#Wiegehtesuns? | Sozialarbeiterin in Berlin - "Etwa die Hälfte meiner Kollegen im Sozialamt ist ungeimpft"

Mo 24.01.22 | 13:28 Uhr
Eine Sozialarbeiterin unterstützt eine altere Dame zu Hause bei administrativen Aufgaben. (Quelle: dpa/Keystone)
Bild: dpa-Symbolbild/Keystone

Elisabeth S. arbeitet beim Sozialamt und betreut Klienten, die zu den vulnerablen Gruppen gehören. Viele leben in präkerer Situation und sind ungeimpft. Letzteres gilt auch für viele von Elisabeths Kollegen - die zudem Verschwörungsmythen verbreiten. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Elisabeth S.* ist 42 Jahre alt und Sozialarbeiterin. Sie arbeitet in einem Sozialamt in einem Bezirk im Osten Berlins. Ihre Klienten stammen, etwas verallgemeinert formuliert, alle aus dem Spektrum der vulnerablen Gruppen. Ihnen begegnet sie bei Hausbesuchen, im Amt oder am Telefon. Im Homeoffice zu arbeiten ist wenig sinnvoll für Elisabeth. Im Amt trifft sie allerdings auch auf ihre vielfach ungeimpften Kollegen und Kolleginnen, wie sie erzählt. So geht es Elisabeth:

Mir geht es, was meine Arbeit betrifft, nicht gut. Meine Arbeitsbedingungen sind wegen Corona stark eingeschränkt. Um den Hilfebedarf meiner Klienten zu ermitteln, treffe ich sie normalerweise in ihrer häuslichen Situation. Es handelt sich im Prinzip durchweg um Menschen, die den vulnerablen Gruppen angehören. Ich muss sie aber – aus verschiedensten Gründen – meist persönlich treffen. Und dabei mich selbst und sie auch vor Corona schützen.

Die Gespräche soll ich derzeit möglichst telefonisch führen. Aber darunter leidet die Kommunikation merklich. Am Telefon bin ich die Frau vom Sozialamt, die komische Fragen stellt. Das ist in der persönlichen Kontaktaufnahme meist anders. Obwohl bei persönlichen Treffen die Gespräche mit Maske auch nicht so einfach sind.

Denn es gibt viele Leute, die mich nicht gut hören oder verstehen. Doch die Masken sind bei den persönlichen Treffen eigentlich noch das geringste Problem. Häufig wohnen die Menschen in beengten Verhältnissen, in denen man weder Abstand halten noch lüften kann. Und dann ist da noch die Sache des Corona-Status' meiner Klienten. Wenn sie zu mir in die Behörde kommen, müssen sie ja den 3G-Status nachweisen. Aber wenn ich sie besuche, kann ich nicht nachprüfen, ob die Person geimpft, genesen oder wenigstens getestet ist.

Ich frage auch ungern danach. Das ist insgesamt inzwischen meine Haltung zu diesem Thema. Ich vermeide Corona-Gespräche oft – und insbesondere dann, wenn ich das Gefühl habe, mein Gegenüber ist nicht geimpft. Was für mich in meinem Arbeitskontext sehr oft vorkommt. Es ist schon bizarr: In meinem privaten Umfeld sind so gut wie alle Menschen geimpft, in meinem beruflichen die wenigsten – und das gilt nicht nur für mein Klientel, sondern sogar für meine Kollegen auf dem Amt.

Obwohl ich geimpft und nicht vorerkrankt bin, sorge ich mich durchaus davor, Corona zu bekommen. Auf keinen Fall möchte ich sowas wie Long Covid haben. Ich ernähre mich gesund, mache Sport, rauche und trinke nicht – ich will mir einfach nicht vorstellen, nicht mal mehr die Treppe gut hochgehen zu können. Außerdem habe ich auch Angst, meinen Klienten, zu denen ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahre, das Virus quasi mitzubringen.

