Interview | Schwimm-Meister in Berlin - "Mein persönlicher Albtraum wäre, ein Kind aus dem Becken rausholen zu müssen"
Sieht schon entspannt aus, wenn die Berliner Bademeister unterm Sonnenschirm sitzen. Ist es aber nicht: Sven Kraatz, der im Kombibad Gropiusstadt arbeitet, berichtet von herausfordernden Tagen.
rbb|24: Hallo Herr Kraatz. Sie sind Schwimm-Meister in Berlin. So heißt das, oder?
Sven Kraatz: Jein. Ganz genau heißt die Berufsbezeichnung Fachangestellter für Bäderbetriebe. Die Kollegen, die die Ausbildung vor mir abgeschlossen haben, sind noch sogenannte Schwimm-Meister-Gehilfen. Schwimm-Meister ist die ältere Bezeichnung für den heutigen Meister für Bäderbetriebe.
Sie sind auf jeden Fall einer derjenigen, der am Berliner Beckenrand steht - in Ihrem Fall im Kombibad Gropiusstadt – und aufpasst. Ist der Job so cool, wie er manchmal wirkt? Also sie sitzen chillig mit einem Eis am Stil unterm Sonnenschirm und haben das Becken im Blick. Oder ist es mehr?
Es ist viel, viel mehr. Ihre Schilderung ist eine sehr seltene Momentaufnahme. Einfach nur sitzen kommt kaum vor. Wir sind dauerhaft auf den Beinen und immer in Bewegung, damit wir aus allen möglichen Blickwinkeln das Becken und die Gäste im Blick haben – um alle möglichen Gefahren auszuschließen. Und wir kümmern uns auch um die ganze Technik, die anfällt. Sie wird von uns komplett in Stand gehalten. Da geht es unter anderem auch darum, die Chlor- und pH-Werte einzuhalten und, falls nötig, nachzuregulieren.
Und das machen Sie im Sommer und im Winter?
Ja. Und das ist das Schöne. Ich bin im Sommer und im Winter dauerhaft beschäftigt, weil wir Sommer- und Hallenbäder haben. Ich bin seit Mai diesen Jahres fest im Kombibad Gropiusstadt. Ich habe 2011 meine Ausbildung angefangen und bin seit 2014 bei den Berliner Bäderbetrieben.
Wie sieht Ihr Tag so aus? Sie kommen morgens und schließen das Bad auf.
Ja. Das Nächste, was ansteht, sind Technikrundgänge. Ich checke, ob die Anlage läuft, ob alles funktioniert, ob die Parameter alle so sind, dass wir das Becken beziehungsweise das Bad öffnen können. Wichtig ist auch eine Handmessung im Becken. Man sollte sich nie nur auf die Technik verlassen. Hinzu kommen noch Rundgänge für die Verkehrssicherungspflicht. Manchmal gibt es noch ein paar kleinere Reinigungsarbeiten, die erledigt werden müssen. Dann gibt es eine kleine Teambesprechung, in der wir klären, wer wie eingesetzt ist und wer welche Position übernimmt. Das alles ist zu tun, bevor wir den Gästen die Tore aufmachen. Dann beginnt unser Daily-Business, indem wir die Aufsicht im Wasser übernehmen. Manchmal nehmen wir noch Schwimmabzeichen ab. Aber im Wesentlichen geht es darum, aufzupassen, dass nichts passiert.
Welche Tage sind besonders herausfordernd?
Wir haben da eine kleine Faustregel: Es muss drei Tage heiß sein, dann kommen die Gäste. Dann hat der Berliner verstanden, dass es heiß ist und er schwimmen gehen möchte. Aber es gibt auch so – gerade in den Sommerferien – anstrengende Tage mit sehr hohem Besucheraufkommen. Es verlangt uns sehr viel ab, alles so im Blick zu behalten, dass jeder Gast unser Bad auch sicher wieder verlassen kann am Abend.
Wie sorgen Sie dafür, zu jeder Zeit alles im Blick zu haben?
Wir ändern ständig unsere Standorte und sind die ganze Zeit in Bewegung, um jeden Blickwinkel ins Becken immer wieder zu haben. Wir müssen das Becken und auch die Gäste aus jeder Perspektive betrachten, um Gefahren zu vermeiden, möglichst schon bevor sie überhaupt entstehen. Im Schwimmbecken etwa achten wir darauf, dass sich dort auch wirklich nur Schwimmer aufhalten. Kinder oder manchmal auch Erwachsene, die nicht über ausreichend Schwimmkenntnisse verfügen, sprechen wir direkt an und verhindern, dass sie im Becken sind.
