Interview | Kinderarzt zu Erkältungswelle im Sommer - "Wir sind froh, dass Infektionen nachgeholt werden"
Berliner Kinderärzte registrieren derzeit mehr Erkältungsfälle als sonst im Sommer. Auch die Bronchialerkrankung RSV tritt häufiger auf. Der Berliner Kinderarzt Jakob Maske bleibt aber gelassen - und kann dem Phänomen sogar Gutes abgewinnen.
Viele Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendliche, sind in diesem Sommer in Berlin erkältet. Das bestätigt der in Schöneberg praktizierende Kinderarzt Jakob Maske. Im Gespräch mit rbb|24 klärt er darüber auf, was Eltern jetzt zum Schulbeginn und zum Start ins neue Kitajahr beachten sollten - und warum trotz Corona kein Grund zu Besorgnis besteht.
rbb|24: Herr Maske, viele Eltern berichten derzeit von ihren erkälteten Kindern, und das mitten in der Sommerzeit. Sie sind Kinderarzt mit Praxis in Schöneberg - können Sie diesen Eindruck bestätigen? Haben wir es mit einer vom Winter auf jetzt verschobenen Erkältungswelle zu tun?
Jakob Maske: Ja, die gibt es tatsächlich. Wir sehen in unseren Praxen deutlich mehr Kinder als sonst in Sommermonaten. Und wir sehen auch schwerer erkrankte Kinder, aber das auch weiterhin eher selten. Schwerwiegende Lungenentzündungen sehen wir nicht jede Woche, sondern das hält sich noch im Rahmen.
Aber auch wir haben den Eindruck, und der bestätigt sich auch durch die Daten aus dem Robert Koch-Institut, dass wir mehr RS-Viren [Respiratorische Synzytial-Virus, Anm.d.R.] sehen, die wir sonst in diesen Monaten gar nicht sehen. Das RS-Virus erleben wir eigentlich im März und April und nicht im Juli und August. Da gibt es also offenbar Nachholeffekte.
Letztendlich sind wir aber auch ganz froh, dass die Infektionen nachgeholt werden, weil es schon auch eine Bedeutung für das junge Immunsystem hat, Infektionen durchzumachen.
Auf den RS-Virus kommen wir gleich noch zu sprechen, bleiben wir aber erstmal bei der Erkältungswelle: Wie hängt die mit dem mehrmonatigen Lockdown zusammen?
Während des Lockdowns und der Hygienemaßnahmen, die ja effektiv waren, haben wir grundsätzlich deutlich weniger Infekte gesehen. Die Kinder konnten das nicht weitertragen. Die Viren sind aber nicht ganz verschwunden, sondern breiten sich jetzt vermehrt wieder aus, vor allem in Kitas. Da sehen wir eben auch Viren, die wir sonst in dieser Zeit nicht mehr gesehen haben.
Konnte sich also das Immunsystem während der Lockdown-Zeit nicht richtig unter Beweis stellen und ist deshalb jetzt unvorbereitet, ein bisschen unreif für das, was da jetzt an Viren gekommen ist?
Nein, unreif ist das Immunsystem nicht, sondern es sind einfach die normalen Infekte, die die Kinder sonst drei oder vier Monate vorher durchgemacht hätten. Die machen sie eben jetzt durch. Das Immunsystem wird durch frühe Infekte moduliert in eine Richtung, die positiv ist. Dieses keimfreie Aufziehen und keine Infekte durchmachen ist nichts Gesundes, das wissen wir inzwischen.
Das Immunsystem wird in eine Richtung moduliert, wo Allergien unwahrscheinlicher werden, wo Kinder unempfindlicher reagieren auf Allergien. Und insofern ist es durchaus positiv, wenn sie das durchmachen. Und sie machen das ganz normal durch, jetzt eben ein paar Monate verspätet. Aber das Immunsystem ist nicht in diesen paar Monaten unreifer geworden oder schlechter. Das ganz sicher nicht.
In den vergangenen Tagen machte der RS-Virus Schlagzeilen, eine Atemwegserkrankung, die in diesem Sommer besonders viele Säuglinge und Kleinkinder in Deutschland heimsuchen soll. Welche Gefahr geht davon aus?
Der RS-Virus ist eigentlich ein harmloser Erkältungsvirus, der manchmal etwas mehr Symptome mit sich bringt als andere harmlose Erkältungsviren. Es gibt eine besondere Gruppe, nämlich die extrem Frühgeborenen, die durch diesen Virus gefährdeter sind. Die können auch sterben an diesem Virus, das aber doch recht selten. Aber wir sehen schon, dass extrem Frühgeborene im ersten Lebensjahr auf der Intensivstation landen und beatmet werden müssen, weil sie eben so schlecht Luft bekommen. Der RS-Virus greift auch die kleinsten Bronchien an, die sogenannten Bronchiolen. Es gibt eine Bronchiolitis, eine Entzündung der allerkleinsten Bronchien. Jemand, der mit 450 Gramm auf die Welt kommt, ist hiervon gefährdet.
