Trisomie 21 und Corona - Mit Angst durch die Pandemie

Mi 03.02.21 | 07:01 Uhr | Von Anna Corves
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Michael (li.) und Werner Zietz (Quelle: rbb/Anna Corves)
Audio: Inforadio | 03.02.2021 | Anna Corves | Bild: rbb/Anna Corves

Wer Trisomie 21 hat, hat ein erhöhtes Risiko für einen schweren Corona-Krankheitsverlauf. Entsprechend groß ist ihre Sorge, sich zu infizieren – und nicht ausreichend geschützt zu werden. Anna Corves hat eine Familie im brandenburgischen Brieselang besucht.

Einträchtig sitzen sie am Esstisch: Vater, Mutter, Kind. Das Kind, Michael, ist allerdings groß, kräftig und schon 30 Jahre alt. Ans Ausziehen in eigene vier Wände ist trotzdem nicht zu denken: Michael hat Trisomie 21, das Down-Syndrom. Er ist zwar recht selbständig, fährt jeden Tag zur Arbeit in eine Behindertenwerkstatt, wirkt sehr unternehmungslustig. Aber er spricht wenig, ist schwer zu verstehen. Alleine versorgen kann er sich nicht.

In der Corona-Pandemie sind die Sorgen der Eltern um ihren Sohn gewachsen - seit Vater Werner Zietz auf eine Covid-Studie der Universität Oxford stieß: "Und darin steht, ganz wissenschaftlich fundiert: Dass Trisomie-21-Betroffene ein zehnfach höheres Sterberisiko haben, wenn sie krank werden."

Und dieser Wert gilt auch für Michael, der keine der für Trisomie typischen Begleiterkrankungen - etwa angeborene Herzfehler - hat. Solche Risikofaktoren wurden in der Studie bereits herausgerechnet. Diese Nachricht ist ein Schock für die Familie. Zumal sie schon erleben musste, wie verheerend Corona sein kann: Michaels Opa starb im Frühjahr vergangenen Jahres an der Infektion. Fragt man Michael, ob er Angst vor dem Virus hat, nickt er heftig und sagt sofort: "Ja."

Priorisierung wird Einzelfällen nicht gerecht

Angesichts des erhöhten Risikos könne er nicht nachvollziehen, dass Menschen mit Down-Syndrom in der Impf-Reihenfolge nicht der Gruppe mit der höchsten Priorität zugeordnet worden seien, sondern erst in der 2. Impfwelle dran sein würden, sagt Werner Zietz. "So wie das bisher mit dem Impfen hier in Brandenburg läuft – da kriegen wir die Impfung vielleicht im Juni, Juli oder August – das dauert doch Monate." So lange in Sorge leben? Er schüttelt den Kopf.

Fragt man bei der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut nach, warum Trisomie-Kandidaten nicht zu den ersten Impf-Kandidaten gehören, ist das Verständnis für deren Sorge zwar da. Aber der Impfstoff sei noch so knapp, dass man solche Entscheidungen treffen müsse – im Wissen, dass eine Priorisierung immer vielen Einzelfällen nicht gerecht werde, sagt eine Sprecherin.

Seit etwa zwei Wochen hat die Ständige Impfkommission die Möglichkeit eingeräumt, in Einzelfällen eine schnellere Impfung zu prüfen. Dazu müssen sich Betroffene an ihre jeweilige Landesregierung wenden. Das brandenburgische Gesundheitsministerium teilt auf Anfrage mit, es baue dafür gerade eine Clearing-Stelle auf. Viel Hoffnung macht der Pressesprecher aber nicht: So eine Einzelfallgenehmigung könne es wirklich nur in sehr schweren Ausnahmefällen geben, bei Erkrankungen, die bisher womöglich noch gar nicht in der Prioritätenliste berücksichtigt seien.

Werkstätten bleiben geöffnet

Werner Zietz beruhigt das nicht gerade, zumal es noch einen weiteren Risikofaktor gibt: Die Behindertenwerkstätten sind, anders als im ersten Lockdown, aktuell geöffnet. "In der Spandauer Werkstatt, in der Michael arbeitet, arbeiten 300 Leute, an einem sehr kleinen Standort." Hinzu komme, dass Michael mindestens eine Fahrt am Tag zwischen Brieselang und Spandau mit der Bahn absolviere, auch viele seiner Kollegen in der Werkstatt kämen mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Das sei ja ein zusätzliches Risiko. "Ich verstehe nicht, warum sie die Werkstätten nicht wieder geschlossen haben – wo doch die Inzidenzzahlen viel höher sind als im Frühjahr."

Auf Nachfrage bei der zuständigen Senatsverwaltung und bei der Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen heißt es, für viele Betroffene bilde die Arbeit eine wichtige Struktur im Alltag, diese Erfahrung habe man auch im Frühjahrs-Lockdown gemacht. Deshalb habe man die Werkstätten nicht wieder komplett schließen wollen. Auch Michael geht sehr gerne zur Arbeit: Seine Aufgabe ist es, Popcorn in Tüten abzufüllen. Das macht ihm Spaß – auch, weil sein bester Freund da arbeitet. Im Moment arbeiten sie in Kleingruppen, mit Masken, morgendlichem Gesundheitscheck - die Betreuer bemühten sich sehr um Sicherheit, sagt der Vater.

"Aber Angst haben wir trotzdem - man weiß nie, wie es kommt." Er könne seinen Sohn auch nicht einfach zu Hause lassen: Plätze in Behindertenwerkstätten werden von der Kommune bezahlt - fehlt man zu oft, verliert man den Platz. Doch gilt das auch in Corona-Zeiten? Nein, sagen die zuständigen Stellen: Man habe es jetzt so geregelt, dass Werkstätten-Mitarbeiter mit einem Attest unbegrenzt fehlen dürfen. Nur davon hat Familie Zietz bisher nichts gehört - ein entsprechendes Schreiben wurde wohl auch erst vor ein paar Tagen auf den Weg gebracht.

Sendung: Inforadio, 03.02.2021

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Beitrag von Anna Corves

4 Kommentare

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  1. 4.

    Ich drücke ihnen die Daumen. Meine Kinderärztin meinte ab 16 Jahren wird geimpft. Und Risikopatient heißt ja nicht automatisch schlechter Verlauf, daher wünsche ich Ihnen und ihrer Tochter ganz viel Glück.

  2. 3.

    Super geschrieben, dem ist nichts hinzuzufügen. Mein Kind ist Risikopatient und wird leider nicht geimpft, da unter 16 nicht geimpft wird.

  3. 2.

    Es müssen alle Risikopatienten schnellstmöglich geimpft werden. Es gibt viele die sich aufgrund ihres Berufes oder ihrer Kinder gar nicht schützen können.

  4. 1.

    In meinem Bekanntenkreis kenne ich nur 1 Corona-Todesfall, und das war ein Mädchen Anfang 20 mit Down Syndrom. Sie hatte allerdings auch einen schweren Herzfehler, wie es ja sehr häufig bei betroffenen der Fall ist. Also ich kann die Sorge der Familie verstehen.

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