#Wiegehtesuns? | Berliner Krankenhausseelsorgerin - "Ich merke, dass ich Weihnachten gerade ganz neu erlebe"

Mi 23.12.20 | 14:54 Uhr
#Wiegehtesuns?: Krankenhausseelsorgerin Nicole Waberski (Quelle: Clemens Münster, Martin-Luther-Krankenhaus)
Bild: Clemens Münster, Martin-Luther-Krankenhaus

Das Klinikpersonal am Limit, der Weihnachtsgottesdienst abgesagt - aber Nicole Waberski wird natürlich an den Feiertagen für die Menschen da sein. Die Krankenhausseelsorgerin hat sich einiges für die Patienten einfallen lassen. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Die evangelische Pfarrerin Nicole Waberski arbeitet seit fünf Jahren im Martin-Luther-Krankenhaus Berlin in Charlottenburg-Wilmersdorf als Krankenhausseelsorgerin. So geht es ihr:

Jeder Tag ist es anders, und man muss sich auf neue Situationen einstellen. Aufgrund der aktuellen Lage finde ich es nicht angemessen, einen Gottesdienst in der Krankenhauskapelle durchzuführen. Dafür gehe ich Heiligabend zu den schwerkranken Menschen, wo es wirklich ein großes Bedürfnis ist, und halte eine Andacht am Krankenbett, feiere mit ihnen. Lieber mehr Zeit aufwenden, als ein großes Risiko eingehen. Vor Ort präsent zu sein mit Zeit und Ruhe, das ist das höchste Gut, was ich als Seelsorgerin geben kann.

Wir werden an Weihnachten Livemusik im Garten, in den Gängen und auch aus der Kapelle haben. Ich werde durch die Stationen gehen und habe für alle eine Karte von der Landeskirche mit dem Bischofsgruß. Außerdem habe ich einen Flyer erstellt. Dort steht, wann die Musik zu hören ist, und wann der Gottesdienst aus der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche an Heiligabend vom rbb übertragen wird. So kommt ein Gottesdienst ans Krankenbett. Natürlich werde ich am 24. erst gehen, wenn ich das Gefühl habe, ich war bei allen Menschen, die seelische Unterstützung brauchen.

Ich versuche, den Fokus nicht nur auf Covid zu legen. Wir haben auch andere schwerkranke Patienten. Für mich sind alle Menschen, die in einer Notsituation sind, gleichberechtigt - vollkommen unabhängig von der Religionszugehörigkeit.

Natürlich bin ich auch für die Mitarbeiter da. Die Pflegenden und Ärzte, aber auch Servicekräfte, Reinigungspersonal, Therapeuten, sie alle sind am Limit, weil sie einfach schon so viel gegeben haben, ohne Erholungsmomente. Das trägt sich ja durchs ganze Jahr. Auch unabhängig von Covid gibt es immer Situationen in der Klinik, die sehr belastend sind. Jetzt an Weihnachten ist das besonders schwer. In den nächsten Wochen wird die Belastung sicher noch steigen. Und die Mitarbeiter wollen natürlich auch alle gerne Weihnachten begehen. Ich gehe deshalb davon aus, dass ich bestimmt auch auf Verzweifelte oder Belastete treffen werde. Dann muss man vor allem zuhören und die Situation halten. Das reicht manchmal schon.

Die Geschäftsführung unterstützt alle meine Ideen. Mit der Kunsttherapie haben wir einen kreativen Pausenraum zum Durchatmen für das Personal geschaffen. Aus dem Kirchenkreis wurde mir Unterstützung von Pfarrkollegen angeboten, die jetzt keine Gottesdienste halten, dafür gerne am Krankenbett sitzen würden. Diese Solidarität berührt mich sehr.

Mich berührt aber auch die muslimische Frau, die als Servicekraft jeden Tag auf der Covid-Station das Essen bringt und jene menschliche Zuneigung spendet, für die das Pflegepersonal kaum Zeit hat. Oder ein Ehepaar, 80 und 90 Jahre alt, die zusammen in der ersten Welle bei uns mit Covid lagen. Ich hatte beide gesegnet, nachdem sie darum gebeten hatten, denn der Ehemann sollte auf die Intensivstation verlegt werden. Danach hat sich sein Zustand wieder so gebessert, dass sie zusammenbleiben und entlassen werden konnten. So etwas trägt und gibt Kraft.

Ich merke, dass ich Weihnachten gerade nochmal ganz neu erlebe – wenn ich Heiligabend dann zu Hause bin, werde ich mir eine Musik unter dem Weihnachtsbaum anmachen und die Christnacht vielleicht viel intensiver erleben als je zuvor.

Gesprächsprotokoll: Cosima Jagow-Duda

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