald seit zwei Jahren. Und es gibt bei uns keinen Klienten, der sich angesteckt hat. Die meisten sind auch geimpft. Also ich kenne privat schon Leute – unter anderem meine Eltern – die sich infiziert haben. Aber ich kenne niemanden, der einen schweren Verlauf hatte. Das kommt vielleicht auch noch dazu, dass ich jetzt nicht so nah jemanden kenne, der ins Krankenhaus musste oder bei dem es ganz dramatisch war.
Wurden Sie schon einmal mit Vorwürfen konfrontiert, aus ihrem persönlichen Umfeld oder von Angehörigen, weil Sie sich nicht impfen lassen?
Kaum. Ich habe eine sehr tolerante Familie. Die sind alle geimpft, aber meine Eltern haben weiterhin mich und auch mein Kind gesehen, obwohl ich nicht geimpft bin. Alle sagen halt: Das ist das Leben, und man kann nicht alles absichern. Bis auf eine einzige Freundin, die viel mit mir darüber redet. Besser gesagt: Sie führt einen Monolog, weil ich nicht wirklich in den Dialog gehe. Ich versuche immer zu sagen: Es ist ja die eigene Entscheidung.
Gibt es weitere Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen bei Ihrer Arbeit, die nicht geimpft sind - und wenn ja, wie sieht das Ihr Arbeitgeber?
Zwei weitere Mitarbeiterinnen sind auch nicht geimpft gegen Covid-19. Wir sind mit unserem Bereichsleiter in den Dialog gegangen und haben nach Lösungen gesucht. Wir haben vereinbart, dass wir uns täglich testen lassen, das passiert auf Vertrauensbasis. Wir sammeln die Nachweise und legen sie ihm einmal pro Woche vor. Das funktioniert gut.
Wie stehen Sie der Impfpflicht gegenüber, die ab März kommenden Jahres für Menschen in Pflegeberufen gelten wird?
Ich frage mich, wie man Leute verpflichten kann, sich jedes halbe Jahr impfen zu lassen. Sich etwas in den eigenen Körper spritzen zu lassen. Ich finde das schon sehr übergriffig, vom Gefühl.
Haben Sie schon mal überlegt, aus dem Beruf auszusteigen auf Grund der Impfpflicht?
Tatsächlich ist es eine Überlegung, sich anders zu orientieren oder zumindest zu gucken, was noch in Frage kommen könnte. Vielleicht eine Arbeit auf dem Amt, wo man nicht körpernah mit den Klienten arbeiten muss.
Halten Sie es für möglich, dass Sie sich zu einem späteren Zeitpunkt doch noch impfen lassen?
Ich habe kein totales Misstrauen, dass ich denke: Die ist ganz schlimm, die Impfung. Sondern es ist tatsächlich dieses Recht, was ich für mich gerne hätte, selbst zu entscheiden. Jeder entscheidet doch im Leben für sich, was er denkt, was er machen möchte. Man hat nur dieses eine Leben. Für mich ist die Entscheidung, sich impfen zu lassen, einfach nicht da. Noch nicht da.
Vielen Dank für das Gespräch!
*Name von der Redaktion geändert
Das Interview führten Sylvia Tiegs und Anja Herr
Sendung: rbb24, 30.12.2021, 21:45 Uhr