Berlin-Neukölln - Gesundheitsamt setzt bei Kontaktnachverfolgung teils auf Eigenverantwortung

Di 07.12.21 | 08:13 Uhr | Von Oda Tischewski
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Archivbild: Ein Bundeswehrsoldat ist im Gesundheitsamt Neukölln bei der Nachverfolgung der Coronakontaktpersonen eingesetzt. (Quelle: dpa/J. Carstensen)
Video: Abendschau | 06.12.2021 | F. Drescher | Bild: dpa/J. Carstensen

Das Gesundheitsamt Neukölln kommt mit der Kontaktnachverfolgung nicht mehr hinterher – es muss priorisiert werden: Das Amt fokussiert sich dabei auf bestimmte Altersgruppen – und setzt ansonsten auf Eigenverantwortung. Von Oda Tischewski

Das Neuköllner Gesundheitsamt in Berlin bietet quasi eine Corona-Rundumversorgung: In den Backsteingebäuden an der Blaschkoallee wird geimpft, getestet, es werden Infektionen erfasst und Zahlen ans Robert-Koch-Institut weitergegeben, außerdem Kontakte nachverfolgt und Quarantänen ausgesprochen. So sollte es jedenfalls sein. In der Realität kann das Personal des Gesundheitsamtes die Masse an täglich gemeldeten Infektionen nicht mehr bewältigen: Es fehlen Mailadressen oder Telefonnummern der Betroffenen, oft wird noch mit Briefpost gearbeitet.

Das Amt muss Abstriche machen - und der Neuköllner Amtsarzt Nicolai Savaskan erklärt, wer bei der Kontaktverfolgung derzeit besonders im Fokus steht: "Das sind primär Menschen über 69 Jahren, Menschen in Seniorenheimen, Pflegeeinrichtungen, und deren Pflegekräfte. Aber wir priorisieren auch Kinder und Jugendliche, die in Kitas, Schulen, Horteinrichtungen organisiert sind."

Gesundheitsamt setzt auf Eigenverantwortung

Wo die Personaldecke für die Verfolgung aller Kontakt nicht mehr ausreicht, werden also zunächst Infektionen in der älteren Risikogruppe und in der mehrheitlich noch immer ungeimpften Gruppe der Kinder und Jugendlichen nachverfolgt. Ziel sei, weitere Schul- und Kitaschließungen zu verhindern. Auch Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) verteidigt diese Priorisierung. Das sei eine Anpassung an die verschärfte Infektionslage, sagte Hikel am Montag der rbb-Abendschau. Man müsse sich auf die gefährdeten Gruppen konzentrieren.

Zwar werden auch positiv Getestete zwischen 18 und 69 Jahren vom Amt kontaktiert, aber mit zum Teil erheblicher Verzögerung. Hier setzen Amtsarzt Savaskan und sein Team auf die Eigenverantwortung der Berlinerinnen und Berliner: Wer einen positiven Schnelltest bekommen hat, soll dieses Ergebnis umgehend per PCR überprüfen lassen und sich vorsorglich von seinen Mitmenschen isolieren, um die Infektionskette zu durchbrechen.

Erst vor wenigen Tagen hat das Neuköllner Bezirksamt eine Quarantäne-Broschüre für positiv Getestete und für enge Kontaktpersonen [berlin.de; PDF] herausgegeben, die die wichtigsten Verhaltensregeln erläutert: Pandemiebekämpfung in Eigenregie, aber auch ein Fortschritt gegenüber den ersten Wellen, als man Informationen oft vergeblich suchte.

Nicolai Savaskan. (Quelle: Kathrin Leisch)
Bild: Kathrin Leisch

Tests verzögern sich

Nun sind in Neukölln die Zahlen erstmals seit Wochen gesunken. Die Erklärungen dafür sind vielschichtig. Schlagen die Maßnahmen an? Verhindert 3G am Arbeitsplatz und im öffentlichen Nahverkehr, dass sich Infektionen verbreiten? Das wäre die positive Interpretation. Savaskan sieht aber auch andere mögliche Erklärungen. Es gebe vermehrt Berichte von Betroffenen, die ihre Testungen nicht zeitnah bekämen. "Zum anderen wissen wir von Seiten der Labore, dass sie mittlerweile in einer Vollauslastung fahren, wo dann auch nicht mehr gewährleistet ist, dass die Proben, die ins Labor kommen, auch wirklich tagesaktuell abgearbeitet werden können."

