Interview | Beratung gegen Gewalt an Frauen - "Nichts gibt jemandem das Recht, Gewalt auszuüben"
Es fängt oft als große Liebe an - und endet in Gewalt. Für viele Frauen ist es nicht einfach, sich aus solchen Beziehungen zu lösen. Krystyna Orszulak, Leiterin der Johanniter-Frauenberatungsstelle in Frankfurt (Oder), unterstützt sie dabei.
rbb|24: Frau Orszulak, was bedeutet es für Menschen, häusliche Gewalt zu erleben?
Krystyna Orszulak: Ich treffe generell ungerne pauschale Aussagen über unsere Betroffenen, weil jeder Fall anders und individuell ist. Aber natürlich lassen sich bestimmte Parallelen feststellen. So beobachte ich zum Beispiel, dass von Gewalt betroffene Frauen einfach diese Selbstwirksamkeit ein Stück weit verlieren. Das ist auch etwas, was wir ihnen wieder zurückgeben möchten und zeigen, dass sie selbstwirksam sind, alleine zurechtkommen und dazu niemanden brauchen. Auch uns nicht. Anfangs benötigen sie natürlich Hilfe. Aber wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe und versuchen, die Personen zu verselbstständigen, damit sie auch ohne wieder zurechtkommen.
Vielen ist zunächst nicht direkt bewusst, dass sie von Gewalt betroffen sind. Wenn ich über Gewalt spreche, meine ich nicht nur Schläge und blaue Flecke. Ich meine auch die ganze Palette von psychischer Gewalt und Unterdrückung sowie Machtgefälle. Dazu zählen finanzielle Kontrolle, Kontrolle der sozialen Kontakte und viele Aktivitäten, die auch unter diesen Begriff fallen. Das lässt sich schwer nachweisen und erkennen. Selbst für uns als Personen, die täglich damit arbeiten.
Woher kommt diese Gewalt von Männern?
Das ist ein Verhalten, welches erlernt wurde. Ein Mittel, um Konfliktsituationen schnell zu beenden, um als Gewalt ausübende Person schnell zu den Zielen zu kommen. Wenn ich das für mich so gelernt habe, es vielleicht viele Jahre gut funktioniert hat und ich dieses Bild von einer Beziehung habe, dass ich die Person bin, die die Richtung vorgeben sollte, dann ist es schwer, in einer Konfliktsituation anders zu agieren.
Welche Anzeichen gibt es, dass häusliche Gewalt ausgeübt wird?
Gewalt beginnt nicht mit Gewalt, sondern oft mit der großen Liebe. Man ist verliebt, hat eine starke Verbindung. Dann fangen vielleicht schleichend die ersten Probleme an, etwa Eifersucht. Aber die erklärt man sich vielleicht damit, dass es ein Resultat der großen Liebe oder ähnliches sei. Das kommt oft auf die Art der Gewalt und die Betroffene an, weil auch Betroffene sehr schnell lernen, wie weit sie in dieser Beziehung gehen können. Oft sind Frauen sehr sensibel, wie der Mann reagieren könnte. Sie vermeiden Situationen, in denen es zu einer Eskalation kommen könnte. Aber mit der Zeit wird dieser Rahmen immer kleiner und enger. Und dann wird aus kleinsten Gründen ausgerastet.
Was ich tatsächlich in meiner Arbeit schwierig und gefährlich finde, ist die soziale Isolation, die oft Jahre dauert. Da wird gesagt "lass uns einfach am Wochenende zu Hause bleiben. Wir fahren nicht zu deiner Familie." Am Ende dieses Prozesses haben die Betroffenen oft kein eigenes Handy mehr, keine sozialen Kontakte, keine Freundschaften, sie sprechen nicht mehr mit der Familie.
Es ist anfangs schwer zu erkennen, wer später ein gewalttätiger Partner werden könnte. Es gibt Anzeichen: Wenn Menschen etwa generell eine hohe Gewaltbereitschaft zeigen, starke Besitzansprüche gegenüber der Partnerin erheben. Es ist wichtig, das zu beobachten und nicht alles zu rechtfertigen, schön zu reden und auf das Bauchgefühl zu hören. Manche Frauen nehmen auch diesen Typ eines Partners als stark wahr. Das kann bedeuten, dass mich jemand beschützt, aber auch verletzt. Das wäre eine mögliche Ursache, warum man gerade diesen Typ für sich als richtig ansieht.
Wie kann häuslicher Gewalt auch auf gesellschaftlicher Ebene entgegen gewirkt werden?
Das ist eine komplexe Frage. Auch das lässt sich nicht pauschalisieren und in einem Satz beantworten. Zum einen ist es wichtig, gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen und zu sensibilisieren, was Gewalt eigentlich ist, was eine gute und gesunde Beziehung ausmacht und was eine von Gewalt geprägte kennzeichnet. Dann die Sensibilisierung des sozialen Umfelds dafür, dass man Hilfe leisten kann und sollte, und nicht die Augen verschließt und denkt, dass Gewalt Privatsache ist. Auch die politische Ebene muss einfach aktiver werden. Wir haben deutlich an den neuesten Zahlen des Bundeskriminalamts gesehen, wie aktuell das Phänomen ist und wie erschreckend diese Zahlen sind. Dort muss sich etwas tun.