Und insgesamt ist ganz wichtig – deshalb sitzen wir auch nicht am Beckenrand – dass wir ans Becken herangehen und auch den Beckenboden betrachten, der direkt vor uns liegt. Durch mehrere Kollegen, die an einem Becken sind, haben wir die verschiedensten Blickwinkel. So schaffen wir es Tag für Tag dafür zu sorgen, dass die Berliner und Berlinerinnen einen schönen Tag bei uns haben.
Welche Anzeichen deuten darauf hin, dass ein Badegast in Gefahr ist? Das Geschrei ist ja sowieso groß im Schwimmbad. Wie unterscheiden Sie, ob etwa ein kreischendes Kind wirklich in Gefahr ist?
Kinder gehen leider leise unter. So wird es auch gelehrt. Die meisten Kinder haben Panik, Wasser in den Mund zu bekommen und deshalb machen sie diesen auch nicht auf, um nach Hilfe zu schreien. Deshalb achten wir auf Panikanzeichen wie unkontrollierte Bewegungen im Wasser. Wir schauen auch, ob sich auf dem Beckenboden eine Person aufhält, die keine typischen Tauchbewegungen macht. Wir achten aber auch auf Personen, die unsicher wirken in ihrer Schwimmtechnik und sich die ganze Zeit am Beckenrand aufhalten. Das sind erste Anhaltspunkte. Sehen wir diese, schreiten wir auch sofort ein.
Sie müssen Badengäste jedweden Alters ja immer mal wieder ansprechen. Meiner Beobachtung nach herrscht da in den verschiedenen Bädern eine jeweils ganz unterschiedliche Ansprachehaltung. Welcher Ton funktioniert Ihrer Erfahrung nach gut?
Die Ansprache muss immer mit Respekt erfolgen. Wir erklären möglichst respektvoll, wieso, weshalb und warum es welche Regeln gibt. Gerade bei Teenagern probieren wir, sie in ihrer Vorbildfunktion für die Jüngeren anzusprechen. So klappt das bei uns auf einem sehr guten Weg. Wenn man gleich abweisend und aggressiv auf die Jugendlichen zugeht, wie es das vielleicht auch manchmal gibt, funktioniert es nicht.
Kinder haben Sie jetzt schon öfter erwähnt. Sie sind natürlich besonders gefährdet. Können wirklich - im Vergleich zu früher - auffällig viele von ihnen heute nicht mehr schwimmen?
Ja, das ist definitiv so. Es hat sich da wirklich viel geändert. Auch im Hinblick auf den Schwimmunterricht in der Schulzeit. Früher gab es schulseitig eher die Einteilung von guten und schlechten Schwimmern. Jetzt kann der Großteil der Kinder in der dritten Klasse nicht schwimmen. Manche schaffen es auch nicht, es innerhalb des einen Schuljahrs zu lernen.
Aber auch diese Kinder dürfen, erlaubt ist das ja ab acht Jahren, dann im Prinzip ohne Elternbegleitung ins Schwimmbad kommen. Erschwert das Ihre Arbeit?
Natürlich. Die Aufsichtspflicht durch die Eltern ist ja eigentlich auch trotzdem zu leisten. So sollte es zumindest sein. Am Ende sind diese Kinder für uns im Prinzip ein erhöhter Risikofaktor. Aber wir wissen darum und setzen unsere Kräfte eben dementsprechend ein und achten darauf, dass ihnen nichts passiert.
Was ist Ihr persönlicher Albtraum?
Mein persönlicher Albtraum wäre, ein Kind aus dem Becken rausholen zu müssen. Ich habe selbst einen kleinen Sohn – sowas möchte ich nicht erleben. Jede Wiederbelebung ist etwas, was man nicht erleben möchte. Für mich wäre das Wiederbeleben eines Kindes eine der schlimmsten Situationen, die ich im Rahmen meiner Arbeit erleben könnte.
Wie oft retten Sie Kinder aus dem Becken – auch ohne, dass sie gleich wiederbelebt werden müssen?
Zum Glück mussten wir in diesem Jahr in unserem Bad noch kein Kind effektiv aus dem Wasser retten.
Wie war Ihre Arbeit eigentlich während Corona, als die Bäder so viel leerer waren?
Erstmal waren die Bäder ja geschlossen und man saß zuhause. Als es dann die Phase mit den Zeitfenstern gab, war das ein ganz anderes Arbeiten. Da waren ja wesentlich weniger Badegäste im Bad. Es zwar übersichtlicher, hatte aber mit dem eigentlichen Badebetrieb der letzten Jahre wenig zu tun. Ich freue mich, dass wir unsere Bäder jetzt wieder füllen können und ich bin glücklich, dass diese Zeit vorbei ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24