Kürzlich habe ich einen fast hundertjährigen Herren besucht, der mich ohne Maske nicht verstehen konnte, weshalb wir sie auf seinen Wunsch hin beide ablegten. Es beschäftigt mich dann schon die Frage, wie ich damit klarkommen soll, wenn er meinetwegen Corona bekommt und stirbt.

Meine Arbeit lässt sich einfach insgesamt schlecht im Homeoffice machen. Das fängt schon damit an, dass ich die Akten der Klienten nicht mit nach Hause nehmen darf. Ich habe auch kein Diensttelefon, um telefonische Beratungsgespräche zu führen oder Termine zu vereinbaren. Ich muss praktisch ins Amt.

Es kursieren auch diverse Verschwörungserzählungen im Sozialamt. Aber ich versuche da, den Rückzug anzutreten, sobald das Thema aufkommt.

Elisabeth S., Sozialarbeiterin in einem Berliner Amt

Glücklicherweise kann ich mit meiner Leitung gut über meine derzeitigen Bedenken und meine Situation reden. In der Behörde sind derzeit im Prinzip alle Mitarbeiter da und machen ihre Arbeit. Immerhin sitzen die meisten in Einzelbüros.

Da ich mit Pandemiebeginn ins Amt gekommen bin, habe ich unter den Kollegen und Kolleginnen wenig freundschaftliche Bande. Wir arbeiten ja auch nicht als Team. Was mir aber wirklich Bauchschmerzen macht, ist, dass etwa die Hälfte meiner Kollegen ungeimpft ist. Viele haben Sorgen vor etwaigen Langzeitfolgen der Impfung. Und das sind genau die Kollegen, die rauchen und die sich in der Mittagspause von Fast Food aus der Mikrowelle ernähren.

Es kursieren auch diverse Verschwörungserzählungen im Sozialamt. Aber ich versuche da, den Rückzug anzutreten, sobald das Thema aufkommt. Ein Teil der Kollegen soll auch an den Montagsdemonstrationen teilnehmen, um gegen die "Corona-Diktatur" zu protestieren, wie sie es nennen.

Das ist doch eine Riesenschweinerei, wenn man im öffentlichen Dienst arbeitet. Sie werden als Sozialarbeiter bezahlt, tragen die Verantwortung für Menschen und behaupten, die lebten in einer Diktatur. Das finde ich unmöglich. Und das geht ja noch weiter.

Wenn sie die Maßnahmen nicht ernst nehmen, richten sie sich ja auch nicht danach. Wenn also jemand im Pflegeheim besucht wird oder jemand eingeladen wird in die Behörde, muss ja alles desinfiziert werden und die Mitarbeiter müssen sich gründlich testen. Doch ich bezweifle, dass das alles so stattfindet bei meinen Kollegen. Die ungeimpften Mitarbeiter testen sich auf der Arbeit in ihrem Büro – hinter verschlossener Tür. Niemand ist dabei. Man weiß also nicht, ob und wie gründlich sie sich testen. Da geht es ja um nichts Geringeres als die Unversehrtheit unserer Schutzbefohlenen.

Das ist alles schlecht auszuhalten - und trotzdem will ich nicht hinschmeißen. Denn die Arbeit selbst macht mir sehr viel Spaß. Auch weil meine Klienten so unterschiedlich sind. Außerdem übernehme ich gerne Verantwortung – und das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe.

Ich würde es gut finden, wenn eine Impfpflicht käme für Sozialberufe im öffentlichen Dienst. Außerdem würde ich mir wirklich ein bisschen mehr Vernunft von meinen Kollegen wünschen. Ihr Verhalten sagt ja doch einiges über ihr Verständnis von solidarischem Zusammenleben aus.

Gesprächsprotokoll: Sabine Priess

 

* Name von der Redaktion geändert

 

Sendung: Antenne Brandenburg, 23.01.2022, 6 Uhr

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