Meinung | Versprechen in der Coronakrise - Mehr Demut wagen

Fr 29.01.21 | 17:56 Uhr
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Jens Spahn in der 205. Sitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude. Berlin, 27.01.2021 (Quelle: dpa/Frederic Kern/Geisler-Fotopress)
Bild: dpa/Frederic Kern/Geisler-Fotopress

In den vergangenen Wochen wurde in Sachen Corona wieder viel vorgeprescht, behauptet und versprochen - in der Politik und in den Medien. Dabei sollte die Pandemie inzwischen doch gezeigt haben, wie wenig das hilft, meint Haluka Maier-Borst.

Wo waren Sie vor einem Jahr am Wochenende? Vielleicht auf einer Party? In einem Restaurant? Oder bei einem entspannten Abend im Kino? Die Chancen stehen ganz gut, dass Ihr Wochenende dieser Tage jedenfalls anders aussieht als vor zwölf Monaten. Der Grund … ach, Sie wissen schon.

Das Coronavirus zeigt uns seit März, wie schnell die Dinge aus der Bahn geraten. Ein Virus, das selbst Epidemiologinnen, Virologen, Vakzin-Forscherinnen und manch anderen Experten klar macht, wie viel sie nicht wissen. Ein Virus, das uns allen seit fast einem Jahr eine Lehrstunde in Sachen Demut gibt.

Oder geben müsste - denn offensichtlich fällt das Lernen dieser Lektion einigen besonders schwer. Nämlich jenen, die einen unbändigen Drang nach Gewissheit verspüren. Jenen, die mit viel Willen und Überzeugung die großen Ungewissheiten übertünchen und einfach loslegen möchten.

Mal eben mehr Impfstoff produzieren? Leider nicht.

Ein gutes Beispiel dafür ist Dilek Kalayci (SPD), die Gesundheitssenatorin von Berlin. Erst führte sie ohne Rücksprache mit den Gesundheitsämtern eine Corona-Ampel ein. Das trieb die Amtsärzte auf die Barrikaden, auch weil man diese "fachlich-medizinisch in keiner Weise angehört oder eingebunden" habe. Im Sommer erklärte Kalayci dann, dass das Verbreitungsproblem die feierwütigen Jugendlichen und die Clubs seien – obwohl es keinerlei Belege für diese Behauptung gab.

Und nun war es das Versprechen vom Berliner Impfstoff, das Kalayci am Donnerstagmittag mit viel Verve im Abgeordnetenhaus vortrug – und das sich schon im Laufe des Nachmittags wieder auflöste. Wer hätte auch denken können, dass das Produzieren eines Impfstoff so kompliziert ist? Vor allem nachdem die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Ugur Sahin schon vor Längerem erklärt hatten, dass man nicht so eben mehr davon produzieren kann, weil es dafür ein gewisses Know-How brauche [spiegel.de]...

Ein Blick in den Spiegel hilft

Ein anderes Beispiel für diese vorschnelle Sicherheit ist Jens Spahn (CDU). Bis in den Herbst schloss er aus, dass man nochmal so weit gehen müsse wie im ersten Lockdown [bz-berlin.de]. "Man würde mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen, keine Friseure mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen", sagte er. Schauen Sie auf Ihren Kopf - dann wissen Sie, wie gut das geklappt hat.

Vor wenigen Wochen versprach er, bis zum Sommer werde jeder in Deutschland ein Impfangebot bekommen [tagesschau.de]. Ob das so klappen wird? Angesichts der aktuellen Situation – bislang haben etwas über zwei Prozent der Bevölkerung eine Impfung bekommen [bmg.de] – erscheint das Versprechen zumindest alles andere als sicher.

Aber nicht nur Politikerinnen und Politiker, auch Medienschaffende gehören zur Gruppe der ungestüm Vorpreschenden. Die Studiendaten zur Wirksamkeit des Impfstoffs von Astrazeneca zeigen aktuell, dass es unter den Probanden, die über 65 Jahre alt waren gerade einmal zwei Erkrankungsfälle gab: einen in der Placebo-Gruppe, einen in der geimpften Gruppe. Es leuchtet ein, dass das viel zu wenig Daten sind, um irgendeine Aussage zu treffen. Oder wie es der Statistiker Christoph Rothe auf Twitter zusammenfasste: "Wir haben keinen blassen Schimmer" [twitter.com]. Trotzdem ließen es sich mehrere Medien nicht nehmen, zu behaupten, dass der Impfstoff bei Älteren kaum wirke - wenn in Wahrheit genau das schlicht ungewiss ist.

Und ja, auch wir bei rbb|24 haben in manchen Momenten dem Drang nach gefühlter Gewissheit nachgegeben. Sei es, weil wir davon ausgingen, dass sich mit der zunehmenden Mobilität die Infektionszahlen nach dem Lockdown ganz automatisch erhöhen würden - was sich zum Glück als falsch herausstellte, weil andere Faktoren eben auch eine Rolle spielen. Oder sei es die Ansicht, dass definitiv die Theater nicht schuld am Mehr der Infektionen seien – während die offiziellen Daten nur eines klar sagten: Man weiß eigentlich gar nicht, wie die Leute sich aktuell anstecken.