Neue Lage durch Omikron

Zudem könnte die neue Virus-Variante Omikron die Lage auch im Gesundheitsamt Neukölln weiter drastisch verschärfen, auch wenn deren Eigenschaften bisher noch weitestgehend unklar sind. In einer Hinsicht allerdings ist Nicolai Savaskan optimistisch: "Bezüglich der Omikron-Variante können wir sagen, dass die grundsätzlichen Schutzmaßnahmen, die wir haben – also Impfen, Abstand halten, Lüften und Maske tragen, da, wo wir nicht in belüftungsoptimierten Räumen sind – die Maßnahmen sind, die auch weiterhin gegen diese besorgniserregende Variante wirken." Bürgermeister Hikel betont mit Blick auf Omikron: Diese Fälle könnten nachverfolgt werden. Denn die Meldungen kämen in solchen Fällen von den Laboren und würden dann einzeln bearbeitet.

Einen positiven Nebeneffekt von Omikron glaubt Savaskan zu beobachten: Seit sich die ersten Meldungen über die neue Variante verbreiteten, habe die Impfbereitschaft – auch hier in Neukölln – wieder deutlich zugenommen. Die neuen Einschränkungen für Ungeimpfte könnten allerdings auch dazu beigetragen haben.

Sendung: Abendschau, 06.12.2021, 19:30 Uhr

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Beitrag von Oda Tischewski

25 Kommentare

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  1. 24.

    "Eigenverantwortung"? Was für eine Bankrotterklärung des Bezirks.

  2. 23.

    Eigenverantwortung? Um Himmels Willen, das lernt man doch schon in den Schulen nicht mehr. Schuld haben immer die anderen, die sozialen Umstände, das Wetter oder die Lehrer, aber niemals man selbst. Wie soll man denn nun durch eine wirkliche Krise kommen, bei der es um Selbstwahrnehmung, Achtsamkeit und Rücksicht auf andere geht?
    Frag mich nur was das jetzt genau mit "Neuköllner" genau zu tun hat? Eigenverantwortung klappt in ganz Deutschland nicht weil der allgemeine Deutsche zu doof ist.

  3. 22.

    "Kompetentes IT-Personal zu finden, um technischen Wandel durchzusetzen ist schwierig, wenn bei Leitungskräften mit E14 und Technikern mit E11 Tarifgruppe das Lohnspektrum ausgereizt ist."
    Wenn man bedenkt die bisherige Gesamthöhe aller C-Hilfen in D, gewinnt man den Eindruck, dass es auf 100 Milliarden € mehr oder weniger nicht mehr aufkommt. Man könnte sich vorstellen, dass jeder Tag des Chaos Milliarden kostet.
    Sparen an der Vergütung der Fachkräfte, die notwendig sind um dieses Chaos zu beenden ist abartig.

  4. 21.

    Bis vor zwei Jahren haben die Verwaltung und große Teile der Wirtschaft noch nicht einmal Technik für Home Office vorgehalten. Obwohl das seit vielen Jahren technisch möglich ist. Es wurde einfach nicht gemacht. Aus Unwille, Desinteresse der Firmen, rückwärts gewandter Denkweise und falsch verstandenem Sparwahnsinn. In anderen Industrieländern ist mobiles Arbeiten schon seit vielen Jahren völlig selbstverständlich, dort wo es geht. Erst seit Corona wird man in Deutschland langsam wach und stellt fest, was man technisch alles verpennt hat. In den Behörden, bei der Infrastruktur und auch in den konservativen Köpfen einiger Chefs und Wirtschaftsleute. Ohne die Pandemie wären wir irgendwann endgültig zum technischen Entwicklungsland geworden. Andere haben uns schon längst überholt. Man wollte es nur nicht wahr haben, als ehemals stolzes "Industrieland".

  5. 20.

