#Wiegehtesuns | Der Schausteller - "Wir haben kein Geld mehr. Bei uns ist Feierabend."

Sa 04.12.21 | 11:05 Uhr
Schausteller Felix Freiwald vor einem Fahrgeschäft (Foto: rbb /Winterhagen)
Bild: rbb/Winterhagen

Nach einer schwierigen Zeit durch Pandemie-Einschränkungen sollte Schausteller Felix Freiwald aus Herzberg und seiner Familie das Weihnachtsgeschäft helfen. Dieses macht den größten Teil der Saison aus. Doch nach der Markt-Absage ist nun das Geld alle. Ein Gesprächsprotokoll.

Das Coronavirus stellt unser Leben auf den Kopf. In der Serie #Wiegehtesuns? erzählen Menschen, wie ihr Alltag gerade aussieht – persönlich, manchmal widersprüchlich und kontrovers. rbb|24 will damit Einblicke in verschiedene Gedankenwelten geben und Sichtweisen dokumentieren, ohne diese zu bewerten oder einzuordnen. Sie geben nicht die Meinung der Redaktion wieder.

Felix Freiwald stammt aus einer Schausteller-Familie aus Herzberg (Elbe-Elster). Nach Abschluss der 10. Klasse ging es für ihn sofort mit auf Tour. Dreiviertel des Jahres lebt er in einem Wohnwagen auf Jahrmärkten und Stadtfesten. Bereits im Juli hat er in #Wiegehtsuns? über die erste Coronaphase berichtet und darüber, dass die Familie all ihre Reserven nutzen musste, um zu als Schausteller zu überleben. Nun hätte das Weihnachtsgeschäft für Umsatz sorgen sollen. Doch alle Märkte in Brandenburg wurden abgesagt.

Ich selbst habe die letzten Einnahmen 2019 auf dem Weihnachtsmarkt in Potsdam erzielt. Seitdem ist bei mir Ebbe. Seitdem finden keine Volksfeste, keine Stadtfeste mehr statt. Meine Eltern haben in der Zwischenzeit Pop-up-Freizeitparks veranstaltet - mit Auflagen und begrenzten Besucherzahlen - bei denen ich unentgeltlich geholfen habe. Die wurden gut angenommen.

Im letzten Jahr wurden die Weihnachtsmärkte rechtzeitig abgesagt. Da wussten wir, worauf wir uns einlassen. In diesem Jahr haben wir und die Veranstalter erst grünes Licht von der Politik bekommen. Wir waren also voller Hoffnung, sind im hohen fünfstelligen Bereich in Vorkasse gegangen, haben Personal organisiert, Unterkünfte und Standgelder bezahlt, Ware bezogen. Und dann kam auf einmal die Absage. Das war wie ein Schlag ins Gesicht.

Wir waren in Potsdam auf dem Luisenplatz vertreten. Es gab schon Beschränkungen für den Markt. Er war eingezäunt, bis zu 2.000 Besucher waren erlaubt. Nachdem wir aufgebaut hatten, kam die Auflage, dass maximal 400 Personen erlaubt sind. Trotzdem haben wir gesagt: Wir schlucken jetzt die Kröte. Hauptsache, hier findet etwas statt. Wir haben eröffnet - und durch die Medien erfahren, dass wir auch wieder schließen dürfen, gleich am nächsten Tag.

Traurig war ich zuerst. Dann ist diese Traurigkeit in Wut übergegangen. Wir sind in Vorkasse gegangen, obwohl wir das Geld dafür gar nicht hatten. Wir haben die letzten Pimperlinge zusammengekratzt, die uns noch übriggeblieben sind. Wir haben ja 2020 November-/Dezemberhilfe bekommen. Die war auch dringend notwendig, weil wir damit alle anderen Kredite bedienen konnten.

Eigentlich wollte ich gar nicht abbauen. Ich wollte alles stehen lassen, weil die Perspektive weg war. Mir war fast egal, ob das Zeug da jetzt bis zum nächsten Frühjahr steht. Was nützt das hier zu Hause? Ich habe die Lust direkt verloren.

Natürlich kann ich nachvollziehen, dass die Gesundheit vorgeht. Wir hatten auch ein super Hygienekonzept. Bei uns galt 2G, wir haben Hygienespender aufgestellt, regelmäßig desinfiziert. Ich kann die Absage nicht ganz verstehen. Gastronomie ist noch geöffnet. Die Einkaufszentren sind offen - und sie sind in geschlossenen Räumen.

Ohne Weihnachtsmärkte geht ein Stück Kultur verloren. Weihnacht, das Fest der Liebe. Glühwein trinken, Zusammensein. Der Bummel über den Weihnachtsmarkt darf doch normaler Weise nicht fehlen. Auch die Halbe-Meter-Bratwurst und ein bisschen was Süßes. Die Leute sind immer zu uns gekommen und haben ihre Weihnachtsteller bestückt, mit frisch gebrannten Mandeln und mit Nüssen und was es nicht alles gibt. Jetzt bleibt wahrscheinlich nichts anderes übrig, als in den Großhandel zu gehen.

Wir brauchen jetzt eine Entschädigung von 100 Prozent, damit wir unseren Pflichten vernünftig nachkommen können. Wir haben kein Geld mehr. Bei uns ist Feierabend. Wenn das nicht drin ist, dann wenigstens das, was wir im vergangenen Jahr mit der November- und Dezemberhilfe bekommen hatten. Ich weiß nicht, wann es die nächste Unterstützung gibt. Wie soll ich etwas bezahlen, wenn ich kein Geld habe?

Über eine Perspektive für den Winter brauche ich gar nicht reden. Die habe ich nicht. Von Januar bis April finden meistens keine Volksfeste statt. Mit den Weihnachtsmärkten haben wir immer unsere Winterpause finanziert.

Auf unserem Betriebsgelände herrscht gerade noch Chaos. Es stehen überall Waren herum, die wir irgendwo lagern müssen. Die Weihnachtsdeko müssen wir wieder in die Regale verstauen. Alles, was wir jetzt hier machen, darf natürlich kein Geld kosten. Wir räumen von einer Ecke zur anderen und versuchen uns ein bisschen mit Arbeit abzulenken.

Ich bin vor zehn Tagen Papa geworden. Ich habe eine kleine Tochter. Das hält mich gerade so ein bisschen, macht mich glücklich. Aber wenn man dann mal zur Ruhe kommt, denkt man darüber nach: Was macht meine Tochter in 20 Jahren? Kann sie meinem Beruf weiterführen? Irgendwie hänge ich gerade so ein bisschen in einem Vakuum fest. Ich weiß nicht, wie es nächstes Jahr aussieht.

Ich wünsche mir, dass wir über den Winter kommen. Ich hoffe, dass wir wieder auf Tour gehen können, wenn die Sonne im Frühjahr wieder rauskommt. Ich bin hier auf Reisen geboren. Ich bin unterwegs zur Schule gegangen. Ich will nichts anderes machen. Das ist genauso wie einer, der gerne Friseur ist. Der möchte gerne Haare schneiden und nicht Fassaden verputzen. Nichts Anderes ist das bei mir.

Gesprächsprotokoll: Carl Winterhagen

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Sendung: Antenne Brandenburg, 29.11.2021, 16:10 Uhr

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