FAQ | Eltern und Betreuende - Wer für wen über die Corona-Impfung entscheidet

Mo 06.12.21 | 14:48 Uhr | Von Sabine Prieß und Frank Preiss
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Machen oder nicht? Für eine Grippeimpfung bei Kindern gibt es gute Argumente. Foto: Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa-tmn
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Viele Eltern sowie Betreuungspersonen von geistig eingeschränkten Menschen fragen sich: Wer darf oder muss entscheiden, ob sie gegen Corona geimpft werden? Das Stichwort ist die "Einwilligungsfähigkeit". Von Sabine Prieß und Frank Preiss

Wer entscheidet, ob ein Kind oder Jugendlicher geimpft wird?

Die Voraussetzung für eine Impfung von Kindern ist, dass beide Erziehungsberechtigte, sofern vorhanden, zustimmen. Denn eine Impfung gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) als körperlicher Eingriff. Es handelt sich also um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung.

Was, wenn sich die Eltern nicht einigen können?

Wenn sich Eltern, die beide über das Sorgerecht verfügen, nicht einigen können in Sachen Impfung, muss ein Familiengericht einem Elternteil das Entscheidungsrecht über die Frage der Impfung übertragen. Da eine Empfehlung der Ständigen Impf­kommis­sion die gleiche Wirkung hat wie ein Sach­verständigen­gut­achten, würde im Falle einer Covid-Impfung für ab 12-Jährige derzeit die Entscheidungs­befugnis auf den Eltern­teil über­tragen, der für die Impfung ist. Das sagte Eva Becker, Rechtsanwältin und Expertin für Familienrecht im November dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" [rnd.de].

Was, wenn das Kind geimpft werden will und die Eltern dagegen sind?

Ab 16 Jahren können Kinder in der Regel selbst entscheiden, ob sie geimpft werden wollen. Zwischen 14 und 16 Jahren kommt es dagegen auf die Einwilligungsfähigkeit der Jugendlichen an. Diese muss im Gespräch mit dem Arzt unter Beweis gestellt werden. Der Beginn der Einwilligungsfähigkeit ist an kein Mindestalter gebunden. Nach herrschender Meinung ist aber davon auszugehen, dass Minderjährige unter 14 Jahren nur in Ausnahmefällen bereits einwilligungsfähig sind. Unter 12-Jährige, deren Impfung bald ansteht, fallen im Regelfall vermutlich eher nicht unter diese Regelung. Doch auch hier könne es im Einzelfall Ausnahmen geben, wenn das Kind für sein Alter schon sehr reif sei, betonte der Berliner Medizinrechtler Martin Stellpflug im Juni 2021 im MDR [mdr.de]. Das sei immer eine einzelfallbezogene und behandlungsspezifische Abwägung.

Eine wirklich harte juristische Alters­grenze im Hinblick darauf, über eine Impfung mitzuentscheiden, gibt es also nicht. Unter sorgfältiger und gewissenhafter ärztlicher Abwägung können somit grundsätzlich auch Jugendliche und ältere Kinder ab etwa 12 Jahren ohne die Zustimmung ihrer Eltern gegen Covid-19 geimpft werden. Unklar ist, ob Eltern dagegen dann zivilrechtlich vorgehen könnten.

Was, wenn die Eltern die Impfung wollen und das Kind nicht?

Aus recht­licher Sicht kann theoretisch auch gegen den Willen eines minderjäh­rigen Kindes geimpft werden, wenn die sorgeberechtigten Eltern­teile dies so entscheiden. Offen sei aber, ob Paragraf 1631 BGB Absatz 2 greifen könnte, sagte die Berliner Fachanwältin für Familienrecht Jana Buchholz der Stiftung Warentest [test.de] im September 2021. Dort heißt es, dass Kinder ein Recht auf gewalt­freie Erziehung haben und körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen unzu­lässig sind.

Würde ein Arzt einen sich sträubenden 16-Jährigen impfen?

Dass sich wehrende Kleinkinder geimpft werden, ist gängige Praxis. Doch dem Willen des Kindes kommt mit fortschreitendem Alter zunehmend Gewicht zu. Daher muss der einwilligungsunfähige Heranwachsende seinem Alter und Reifegrad entsprechend in die Entscheidungsfindung und Aufklärung einbezogen werden.