    An alle Eigenverantwortungs-Diffamierer:
    Eigenverantwortung ist was sehr wichtiges!
    Ich habe mich aus Lektüre und Eigenverantwortung 2 x Impfen lassen.
    Dafür brauche ich keine Gängelei und keinen Druck.
    Ich kann mich auch getäuscht haben, aber ich habe die Verantwortung für mich übernommen.
    Eigenverantwortung und Freiheit immer sofort als "Lust andere anzustecken" zu diffamieren, zeigt eher, wie tief manche Leute schon gesunken sind.

  6. 19.

    "Das Gesundheitsamt Neukölln kommt mit der Kontaktnachverfolgung nicht mehr hinterher "

    Nicht mehr? Soll diese Wortwahl vielleicht suggerieren, dass es früher eine wirksame Kontaktnachverfolgung durch GÄ gegeben hat?
    Das wären wirklich ganz neue Erkenntnisse,

  7. 18.

    Da wo es keine Gesetze gibt greift immer die Eigenverantwortung.
    Jeder entscheidet jeden Tag fast alles in Eigenverantwortung.
    Die Verweigerung von Schutzmaßnahmen die nicht Pflicht sind gehört auch zur Eigenverantwortung.... zumindest sehe ich dort wo z.B. keine Pflicht zum tragen einer Maske gibt sehr sehr viele die Eigenverantwortlich diesen Schutz nicht nutzen.
    Draußen auf der Straße und im privaten Bereich.
    Lesen sie sich einfach den link durch, dann wissen sie was Eigenverantwortung bedeutet.

  8. 17.

    In unserem Land gibt es Regeln und Gesetze, die für alle gelten. Und das ist gut so. Wir sind keine Anarchie, wo jeder selber nach Gutdünken und persönlicher Willkür machen kann was er will, unter dem Deckmantel vermeintlicher "Eigenverantwortung". Spätestens dort, wo man anderen Menschen schadet, hört die persönliche Freiheit auf. Niemand hat das Recht, einen anderen mit einer potentiell tödlichen Krankheit anzustecken. Auch nicht dann, wenn er die Verweigerung von Schutzmaßnahmen als seine persönliche "Eigenverantwortung" sieht. Das ist nämlich komplett verantwortungslos, egoistisch und unsozial. Und gefährlich - für andere, die dadurch schwer krank werden können.

  9. 16.

    Hier geht es nicht, um „kompetentes IT-Personal“ zu finden. Es geht um die einfache aber wirkungsvolle Nachverfolgung infizierter Personen, die andere Personen gesundheitlich gefährden. Für diese Tätigkeit benötige ich eine max. 3-5 tägige Einweisung/Schulung für Quereinsteiger. Wieso werden nicht die Fördermaßnahmen der Arbeitsagenturen/ Jobcenter (mit den AGH MAE) genutzt? Das ist eine sinnvolle Beschäftigungstätigkeit im öffentlichen Interesse, dient der Allgemeinheit und führt zu keiner Wettbewerbsverzerrung gegenüber Unternehmen.

  10. 15.

    Eigenverantwortung funktioniert immer.
    Sie möchten aber keine Eigenverantwortung, sondern das jeder das macht was irgendwer vorgibt und als richtig bewertet hat. Bei der Eigenverantwortung gibt es immer mehrere Ergebnisse.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Eigenverantwortung

  11. 14.

    Kurz gesagt, die Lage ist völlig außer Kontrolle. Auch die Zahlen stimmen nicht mehr ansatzweise.

  12. 13.

    Bei Corona auf Eigenverantwortung zu setzen, funktioniert bei einem gewissen Teil der Bevölkerung leider nicht. Vielen ist Bequemlichkeit und Egoismus wichtiger als Verantwortung für Gesundheit und Gesellschaft zu übernehmen. Stichwort: Maskenverweigerer, Corona-Leugner. Verschwörungstheoretike, Leute die auf dem Bahnsteig lieber im Rauchverbot qualmen anstatt sich eine Maske aufzusetzen usw. Man sieht es ja jeden Tag. Regeln und Verordnungen nützen nichts, wenn sie nicht konsequent durchgesetzt werden. Ja, das kostet Geld. Eine endlose Corona-Pandemie aber auch.

  13. 12.

    Auf Eigenverantwortung gerade in Neukölln mit seinen hohen Inzidenzen zu setzten, ist bestimmt eine gute Idee (Ironie)!
    Das klappt doch nie und so kriegen wir die Pandemie auch nicht in den Griff!
    Unverantwortlich!