Und gibt es da spezielle Symptome? Wie erkenne ich, ob mein Kind am RS-Virus erkrankt ist?
Nein, da gibt es keine speziellen Symptome. Bei normalen Säuglingen und Kleinkindern äußert sich das durch einen ganz normalen Husten-Schnupfen-Infekt, den ein Laie überhaupt nicht unterscheiden kann. Deswegen suchen wir auch nicht explizit in den Abstrichen nach diesem Virus, weil es gar keinen Sinn macht. Es gibt auch gar keine Therapie, und die größeren Kinder sind auch gar nicht gefährdet.
Und trotzdem sind viele Eltern verunsichert - hat mein Kind jetzt eine Erkältung oder doch eine schwerere Erkrankung? Und nimmt angesichts wieder steigender Corona-Infektionszahlen die Kita oder bald auch die Schule überhaupt mein Kind auf, wenn ich es mit Schnupfnase dorthin bringe? Was raten Sie?
Wenn Kinder zusammenkommen, werden Infekte weitergetragen. Gerade im ersten Kitajahr haben wir zehn bis 15 Infekte pro Jahr, die dauern alle drei bis vier Wochen. Wenn wir die Extreme nehmen, dann haben wir 15 Mal vier Wochen, also insgesamt 60 Wochen in einem Jahr, das nur 53 Wochen hat. Da sieht man schon, dass es teilweise überschneidende Infekte gibt. Sie haben das ganze Jahr lang Schnoddernasen und hustende Kinder. Kinder mit Husten und Schnupfen jetzt nicht mehr in die Kita zu bringen, ist natürlich Blödsinn, das sollte man nicht tun. Sie können da gerne hin, wenn sie sich ansonsten gut fühlen und kein Fieber haben.
Es ist natürlich ein wenig schwierig, diese Kinder von Corona-Kindern zu unterscheiden, wobei die meisten an Corona erkrankten Kinder oder infizierten Kinder ja keine Krankheit entwickeln. Aber natürlich kann man in der Krankheitsphase auch mal einen Abstrich zu Hause machen, um Corona so ausschließen zu können.
Momentan ist ja viel die Rede von Lolli-Tests. Was halten Sie von dieser Corona-Testmöglichkeit für die Kleinen?
Ja, das ist doch super. Es gab ja in Bayern schon eine Pilotphase. Das sind ja PCR-Tests, das heißt, hier kann ich schon Kinder herausfiltern, bevor sie überhaupt krank werden und bevor sie ansteckend werden. Das macht also durchaus Sinn. Dadurch dass es eine Untersuchung für Viele ist, ist das ja auch relativ kostenneutral.
Schauen wir noch kurz auf die nächsten Wochen. Die Schule beginnt am Montag, und das neue Kitajahr hat begonnen mit Kindern, die jetzt neu zur Kita gehen. Womit können Sie Eltern, die jetzt wegen Corona sehr besorgt sind, beruhigen?
Man kann sie beruhigen, indem man mal anderthalb Jahre zurückschaut, sich diese Zeit anschaut und sieht, dass Kinder und Jugendliche so gut wie nie schwer erkrankt sind. Es gibt auch kaum Todesfälle unter Kindern und Jugendlichen, also die Kinder an sich sind eigentlich nicht gefährdet.
Eltern sollten sich selbst schützen, sie sollten sich impfen lassen. Sie sollten dafür sorgen, dass das Umfeld der Kinder geimpft ist, dass die Erzieher und Lehrer geimpft sind. Dann brauchen wir auch keine Furcht haben vor schweren Erkrankungen
Und wie geht es weiter mit der Erkältungswelle? Der Herbst naht, und der führt ja eigentlich auch zu Erkältungswellen. Kommen wir also vom Regen in die Traufe?
Das ist eine gute Frage, gerade wenn Kinder nun wieder alle zusammenkommen in Kita und Schule. Das wird sicher noch mal etwas mehr werden, wird dann aber auch zum Herbst hin wieder abflachen. Dann werden wir sehen, was Corona in dieser Zeit macht, ob es da andere Varianten gibt. Es ist schwierig, da in die Zukunft zu schauen. Wir sind jedenfalls gewappnet. Wir werden die Kinder weiter versorgen. Im Moment sehen wir eben tatsächlich vor allem harmlose Erkältungserkrankungen.
Herr Maske, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Frank Preiss für rbb|24.