Psychische Belastung durch Corona - "Viele Kinder und Jugendliche sind in der Krise zunehmend verzweifelt"

Di 02.03.21 | 14:25 Uhr
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Symbolbild: Ein Kind steht vor einem Plattenbau (Quelle: dpa/Thomas Eisenhuth)
Audio: Inforadio | 02.03.2021 | Interview mit Melanie Eckert | Bild: dpa/Thomas Eisenhuth

Die Corona- Pandemie und die Einschränkungen sind eine schwere Belastung. Vermehrt sind auch Kinder und Jugendliche betroffen, wie die Psychologin Melanie Eckert berichtet. Sie ist eine der Gründerinnen von Krisenchat.de, die Betroffene per WhatsApp beraten.

rbb: Frau Eckert, mit welchen Problemen melden sich die Kinder und Jugendlichen bei ihnen?

Melanie Eckert: Grundsätzlich melden sie sich mit ganz unterschiedlichen Problemen bei uns. Das reicht von depressiven Symptomen bis hin zu Ängsten. Aktuell hören wir viel von Zukunftsängsten. Wie geht es beispielsweise mit der Schule weiter? Und wir merken auch eine Zunahme von sehr schwierigen Belastungen, zum Beispiel von suizidalen Gedanken oder auch Kindeswohlgefährdung. Viele Kinder und Jugendlichen berichten, dass sie zunehmend verzweifelt sind in der Krise, dass haltgebende Strukturen häufig wegfallen, wie Schule oder Sportverein, vielleicht auch die therapeutische Anbindung. Das macht ihnen zunehmend zu schaffen.

Wie können Sie den Kindern und Jugendlichen mit kurzen Textformaten helfen?

Wir haben uns damals für Textnachrichten im Chat-Format entschieden, weil da die Kinder und Jugendlichen sind. Das ist ihre Kommunikationsform. 95 Prozent aller Kinder und Jugendlichen sind im Chat unterwegs und rufen heute nicht mehr irgendwo an oder schreiben auch keine Mails. Chats sind ihr vertrautes Kommunikationsmedium. Und wir nutzen das und haben ein Beratungskonzept entwickelt, wie wir in diesem Format gut professionell beraten können. Die Beratungen dauern auch mal ein oder zwei Stunden, um der Person in ihrer jeweiligen Krise weiterhelfen zu können.

Das heißt, es sitzt ein Mitarbeiter von Ihrem Projekt am anderen Ende und es werden einfach fleißig Texte hin und her geschickt?

Genau. Wir haben das Glück, mit einer sehr engagierten ehrenamtlichen Community zusammenzuarbeiten. Das heißt, bei uns beraten über 250 Pädagogen, Psychologen, Leute mit fachlichem Hintergrund, die wir speziell in diesem Konzept schulen. Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass es wichtig ist, längere Nachrichten zu schreiben. Also nicht, wie wir es aus der Alltagskommunikation kenne, nur zwei Wortsätze per WhatsApp zu formulieren, sondern dass wir das richtig als längere Nachrichten und Sätze formulieren, um so ein Beratungsprozess in Gang und am Laufen zu halten.

Handelt es sich vor allem um Kinder und Jugendliche aus prekären, eher bildungsfernen Familien oder betrifft das alle Schichten gleichermaßen?

Das betrifft alle Schichten gleichermaßen. Und manchmal sind die Probleme natürlich unterschiedlich, je nachdem, wie der Hintergrund in der Familie ist und auch die Unterstützungsmöglichkeiten der Eltern sind. Aber das ist kein sichtspezifisches Problem. Gerade psychische Gesundheit ist ein Thema, das alle betrifft. Von daher ist das wirklich bunt gemischt.

Hat die Corona-Pandemie psychische Probleme bei Kindern und Jugendlichen verstärkt, die sowieso vorher schon da waren oder werden die jungen Menschen tatsächlich durch Corona krank, also zum Beispiel depressiv?

Das ist natürlich eine wichtige Frage, die wir wahrscheinlich auch erst in den nächsten Jahren abschließend beantworten können, wenn es genügend Forschungsergebnisse dazu gibt. Ich glaube, beides ist richtig. Wir sehen auf der einen Seite, und das zeigen viele andere Beratungseinrichtungen und Kliniken auch, dass es auf jeden Fall eine Zunahme gibt. Es leiden gerade die Kinder und jungen Erwachsenen darunter, die schon eine Vorbelastung haben. Das heißt, die schon unter psychischen Belastungen gelitten haben, die vielleicht wenig familiäre Unterstützung haben.

Aber wir merken auch, dass es erstmalig zu Symptombeschreibung kommt durch die belastete Situation. Dabei reden wir nicht gleich von psychischen Störungen, sondern erst noch von Belastung, wie zum Beispiel die depressiven Symptome, wenn ein Kind seit einem Jahr kaum noch raus geht, die Freunde wegfallen, die Schule wegfällt, und alle haltgebenden Strukturen wegfallen. Und das ist ein ganz wesentlicher Punkt, dass das Netzwerk, was gerade bei psychischen Belastungen so wichtig ist, nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Das hat für beide Gruppen eine große Auswirkung.

Was sind konkrete Maßnahmen, die die Kinder und Jugendlichen ergreifen können?

Das hängt natürlich immer total von der Situation und dem Fall ab. Häufig machen wir Psychoedukation. Wir erklären den Kindern und Jugendlichen, die teilweise zwölf oder 13 Jahre alt sind, was ihre Rechte sind, was es für Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten gibt, wie zum Beispiel der Weg in eine Psychotherapie aussieht oder was es für Beratungsangebote in ihrer Nähe geben könnte und überlegen in kleinen Schritten, wie ihr Weg aussehen könnte. Also was brauchen sie vielleicht noch an Unterstützung durch Eltern oder andere Bezugspersonen. Und wie sie es vor allen Dingen auch an die Leute vermitteln, sich trauen ihre Probleme auszusprechen, dass es ihnen nicht gut geht. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, wo wir versuchen, den Kindern und Jugendlichen ein Stück weit zu helfen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Melanie Eckert führte Dörthe Nath, Inforadio.

Der Text ist eine redaktionel bearbeitet Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: Inforadio, 02.03.2021, 06:45 Uhr

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2 Kommentare

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  1. 2.

    Wie mit unseren Kindern momentan umgegangen wird, bricht mir wirklich das Herz. Sie spielen keine Rolle im Denken vieler PolitikerInnen, werden nur noch als Virenschleudern betrachtet. Ich möchte mich beim rbb ausdrücklich bedanken, dass Sie dieses Thema so in den Vordergrund rücken.

  2. 1.

    Diese absolut asoziale Politik wird von Leuten gemacht, die Kinderrechte ins Grundgesetz schreiben wollen.

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