Während die Pandemie so viel in unserem Alltag verlangsamt, läuft die öffentliche Kommunikation heiß. Es wird sofort mitgeteilt und vereinfacht, weil der Wunsch nach Gewissheit und Klarheit groß ist. Innehalten? Abwarten? Sich klar werden? Fehlanzeige.

Stattdessen wird viel "gewillt". Heißt es nicht, dass der Glaube Berge versetzen kann? Es hat schon etwas Hollywoodhaftes, diese Mentalität von "Nimm viel Schwung, dann kommst du über das Hindernis - ganz egal wie hoch es ist." In Filmen, Serien und motivierenden Instagram-Posts, die wir in diesem Lockdown en masse konsumieren, mag das funktionieren. Doch an der Hürde der Pandemie-Realität bleibt man damit hängen.

Dem Virus sind kernige Behauptungen egal

Das Blöde ist nämlich: Viren haben kein Netflix und benutzen auch kein Social Media. Gerüchteweise zahlen sie noch nicht einmal Rundfunkbeitrag. Sie machen einfach das, was sie machen. Sich vermehren, sich anpassen und dabei immer unberechenbar bleiben - und damit auch die Situation für uns.

Hau-Ruck-Mentalität und vorschnelle Schlüsse werden der aktuellen Situation nicht gerecht und sie werden uns hier nicht herausbringen. Demut und lernen, mit dem Mehr an Ungewissheit umzugehen? Schon eher.

Was Sie jetzt wissen müssen

33 Kommentare

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  1. 33.

    Sehe gerade 31 Kommentare heute hier noch lesbar. Warum wurden die anderen entfernt ? Auch ich liebe das WARUM. Wie könnten wir die schnellste Durchimpfung der Gefährdungsgruppe 1 erreichen ? Astrazeneca ist ähnlich wie Sputnik V und gemeinsam gäbe es weniger TOTE. Ist es nicht furchtbar was heute Familien ertragen müssen ? Wer viel zu viel Geld hat fliegt nach Dubai und erhält alles gegen CORONA. Was hat das für Folgen ?

  2. 32.

    Der Corona-Beauftragte der WHO fordert mehr Zusammenhalt in der Krise.
    Die Seuche habe einen großen Teil der Welt weiter fest im Griff. Das habe vor allem politische Gründe, auch in Deutschland. Dieses Virus wird uns besiegen, wenn wir nicht einig sind.

  3. 31.

    Ich warte auf die Schlagzeilen „Impfstoff gibt es jetzt gar nicht mehr“ nun liefert auch moderna weniger, als geplant! Haben Die jetzt das Sagen übernommen?!
    Wohin soll das führen?

  4. 30.

    "Jens Spahn stimmt die Menschen auf 10 harte Wochen ein"

    Die meisten Menschen werden wohl eher verstimmt sein und Stimmen gewinnen wird Spahn wohl kaum eine. Spahn sollte den Menschen in der Zwischenzeit lieber reines Wasser einschenken.

  5. 29.

    Hallo Haluka,
    herzlichen Dank für diesen Beitrag auch von meiner Seite!
    Das ging jetzt auch mal in die andere Richtung. ;-)
    Könnte alles unterschreiben.

  6. 28.

    Es ist immer dasselbe. Deutschland versteckt
    sich immer hinter der EU. Das verlangt man ein-
    fach. Wir könnten ja erfolgreicher sein, als andere Länder.Was für ein Unglück. Wenns ans
    Zahlen geht sind wir immer als Erste gefragt.
    Ansonsten sind wir auf den hinteren Plätzen.

  7. 27.

    Hier muss ich leider widersprechen:
    Natürlich ist die Produktion eines Impfstoffes 1. möglich, wie wir erleben, und dadurch 2. wenn er erst mal produziert wird, dann ist dies auch ein laufender Vorgang.
    Warum wurde hier nicht seit März der Weg bereitet, dass Deutschland hier nicht auf andere angewiesen ist?

  8. 26.

    Hallo Herr Haluka Maier-Borst
    sie wissen, dass ich ein Fan ihrer Publikationen. Wir hatten auch schon gemeinsamen Gedankenaustausch. Auch hier habe ich mit meinem Kommentar #5 ihre einleitende Frage beantwortet.
    Was allerdings ihre Aussagen zu Frau Kalayci angeht, sollten sie ihre Meinung vielleicht nochmal überdenken. Vielleicht hilft dabei der Bericht ihres Kollegen Sebastian Schöbel "Wie ein Signal der Hoffnung zum Kommunikationsdesaster wurde". Es gibt dort auch viele Kommentare, die sich der eröffneten „Hexenjagd“ nicht anschließen und dafür aber der Frau Kalayici Kompetenz und Führungsvermögen bescheinigen - Eigenschaften, m.E. die in einer Pandemie überlebenswichtig sind.

  9. 25.