  14. 11.

    Eigenverantwortung ist aus meiner Sicht nur noch ein Synonym für Staatsversagen. Schon lange setzt die Politik in vielen auf "Eigenverantwortung" oder "soziale Kontrolle". Aber eigentlich wissen doch alle Beteiligten, dass es so nicht funktioniert.

  15. 10.

    Das bedeutet aber nicht, dass das auch so einfach ist, wie man es dahinsagt.

    Kompetentes IT-Personal zu finden, um technischen Wandel durchzusetzen ist schwierig, wenn bei Leitungskräften mit E14 und Technikern mit E11 Tarifgruppe das Lohnspektrum ausgereizt ist.

    Wie leicht es aktuell ist, fachkundiges Personal aus dem Gesundheitssektor um Größenordnungen aufzustocken, bezweifle ich auch. Und wenn man es doch getan hätte und dann die vierte Welle vorbei ist, muss man das nicht mehr benötigte Personal auch wieder abbauen. Sonst hauen einem wieder Landesrechnungshof oder neoliberale Clowngruppen wie der Bund der Steuerzahler auf die Finger.

  16. 9.

    In Brandenburg werden Schüler als Kontaktperson von der Schule nach Gutdünken in Quarantäne geschickt. Das Gesundheitsamt meldet sich gar nicht mehr. Man bekommt auch keinen Schriebs, dass das Kind in Quarantäne musste, um irgendetwas beim Arbeitgeber vorzeigen zu können.
    Es werden wegen hohem Krankheitsstand auch nach eigenem Ermessen der Schulleitung die Eltern ganzer Klassenstufen aufgefordert, doch sich selbst krank schreiben zu lassen, um die Kinder zu Hause bleiben lassen zu können.
    Momentan macht jeder was er will, oder eben nicht, was er nicht will.

  17. 8.

    Daß sich das Infektionsgeschehen so entwickein würde, war doch abzusehen. Das Gesundheitsamt nach 2 Jahren Covid-19 so schwach technisch und personell auszugestalten und die Gesundheitsvorsorge nicht zur „Chefsache“ zu machen, zeugt entweder von Unfähigkeit oder Ignoranz der Verantwortlichen im Bezirk bis zum Senat, die für die personelle und technische Ausgestaltung der Gesundheitsämter zuständig sind. Gleichzeitig habe ich aber Hochachtung vor den Mitarbeitern des Gesundheitsamtes, die trotz dieser Misere ihr Bestes geben.

  18. 7.

    Als ich vor zwei Wochen einen positiven Schnelltest hatte, habe ich mich bei meinem Hausarzt um einen PCR-Test gekümmert, mich gleich abgesondert (schreckliches Wort) und meine Kontakte aus den Tagen zuvor informiert, die sich dann selber mehrfach getestet haben. Irgendwann kam der Anruf des Gesundheitsamtes ChaWi und kurz danach der Brief. Da steht u.a. drin, ich solle doch meine engen Kontakte selber informieren, aber dem Amt eine Kontaktliste schicken. Ich weiß nicht warum. Erstens war mein Befund da schon eine Woche her, zweitens habe ich alles selber in die Wege geleitet und drittens müssen Geimpfte nicht mal in Quarantäne. So wie es bei mir gelaufen ist, habe ich mich gefragt, warum das Amt da überhaupt noch telefonieren muss. Das Amt muss mir auch nicht sagen, dass ich positiv bin.
    Kontakte jedoch nicht selbst zu informieren, finde ich sehr fahrlässig. Andererseits finde ich es genauso fahrlässig, dass es gar keine Quarantände für Geimpfte gibt.

  19. 6.

    So werden wir die Pandemie nie in den Griff bekommen. Ich weiß durch eine Kollegin, deren Mutter einen Inpfdurchbruch hatte, dass auch in anderen Bezirken nicht mal rechtzeitig die Quarantäne ausgesprochen wird. In dem Fall war es Spandau...
    Da meldet sich das Gesundheitsamt erstmals 10 Tage nach dem positiven PCR Ergebnis. Bei Bürgern denen das egal ist oder eventuell auch sprachtechnisch Probleme haben, ist das katastrophal. Sie können ungehindert weiter draußen unterwegs sein....

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