Abhängig von Art und Schwere des Eingriffs gilt das für beinahe jede Altersgruppe, insbesondere aber für die Altersgruppe zwischen 14 und 16 Jahren. Gegebenenfalls ist dann ein aufschiebbarer Eingriff zurückzustellen, denn immerhin hätte der minderjährige Patient selbst die Folgen eines sich verwirklichenden Risikos allein zu tragen, heißt es im Ärzteblatt von 2012 [aerzteblatt.de].

Ein sich sträubendes Kind gegen seinen Willen zu impfen hält die Berliner Fachanwältin für Familienrecht Jana Buchholz auch für "ethisch fragwürdig".

Was muss der Arzt vor Ort machen, um auf der rechtlich sicheren Seite zu sein?

Wenn ein Elternteil mit seinem Kind für die Impfung zum Arzt oder zur Ärztin kommt, fragt dieser oder diese in der Regel nicht, ob eine Einwilligung beider Elternteile vorliegt. Denn in medizinischen Routinefällen, dazu zählen Impfungen, kann er oder sie davon ausgehen, dass die Zustimmung des nicht anwesenden Elternteils vorliegt. Gewissheit muss er sich nur dann verschaffen, wenn er Zweifel an der Zustimmung hat.

Könnte es auch eine Impfpflicht gegen Corona für Kinder geben?

Theoretisch ja, denn es gibt in Deutschland seit 2019 auch eine Impfpflicht in Sachen Masern. Sie gilt für alle Kinder ab dem ersten Lebensjahr und Personal in Gemeinschafts- oder Gesundheitseinrichtungen wie beispielsweise Kindertagesstätten und Schulen [bundesgesundheitsministerium.de]. Gefordert hat eine Impfpflicht gegen Corona Anfang Dezember 2021 im Bayerischen Rundfunk [br.de] der CSU-Politiker Markus Söder. Er hatte sich für eine Impfpflicht ab zwölf Jahren ausgesprochen. Dagegen sprach sich beispielsweise der SPD-Gesundheitspolitiker und mittlerweile designierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach aus.

Was müssen Betreuungspersonen von Volljährigen beachten?

Zunächst einmal ist ausschlaggebend, ob die betreute Person geistig in der Lage ist, eigenständig eine Entscheidung zu treffen, also eine Einsichtsfähigkeit beziehungsweise Einwilligungsfähigkeit besitzt. Es gehe grundsätzlich darum, "ob der Betreute noch Sinn und Zweck der Impfung erfassen kann", erklärt Volker Thieler, Jurist und Vorstandsvorsitzender des Kester-Haeusler-Forschungsinstituts für Betreuungsrecht auf dessen Internetseite [betreuungsrecht.de].

Zudem müsse geprüft werden, ob die betreute Person eine Patientenverfügung besitzt, betont der Betreuungsgerichtstag (BGT) in einer Stellungnahme [famrz.de] zu dem Thema. Der BGT besteht aus Juristen, rechtlichen Betreuern sowie Fachkräften aus sozialen, pflegerischen und ärztlichen Berufen.

Hat sich die betreute Person per Patientenverfügung (Paragrafen 1901, 1901a BGB) vor Verlust ihrer Einsichtsfähigkeit zu Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen festgelegt, prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation übertragbar sind. "Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen", heißt es in der Stellungnahme des BGT.

Liege keine Patientenverfügung vor oder träfen die darin gemachten Festlegungen nicht auf die aktuelle Situation zu, müsse der Betreuer den "mutmaßlichen Willen" des Betreuten feststellen, rät der BGT. Zu berücksichtigen seien dabei unter anderem "frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten".

Wann darf der Betreuer stellvertretend für die betreute Person in eine Impfung einwilligen?

Das ist dann möglich, insofern die betreute Person nicht einwilligungsfähig ist, keine Patientenverfügung hat und auch der "mutmaßliche Wille" nicht feststellbar ist. Zudem muss dem Betreuer vom zuständigen Gericht der Bereich Gesundheitssorge zugeordnet worden sein, betont der Fachverband. Sei das nicht der Fall, sollte das schnellstmöglich nachgeholt werden.