    Also ich freue mich auf ein paar schöne Wochen im Sommer, bevor es dann spätestens Anfang November in den dritten Lockdown geht - der natürlich wieder erst nur vier Wochen dauern soll ("alle ökonomischen Schäden ersetzt der Staat, schnell und unbürokratisch" LOL) und dann mehr als vier Monate dauern wird. Schon mal im Kalender vermerkt: Im Oktober nochmal schnell die Haare schneiden lassen, das muss dann ja wieder bis Ostern reichen. Womöglich (wie voraussichtlich dies Jahr) bis Pfingsten.

    Im Sommer könnte dann eine gewisse Normalität einkehren, und vielleicht Weihnachten halbwegs wie früher gefeiert werden - natürlich Weihnachten 2022. Und natürlich nur, wenn bis dahin nicht diese und jene Mutation und Impfstofflieferprobleme und der vierte Lockdown, zu dem es auf gar keinen Fall kommen wird usw. usf.

    Und klar: "Gesundheit geht vor!" Wobei "Krankheit" nur noch CoVid19 bedeutet, alle anderen Krankheiten und Gesundheitsschäden sind unerheblich.

  10. 24.

    „Mich würde nicht wundern, wenn die später wieder zurück in die Auslage gewandert sind...„
    Ne die sind jetzt auf den Weg nach Gorleben ..... werden dort neben dem Atommüll zwischengelagert bis sie nicht mehr gefährlich sind.
    Ironie off

  11. 23.

    "Ich könnte mir gut vorstellen, das es in Supermärkten, Bäckerein, Tankstellen, in der Post passiert, Verkäufer immer noch ohne Masken"
    Ist mir erst diese Woche passiert - hoffentlich ohne Folgen: ich kaufe an einem U-Bahnhof-Kiosk Zeitschriften. Die Verkäuferin, ohne Maske, hinter eine Plexiglasscheibe mit sehr großzügiger Öffnung, muss niesen. Dreht sich dabei nicht zur Seite, sondern niest einfach in meine Richtung und auf die Zeitschriften! Die hab ich dann nartürlich nicht mehr gekauft, sondern neue genommen. Aber die Frau hat sich nicht mal entschuldigt, sondern die angeniesten hefe kommentarlos beiseite gelegt. Mich würde nicht wundern, wenn die später wieder zurück in die Auslage gewandert sind...

  12. 21.

    Langsam verliere ich den letzten Rest an Zutrauen und Vertrauen. In Europa wird ein Impfstoff für alle Erwachsenen zugelassen. Viele Länder nutzen ihn bereits genau so. Deutschland in seiner komfortablen Impfstoffsituation wird von einer Empfehlung ausgebremst, dabei steht es bereits fast still. In wenigen Tagen werden Studien zeigen, dass das nicht nötig war. Dann ändern wir die Linie wieder und verzeihen einander. Mir reicht es, unglaubwürdig, inkompetent, zu zaghaft und langsam. Wir werden es wahrscheinlich tatsächlich noch schwer haben, allerdings selbstgemacht.

  13. 20.

    Das liest sich ja fast wie der seit langem vermisste „Absacker“!
    Bitte nehmt ihn doch wieder in euer Programm auf! Wenn wir seriöse Fakten des Tages nett, sympathisch und auch persönlich zusammengefasst brauchen, dann ja wohl jetzt in dieser fordernden Zeit!

    Absacker wir brauchen dich!

  14. 19.

    Das mit dem Gehirn würde ich auch mal ihnen empfehlen und hören sie auf ständig hier Leute zu beleidigen.
    Sie scheinen ja der perfekte Mensch zu sein, der niemals auch nur ein Fehler macht, vielleicht sind sie aber auch eher eine Maschine (bot).

  15. 18.

    Das Volk ist das Land und die Regierenden vertreten uns nur. Wird endlich Zeit diese planlosen Politiker aus dem Amt zu entlassen! Frage mich ernsthaft was dem Volk noch alles zugemutet wird....

  16. 17.

    Ich könnte mir gut vorstellen, das es in Supermärkten, Bäckerein, Tankstellen, in der Post passiert, Verkäufer immer noch ohne Masken

  17. 16.

    " In Berlin gehen die Zahlen seit dem Lockdown runter " woanders auch , aber längst nicht wie erhofft , aber mehr als
    Lockdown hat man nicht im Köcher und Impfstoff schon gar nicht

  18. 15.

    " Wann müssen solche Leute wie Herr Spahn gehen? "

    eine wohl aufzuwerfende Frage , aber wer könnte es denn besser machen ?? den fehlenden Impfstoff kann auch ein Nachfolger nicht herbeizaubern , ich denke, die Demission von Spahn löst unsere aktuellen Probleme auch nicht

  19. 14.

    Sie sagen es: FAST alles falsch gemacht heißt nicht komplett alles falsch gemacht. In Berlin gehen die Zahlen seit dem Lockdown runter https://www.berlin.de/corona/lagebericht/ also ist der jetzige Lockdown nicht falsch. Gehirn an

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