Was raten Sie Betroffenen?
Das hängt stark davon ab, welchen Weg die Person bereit ist, zu gehen. Ist sie bereit für den rechtlichen Weg, eine Anzeige gegen den eigenen Ehemann zu stellen? Ist sie bereit, einen Gewaltschutz-Antrag bei Gericht zu stellen und Schutzanordnungen für sich und ihre Kinder zu erwirken? Oder ist sie noch nicht so weit und möchte einfach aus der Häuslichkeit raus?
Es gibt unterschiedliche Instrumente, aber die hängen von der Bereitschaft der Betroffenen ab. Beispielsweise ist es immer eine gute Lösung, die Polizei anzurufen, wenn ich zu Hause akut Gewalt erfahre. Die Polizei hat in Brandenburg die Möglichkeit, die Gewalt ausübende Person für zwei Wochen aus der gemeinsamen Wohnung zu verweisen. Dann habe ich diese zwei Wochen, um weitere Maßnahmen zu ergreifen.
In der Praxis sieht das nicht immer so aus. Das Leben der Betroffenen steht Kopf, und sie ist nicht immer sofort bereit, solche Schritte zu gehen. Oder viele möchten sich einfach schnell aus dieser Situation lösen, aus diesen Räumlichkeiten raus gehen, weil sie mit diesen Gewalt-Ereignissen assoziiert werden. Sie möchten eher in ein Frauenhaus, am besten weiter weg, einfach um dieses Leben hinter sich zu lassen, um damit irgendwie abschließen zu können. Das ist sehr Fall-abhängig. Deshalb erörtern wir meistens die Möglichkeiten und überlassen die Entscheidung der betroffenen Person.
Was ist auf Täter-Seite möglich?
Ich bin dafür, dass Gewalt ausübende Personen sich Hilfe suchen. Man soll diese Menschen nicht nur verteufeln, sondern schauen, wie ihnen geholfen werden kann, damit auch sie in der Lage sind, gesunde Beziehungen zu führen und in Stresssituationen anders zu reagieren. Das ist aber harte Arbeit.
Doch dafür gibt es Angebote, wozu auch wir beraten, wenn jemand wirklich bereit ist, diesen Weg zu gehen. So gibt es Organisationen, die Täter-Programme umsetzen. Es gibt einführend Einzelsitzungen mit den Trainern, wo man den Rahmen und die Vorgeschichte bespricht. Dann nimmt man etwa über Monate an Gruppentherapien teil, wo man gemeinsam alternative Strategien zum Reagieren in Stresssituationen für sich erlernt. Das kann beispielsweise dieses Rausgehen sein, wenn ich merke, dass ich angespannt bin, die Wut in mir steigt und ich möglicherweise ausrasten könnte. Dass ich lerne, die Signale meines Körpers zu deuten und anders als mit Gewalt zu agieren.
Sich selbst zu reflektieren, bedeutet auch, die Verantwortung dafür zu übernehmen, was ich mache. Gewalt-Ausübende tendieren dazu, ihr Verhalten zu relativieren und zu rechtfertigen. Die Suppe war versalzen, die Frau hat sich nicht entsprechend angezogen, oder sie hat ihn angeschrien. Das können viele Sachen sein. Aber dennoch: Nichts gibt jemandem das Recht, Gewalt auszuüben.
Raten sie Betroffenen zur Selbstverteidigung?
Wir beraten hauptsächlich zu Themen, die mit häuslicher Gewalt zusammenhängen. Aber natürlich: Wenn eine Frau auf der Straße überfallen wird und sich bei uns zu diesem Thema beraten lassen möchte, können wir das auch machen. Selbstverteidigungskurse sind uns ein großes Anliegen, auch weil ich einige Jahre Krav Maga [israelischer Kontaktkampf, Anmerk. d. Red.] gemacht und deshalb für einige Frauen auch schon Selbstverteidigungskurse organisiert habe.
In Frankfurt (Oder) sind diese sehr gut besucht und gefragt. Das ist ganz wichtig - und da sind wir wieder beim Thema Selbstwirksamkeit. Ich liebe an diesen Kursen, dass da sehr unsichere Frauen reingehen und starke Frauen rausgehen, die merken, dass sie auch schlagen und zutreten können. Die merken, dass sie stark sind und wissen, dass sie sich verteidigen könnten. Das ist ein großes Geschenk für diese Frauen: Selbstwirksamkeit und Selbstbewusstsein, die sie mit nach Hause nehmen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Maximilian Devantier, Antenne Brandenburg.
Sendung: Antenne Brandenburg, 25.11.2024, 15:10 Uhr