Entscheidet sich der Betreuer für einen Impfstoff, der behördlich empfohlen und zugelassen wurde (also wie zur Zeit die Vakzine von Biontech, Moderna und Johnson & Johnson), wird die betreute Person durch eine solche Impfung keinen Gefahren ausgesetzt. In diesem Fall müsse nicht zuvor eine Genehmigung des Betreuungsgerichts eingeholt werden, betont der Fachverband BGT.

Sollte eine solche Impfung aber für die betreute Person wegen ihres Gesundheitszustandes gefährlich sein, muss das Betreuunsggericht entscheiden (Paragraf 1904 Absatz 1 BGB). Grundsätzlich muss hierbei auch ein Arzt hinzugezogen werden.

Wann kann eine Betreuungsperson eine Corona-Impfung ablehnen?

Sollte der Betreuer die ärztlich und behördlich empfohlene Impfung ablehnen, muss dies durch das Betreuungsgericht genehmigt werden, "wenn die betreute Person durch die Nichtimpfung erheblich gefährdet wird" (Paragraf 1904 Absatz 2 BGB).

Sollte sich die betreute Person aber in einer Patientenverfügung explizit gegen Impfungen ausgesprochen haben, bleibt das Betreuungsgericht außen vor. Das gilt laut Paragraf 1904 Absatz 4 BGB auch dann, "wenn zwischen Betreuer und behandelndem Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a festgestellten Willen des Betreuten entspricht."

Was tun, wenn die betreute Person gegen eine Impfung ist und in einem Heim lebt?

Lebt eine solche Person in einem Heim, in dem zum Schutz der übrigen Bewohner die Impfung notwendig wird, dann muss der Betreuer "veranlassen, dass der Betreute aus dem Heim herausgenommen wird und in eine Unterbringung kommt, in dem auch die Menschen untergebracht werden können, die nicht geimpft sind", betont Jurist Volker Thieler.

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Beitrag von Sabine Prieß und Frank Preiss

5 Kommentare

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  1. 5.
    Antwort auf [Hartmut Polzin] vom 06.12.2021 um 23:53

    Kein Heim übernimmt für eine Impfung die Verantwortung. Wie kommen Sie darauf? Ihnen ist bewusst, dass Ihre Tochter Risikopatientin ist und in einem sehr sensiblen Umfeld lebt?
    Falls Sie impfschäden befürchten - es gibt seit Jahrzehnten fast keine anerkannten impfschäden in Deutschland.

  2. 4.
    Antwort auf [Hartmut Polzin] vom 06.12.2021 um 23:53

    Wieso wollen die Ärzte keine Verantwortung übernehmen?
    Ärztliche Impfbefreiungen gibt's nicht. Ebenso gibt es auch fast keine Erkrankungen, bei denen nicht geimpft werden darf.

    Ihre Tochter lebt im Heim, gehört zur Risikogruppe und Sie wollen sie nicht impfen lassen? Aber andere Heimbewohner zu gefährden ist okay?

    Natürlich kann jeder Heimbetreiber den Heimvertrag mit einer Frist kündigen und muss dies nicht mal begründen.

    Reden Sie mit dem gesetzlichen Betreuer, falls Sie es nicht sind.

  3. 3.

    Ihre Aussage stimmt nicht ganz. Wenn es nur einen Erziehungsberechtigten gibt, kann man sich einen Nachweis darüber beim Jugendamt holen.
    Mit diesem Nachweis kann man ohne Probleme Konten eröffnen, das Kind in der Schule anmelden und auch impfen, wenn das möchte.

  4. 2.

    Mein Kind hat eine geistige Behinderung, und hat sich sogar alleine seinen Impftermin geholt.

  5. 1.

    Ein Fall fehlt, der IMMER wieder zu Stress führt: es gibt nur EINEN Erziehungsberechtigten, immer schon, und damit kannste nur bei "verständnisvollen" Ärzten impfen lassen, ein Konto eröffnen geht schon nicht mehr @#*@* - oftmals ist Deutschland so ur-alt, dass man die Augenbrauen hochzieht und den Mageninhalt festhalten muss. Und ja, es gibt tatsächlich Ein-Eltern-Familien oder 2FrauenFamilien oder 2Männerfamilien oder 2nonbinär oder whatever. Leute, die glücklich sind mit Kind und die Dank Bürokratie an allem gehindert werden.

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