Behördenstau in Brandenburg - Wie Corona den Kampf um Rathaus-Termine verschärft
Seit der Corona-Pandemie müssen nicht nur viele Berliner wochenlang warten, um ihren Reisepass zu verlängern oder ihr Auto anzumelden. Der Terminstau hat auch einige Brandenburger Bürgerämter im Griff, so in Potsdam und Neuruppin. Von Oliver Soos
Viele Potsdamer beschwerten sich im September über schlechte Erfahrungen mit dem Bürgerservice der Stadt. Von bis zu drei Monaten vergeblichen Kampfes um einen Termin für eine Reisepassverlängerung war die Rede in den Leserzuschriften, über die die "Potsdamer Neuesten Nachrichten" berichteten. Doch laut der Rathausverwaltung soll sich die Situation mittlerweile wieder verbessert haben.
Das bestätigt auch eine Rentnerin, die am vergangenen Freitag vor dem Potsdamer Rathaus auf ihren Termin wartete. Ihren Namen wollte sie nicht nennen. "Ich habe vor 14 Tagen angefangen und immer morgens versucht, mir am Computer einen Termin zu buchen. Drei Mal hat es nicht geklappt, aber heute Morgen hatte ich Glück", erzählt die Rentnerin. Sie war gegen 10:30 Uhr auf der Homepage der Stadt und konnte sich einen Termin für denselben Tag um 12:35 Uhr sichern. "Wer kann schon so spontan sein. Ich kann das. Berufstätige können das nicht", sagt die Potsdamerin.
Neues Terminvergabesystem in Potsdam
Die in der Stadtverwaltung zuständige Beigeordnete, Brigitte Meier (SPD), erzählt, dass es seit September deutlich weniger Anrufe und Beschwerdemails von Bürgern gibt. Das liege an der Umstellung des Terminvergabesystems. "Wir schalten jetzt jeden Morgen ab acht Uhr 200 Termine frei. 100 für den Tag und 100 für den Tag in genau vier Wochen. Die Menge ist zwar nicht größer geworden, aber wir verteilen sie besser", sagt Meier.
Zuvor wurden Anfang des Monats Termine für den gesamten Monat angeboten. Diese seien oft gebunkert und wieder abgesagt worden. Das habe zu größerer Konkurrenz um die tagesaktuellen Termine geführt, so Meier.
Corona ließ die Wirkung des zusätzlichen Personals verpuffen
Die SPD-Beigeordnete erklärt die Terminnot mit der stark wachsenden Stadt Potsdam und mit der Corona-Pandemie. Potsdam ist von knapp 130.000 Einwohnern im Jahr 2000 auf heute gut 180.000 Einwohner angewachsen. "Eine Zeit lang kam der Bürgerservice noch irgendwie mit. Doch ab 2017 hat man gemerkt, dass es eng wird. 2019 wurden sechs Vollzeitstellen zugeschaltet, in einer Zeit, in der Verwaltungsfachkräfte schon Mangelware waren und man fachfremdes Personal anlernen musste", erzählt Meier.
Die Wirkung der zusätzlichen Arbeitskräfte sei dann durch die Corona-Pandemie verpufft. "Unsere Mitarbeiter wurden in den Gesundheitsämtern eingesetzt und mussten die Kontaktnachverfolgung machen. Da hat sich dann eine Bugwelle aufgebaut, denn die Personalausweise und Reisepässe liefen weiter aus und mussten verlängert werden", sagt Meier. Im Moment würden zu viele Bürger gleichzeitig Dienstleistungen benötigen, die Bugwelle baue sich dadurch nur langsam ab. Deswegen sollen im kommenden Jahr noch einmal sechs weitere Mitarbeiter eingestellt werden, so Meier.
25 Tage bis zum Termin im Neuruppiner Bürgerservice
Im SPD-geführten Rathaus der 30.000-Einwohner-Stadt Neuruppin (Ostprignitz-Ruppin) gibt es ähnliche Probleme. Dort macht das Stadtparlament Druck, unter anderem der CDU-Stadtverordnete und ehemalige Bundestagsabgeordnete Sebastian Steineke: "Früher kam man einfach ins Bürgerbüro und war nach einer Viertelstunde fertig. Jetzt berichten uns Leute, dass sie bis zu einen Monat auf einen Termin warten", sagt Steineke. Laut Angaben der Stadtverwaltung liegt die durchschnittliche Wartezeit im Moment bei 25 Tagen, wobei dringende Anliegen vorgezogen würden.
Um einen Termin zu bekommen, müssen die Neuruppiner anrufen oder eine E-Mail schreiben. Die Rathausverwaltung hatte diese Terminvergabe im Sommer kurzzeitig aufgehoben, so dass jeder spontan kommen konnte. Doch das führte zu extrem langen Schlangen vor dem Rathaus. Bürger beklagten sich, dass sie nach vier Stunden Warten frustriert nach Hause gehen mussten, ohne dran gewesen zu sein.
Stadtparlament setzt den Bürgermeister unter Druck
Sebastian Steineke ist der Meinung, dass die Probleme von der Rathausverwaltung lange Zeit beiseitegeschoben wurden. So habe die Beigeordnete in einer Sitzung der Stadtverordnetenversammlung den Eindruck erweckt, lange Wartezeiten seien normal, denn in Berlin gäbe es sie schließlich auch. "Berlin kann doch kein Maßstab für eine kleinere Brandenburger Stadt sein", sagt Steineke. Das Neuruppiner Stadtparlament stimmte einem Antrag seiner CDU/FDP-Fraktion mehrheitlich zu, wonach das Bürgerbüro eine Online-Terminvergabe aufbauen und länger öffnen soll.
Bürgermeister Nico Ruhle (SPD) hat den Beschluss beanstandet. "Es war allen klar, dass ich das tun musste, denn der Beschluss greift in meine Hoheit als Verwaltungschef ein", sagt Ruhle. Längere Öffnungszeiten würden das Problem zudem nicht lösen, denn die Mitarbeiter des Bürgerservices hätten einen großen Berg an Anträgen abzuarbeiten. "Wir sind alle unzufrieden mit der Situation und suchen nach Lösungen. Wir haben zwei neue Mitarbeiterinnen eingestellt und suchen einen weiteren", sagt Ruhle.
Sechs von acht Mitarbeitern erkrankt
Der Bürgermeister erzählt, dass der Terminstau Anfang des Jahres eingesetzt habe. "Während der Corona-Pandemie hatten wir hier in Neuruppin einen Impfbus, mit dem wir maßgeblich die Impfungen des gesamten Landkreises durchgeführt haben. Da haben meine Mitarbeiter Überstunden gesammelt, die abgebaut werden mussten", erzählt Ruhle. Hinzugekommen sei ein hoher Krankenstand, zum Teil auch mit Langzeiterkrankten. Sechs von acht Mitarbeitern des Bürgerservices seien betroffen gewesen. Der Bürgermeister geht davon aus, dass sich die Situation ab Frühjahr kommenden Jahres entspannen könnte.
Sendung: Inforadio, 22.11.2021, 06:40 Uhr